Kürzlich
führte ich ein sehr bereicherndes Gespräch mit einem HR Direktor eines großen
Konzerns. Während dieses Gespräches war schnell klar, dass die aktuelle Strategie,
eine immer höhere Wertschöpfung zu erreichen, auf Dauer ein selbstmörderisches
Paradigma ist. Selbstmörderisch sowohl für die Mitarbeiter, als auch das
Unternehmen als Ganzes. Eigentlich muss komplett ein Wandel weg vom
Wertschöpfungsdenken hin zum Wertschätzungsdenken stattfinden. Doch wie soll es
möglich sein, aus der Wertschöpfungs-Mühle herauszukommen, die seit der
industriellen Revolution unser Denken bestimmt?
Zum
einen kann so eine grundlegende Änderung sicher nicht von heute auf morgen
erfolgen. Etablierte Unternehmen, die seit Jahren erfolgreich sind und eine an
Wertschöpfung und Gewinnen gemessene Strategie fahren, verhalten sich wie ein
riesiger Dampfer auf hoher See. Wenn Sie solch einen Dampfer ein rechtwinkliges
Manöver fahren lassen wollen, dann fährt er aufgrund seiner Masse zunächst
einmal weiter geradeaus, bis er schließlich langsamer wird und der neu
eingegebene Kurs greift.
Zum
anderen steht eines ganz sicher fest: die Unternehmensstrategie grundlegend zu
ändern, erfordert sehr viel Mut. Eine Neuausrichtung würde bedeuten, den
gängigen Gesetzen des Wettbewerbs nicht mehr zu folgen, sondern neue
Unternehmenswerte zu etablieren. Ist so etwas überhaupt möglich? Ja, so etwas
ist möglich. Die Firma Semco aus Brasilien macht es vor. Im Folgenden möchte
ich gerne einen interessanten Artikel mit Ihnen teilen, der über die Firma
Semco erschienen ist.
Die Befreiung der Arbeit: Das 7-Tage-
Wochenende
Weltweit starren Manager fassungslos auf die
Firma Semco: Was dort passiert, widerspricht allem, an was sie glauben. Die
3000 Mitarbeiter wählen ihre Vorgesetzten, bestimmen ihre eigenen Arbeitszeiten
und Gehälter. Es gibt keine Geschäftspläne, keine Personalabteilung, fast keine
Hierarchie. Alle Gewinne werden per Abstimmung aufgeteilt, die Gehälter und
sämtliche Geschäftsbücher sind für alle einsehbar, die Emails dafür strikt
privat und wie viel Geld die Mitarbeiter für Geschäftsreisen oder ihre Computer
ausgeben, ist ihnen selbst überlassen.
Respekt als Erfolgsrezept
Was für heutige Personalchefs klingen mag, wie
ein anarchischer Alptraum, ist in Wirklichkeit eine Erfolgsgeschichte. Seit das
Unternehmen von Inhaber Ricardo Semler umgestellt wurde, stiegen die Gewinne
von 35 Millionen auf 220 Millionen Dollar. Und nicht nur die Zahlen geben Semler
recht, sondern vor allem die Mitarbeiter: Die Fluktuationsrate bei Semco liegt
unter einem Prozent. Das Rezept ist einfach: Behandele deine Mitarbeiter wie
Erwachsene, dann verhalten sie sich auch so. Je mehr Freiheiten du ihnen gibst,
desto produktiver, zufriedener und innovativer werden sie. Ein Unternehmen
besteht aus erwachsenen gleichberechtigten Menschen, nicht aus Arbeitskräften.
Jeder hat das Recht, sich frei zu entfalten und eine gesunde Balance zwischen
Beruf und Privatleben zu finden. Entgegen allem, was man aktuell zu glauben
scheint, machen Druck und Stress Menschen nicht produktiv, sondern ganz einfach
nur kaputt. Und dabei verliert das Unternehmen letztlich genauso wie der
Mensch. Es geht Semler um ein neues Verständnis von Arbeit: Eine Firma ist ein
Gemeinschaftsprojekt, im besten Fall eine geteilte Leidenschaft. Die
Gesellschaft hat uns das allerdings anders beigebracht, wir sollen uns als
Steinmetze, Maler und Hilfsarbeiter sehen, nicht als Kathedralen-Schöpfer. Bei
Semco sind die Mitarbeiter essenzieller Teil eines Ganzen, sie sind
Mit-Schöpfer, nicht bloß ein Rädchen im System. Sie haben Ideen, sie verstehen
ihre Arbeit, sie wissen, was sie wert ist.
ihre Arbeit, sie wissen, was sie wert ist.
Vertrauen statt Kontrolle
Aber unsere Personalchefs glauben noch immer,
dass man Angestellte kontrollieren muss, über Stechuhren, feste Arbeitszeiten,
Produktivitäts-Reports und Email-Spionage. Semco hat das alles aufgegeben und
die Kontrolle durch Vertrauen ersetzt – und mal im Ernst: Wer will eigentlich
mit Leuten zusammenarbeiten, denen man nicht trauen kann? Für Semler ist
der Kontrollwahn der meisten Unternehmen einfach nur noch verrückt. Seine
Mitarbeiter erziehen ihre Kinder und wählen Gouverneure, es sind erwachsene
Menschen, die selbst am besten wissen, was sie möchten und brauchen. “Es ist
völlig verrückt, diese Idee, dass die Menschen immer noch so fixiert darauf
sind, wie etwas gemacht wird. Bei uns sagt keiner: ‘Du bist fünf Minuten zu
spät’ oder ‘warum geht dieser Fabrikarbeiter schon wieder aufs Klo?’ [...] Wenn
Du dich bei Semco im Büro umsiehst, sind da immer jede Menge leere Plätze. Die
Frage ist: Wo sind diese Leute? Ich hab nicht die leiseste Idee und es interessiert
mich auch nicht. Es interessiert mich in dem Sinne nicht, dass ich nicht
sicherstellen möchte, dass meine Mitarbeiter zur Arbeit kommen und der Firma
eine bestimmte Anzahl Stunden pro Tag geben. Wer braucht eine bestimmte Anzahl
Stunden pro Tag? Wir brauchen Leute, die ein bestimmtes Ergebnis abliefern. Mit
vier Stunden, acht Stunden oder zwölf Stunden im Büro – sonntags kommen und
Montags zu Hause bleiben. Es ist irrelevant für mich”, erklärt Semler seltsam
einleuchtend.
Keine Hierachie, dafür Teams
Semco ist etwas, dass es laut dem Menschenbild
heutiger Manager eigentlich gar nicht geben dürfte. Und wenn doch, dann dürfte
es nicht funktionieren. Tut es aber. Drei Fragen hört Semler immer wieder:
Macht ihr das wirklich so? Funktioniert es ganz im Ernst? Und: Was jetzt? Die
ersten zwei sind einfach zu beantworten: “Wir machen das jetzt seit 25 Jahren,
so ziemlicher jeder, den es wirklich interessiert, ist hergekommen, um zu
sehen, ob es wahr ist. Und unsere Zahlen sind über jeden Zweifel erhaben”, sagt
Semler selbstbewusst. Für ihn war das Aufbrechen der
Unternehmensstruktur von Anfang an keine Traumtänzerei, sondern vielmehr die
einzig mögliche Antwort auf unsere unmenschliche Arbeitswelt. Er hat es auf die
harte Tour gelernt, wachte selbst erst auf, als er kollabierte und mit
Komplett-Burnout in ein Krankenhaus eingeliefert wurde. Das war der Punkt, an
dem er beschloss, seine geistige und körperliche Gesundheit nie mehr dem Job
unterzuordnen – und das auch von seinen Angestellten nicht zu verlangen. Dass
der Wahnsinn ein Ende haben muss. “Wenn man es sich genauer ansieht, muss man
feststellen, dass das traditionelle System nicht funktioniert. Und das ist der
Anreiz, sich nach etwas anderem umzusehen” – so einfach sieht Semler das. Doch
es fehlt vielen Unternehmern noch immer schwer, die Kontrolle loszulassen. Denn
heutige Firmen sind nicht aufgebaut wie Orte des Schöpfens, sondern wie das
Militär: mit einer hierarchischen Machtstruktur, mit Befehlsgebern und
-empfängern. Semco hingegen ist in konzentrischen und durchlässigen Kreisen
aufgebaut, es gibt keine Arbeitstitel, keine festen Büros. Niemand muss zur
Arbeit kommen, ob von zu Hause, aus dem Dschungel oder einem Cafe an der
Strandpromenade gearbeitet wird, ist den einzelnen Mitarbeitern und Teams
selbst überlassen. Diese Teams sind das Herzstück von Semco. Die Menschen
arbeiten in Gruppen, die jeweils ein Produkt oder ein Zwischenprodukt
selbstständig fertigstellen. Wie sie das machen, in welcher Zeit und mit
welchem Geld, das ist ihre Sache. Wer zwischendurch schlafen will, geht einfach
in den Firmengarten und legt sich für ein paar Stunden in die Hängematte – wer
müde ist, macht ja eh nur Fehler.
Die Firma ohne Personalabteilung
Semco hat 3000 Mitarbeiter, aber keine
Personalabteilung, da steht dem traditionellen Unternehmer der Angstschweiß auf
der Stirn. Wer stellt diese Leute ein? Wer überprüft die Leistung? Das machen
die Angestellten alles selbst. Stellt ein Team fest, dass eine neue Person
gebraucht wird, schreibt sie im Intranet der Firma ein entsprechendes Meeting
aus. Das ist natürlich freiwillig: Alle können kommen, keiner muss. “Wir wollen
nicht, dass irgendwer in etwas verwickelt wird, was ihn nicht interessiert,
deshalb sind alle Meetings freiwillig. Das heißt die Meetings werden
bekanntgegeben und wer interessiert ist, kann und wird vorbeikommen und soll in
dem Moment den Raum wieder verlassen, wenn es anfängt, ihn zu langweilen”,
erklärt Semler die Meeting-Philosophie. Leute, die mitten in einem Meeting
gehen, weil es sie langweilt – das würde so manchen Vorgesetzten in den
Wahnsinn treiben. Aber bei Semco sollen eben nur die Menschen eine Entscheidung
treffen und tragen, die es unmittelbar angeht und interessiert. Auf so
einem Meeting könnte zum Beispiel beschlossen werden, dass neuer Mitarbeiter
gebraucht wird und was er oder sie können muss. Dann wird gemeinschaftlich eine
Annonce geschrieben, und sobald die Bewerbungen kommen, werden sie im Team
aufgeteilt: Jeder, der möchte, nimmt einfach ein paar mit nach Hause und bringt
die interessantesten dann wieder mit. Statt Vorstellungsgesprächen gibt es ein
Gruppengespräch mit allen Kandidaten gleichzeitig – auch hier darf kommen, wer
will. Die einzigen Mitarbeiter, die regelmäßig formal bewertet werden, sind
jene in Entscheidungs-Positionen – und zwar von allen anderen. Sollte einer
dieser Manager wiederholt schlechte Bewertungen kriegen, geht er für gewöhnlich
von selbst.
Gruppenzwang
Tatsächlich regeln die Teams fast alles unter
sich. Macht jemand keinen guten Job, so wird das im Team diskutiert, oder ein
Meeting einberufen. Wer sich ein hohes Gehalt zuteilt, erhöht damit auch die
Erwartungen des Teams und den Leistungsdruck. Aber auch die Mitarbeiter haben
mittlerweile ein anderes Verhältnis zur Arbeit: Wenn jemand einen Haufen Geld
verdient, die ganze Woche eigentlich nur Golf spielt, aber trotzdem einen guten
Job macht und seine Aufgaben erledigt – wen kümmert’s dann? Was zählt, ist das
Ergebnis. Eine Studie von CNN hat festgestellt, dass die Mitarbeiter bei Semco
eine sehr viel gesündere Balance zwischen Privatleben und Beruf haben, sich
mehr Zeit für Beziehungen, Kinder und Hobbys nehmen, aber gleichzeitig auch
ungewöhnlich hohen Einsatz und bemerkenswerte Leistungen im Beruf zeigen. Nicht
trotz, sondern wegen der Freiheiten. Für Semler ist das wenig verwunderlich:
Menschen müssen sich entfalten können, um ihr Potenzial optimal einzubringen.
Und es funktioniert
Semler ist sich sicher: Sein Konzept
funktioniert überall. Er selbst hat es in Fabriken ebenso eingesetzt, wie in
IT-Büros. Tatsächlich ist es eigentlich andersherum – es funktioniert überhaupt
nur so. Unsere derzeitige Arbeitswelt mit ihren Burn-Out-Syndromen, mit
Mobbing, Stress, Magengeschwüren und Depressionen funktioniert nämlich eben
nicht, sie ist fortgesetzter Wahnsinn. Es wird Zeit, dass wir eine
Gesellschaft erschaffen, in der Beruf wieder mit Berufung und Leidenschaft
assoziiert wird, nicht mit Sklaverei und Ausbeutung. In der Menschen wieder
freie Entscheidungen treffen können und mit Respekt behandelt werden. In der
Privatleben und Arbeit gleichwertig sind – auch für die Vorgesetzten. Es wird
Zeit für das 7-Tage-Wochenende!
Von Ricardo Semmler sind mehrere Bücher erschienen darunter: “The Seven-Day Weekend: A Better Way to Work in the 21st Century” und “Das Semco System: Management ohne Manager”. Autor: David Rotter
Von Ricardo Semmler sind mehrere Bücher erschienen darunter: “The Seven-Day Weekend: A Better Way to Work in the 21st Century” und “Das Semco System: Management ohne Manager”. Autor: David Rotter
Es ist also
möglich, eine Firma unter neuen
Prämissen zu führen. Jetzt werden einige Leser berechtigterweise sagen „Ja das ist Wunschdenken. So einfach ist das
nicht, wenn eine Firma seit Jahrzehnten etabliert ist und feste Strukturen
hat.“ Wohl wahr. Dafür braucht es massives Umdenken bei allen Beteiligten und
die Bereitschaft absolute Verantwortung für sich und seinen Job zu übernehmen.
Eine Veränderung dieser Größenordnung auch nur ansatzweise in einem bestehenden
Konzern zu etablieren verlangt ein neues Bewusstsein. Ein Bewusstsein in jedem
einzelnen Mitarbeiter, welches Spiel bisher gespielt wurde und welche neuen
Möglichkeiten es gibt. Es geht darum zu erkennen, welche zwischenmenschlichen
und manipulativen Dynamiken am Werk sind und diese durch neue, nachhaltige Soft
Skills zu ersetzen, die einen hohen Grad an Klarheit und Verantwortung erzeugen
und herkömmliche Verhaltensweisen verbessern und erweitern. Wie Einstein
bereits sagte, ein Problem kann nicht auf der gleichen Bewusstseinsebene gelöst
werden, auf der es entstanden ist. Es ist also entscheidend, die Mitarbeiter
ins Boot zu holen und ihnen zu ermöglichen, eine neue Bewusstseinsebene durch
Klarheit, Unterscheidungen und neue Fertigkeiten zu erreichen.
(Autorin: Nicola Nagel)
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