In den meisten Unternehmen wird ein
alt hergebrachtes Konzept angewandt, das scheinbar die wenigsten hinterfragen.
Es ist das Konzept der Position oder Stelle und damit einhergehend der
entsprechende Titel eines Mitarbeiters. Über die Jahre hinweg haben sich in der
Wirtschaft Begriffe für Jobbeschreibungen geformt, die mittlerweile gängig sind
und von den meisten Menschen verstanden werden: Sachbearbeiterin, Entwickler,
Geschäftsführer, Leiter Technik, Einkaufsleiter, Key Account Manager,
Pressesprecherin, Marketingbeauftragter etc. Auf den ersten Blick scheint es
durchaus sinnvoll zu sein, ein Aufgabenfeld mit einem Titel zu belegen und
dadurch die Aufgaben zu normen. Doch den wenigsten scheint bewusst zu sein, wie
einengend Standard-Titel sind und wie sehr sie das eigentlich vorhandene
Potenzial begrenzen.
Über einen Standardtitel werden
Mitarbeiter automatisch in bestimmte Schubladen gesteckt. Erhält beispielsweise
eine Person den Titel „Sachbearbeiterin Materialwirtschaft“, so begrenzt dieser
die Person auf das, was sie laut Jobbeschreibung zu tun hat. Eine
Sachbearbeiterin hat in dem Fall kleine Dinge abzuarbeiten und Papierkram zu
machen, ist jedoch in der Regel nicht „befugt“ visionär zu denken und
außergewöhnliche Methoden anzuwenden. Anders ist es bei dem Titel
„Einkaufsleiter“. Allein der Drall des Titels ermächtigt die entsprechende
Person mehr Verantwortung zu übernehmen und andere Menschen zu führen. Dabei
gibt es zahlreiche Menschen mit vermeintlich „hoch aufgehängten“ Titeln, die
alles andere als tragfähige Führungsqualitäten haben und stattdessen meinen
allein aufgrund des Leiter-Titels Macht ausüben zu können.
Standard-Titel fördern hierarchisches Denken
und Konkurrenz. Sie werden „von oben“ übergeben oder zugeteilt bzw. angeordnet
und dienen dazu Mitarbeiter zu kategorisieren. Durch hierarchisch zugeordnete
Titel werden Mitarbeiter „messbar“, denn je höher der Titel, desto höher fällt
in der Regel das Gehalt aus.
Zudem scheinen viele Menschen sich im
Unternehmen über ihren Titel zu definieren. Ein höherer Title heißt in der
Regel nicht nur mehr Geld auf dem Konto, sondern auch mehr Anerkennung. Somit
ist es nicht verwunderlich, dass viele Menschen nach einem höheren Titel
streben, um vermeintlich mehr Anerkennung zu bekommen. Mit jedem Titel geht
eine unbewusste Wertung einher. Einer Person mit einem höher gestellten Titel
wird oftmals mehr Respekt gezollt. Z. B. haben viele Mitarbeiter mehr Respekt
vor einem Geschäftsführer als vor einem Sachbearbeiter oder
Produktionsmitarbeiter. Diese Wertung spiegelt sich auch darin wider, dass in
der modernen Gesellschaft eine der ersten Fragen beim Kennenlernen einer neuen
Person in der Regel folgende ist: „Und, was machen Sie so?“ Es geht also in
erster Linie darum, was jemand HAT (Geld, Besitz) und was jemand TUT (Position,
Titel, etc.). In den seltensten Fällen geht es darum, wie jemand IST. Die essentiellen
Seins-Qualitäten einer Person werden hinten angestellt bzw. vollständig
vergessen.
In der Unternehmenswelt herrscht ein
erbitterter hierarchischer Wettkampf um Positionen und damit einhergehende
Titel, der manchmal ganz offensichtlich (z. B. kürzlich bei VW) und oftmals
subtil gespielt wird. Wenn die Aussicht auf einen ruhmreichen Titel zum Greifen
nahe ist, wird an Stühlen gesägt und versucht Mitarbeiter auszubooten, was das
Zeug hält.
Dabei sind gewöhnliche Titel alles
andere als ruhmreich, denn sie sind sehr auf Logik und Linearität beschränkt.
Beispielsweise ist der Titel Leiter Materialwirtschaft in sich hierarchisch und
die entsprechende Person hat in erster Linie die Möglichkeit, linear zu führen.
Gleiches gilt für andere Titel-Bezeichnungen. Sie limitieren die Mitarbeiter
durch die Linearität auf das Tun bestimmter Aufgaben, sodass der jeweilige
Titelinhaber zu einer leicht ersetzbaren Ressource. Verlässt ein Mitarbeiter
das Unternehmen, so ist es ein leichtes, die gleiche Stelle mit dem
entsprechenden Standard-Titel wieder auszuschreiben und eine andere Person auf
die Position zu setzen. Durch gewöhnliche Titel werden Menschen in Unternehmen
austauschbar, während das Einzigartige, die menschlichen Seins-Qualitäten auf
der Strecke bleiben.
Gewöhnliche Titel sind in der Regel in
Stein gemeißelt. Es geht maßgeblich um die fachliche Kompetenz, die einem Titel
zugeschrieben wird, und innerhalb derer sich ein Mitarbeiter bewegen kann. Gleichzeitig
verlangen einige Titel heutzutage automatisch ein bestimmtes Agieren. Der Titel
eines Geschäftsführers oder Abteilungsleiters bedeutet beispielsweise
vielerorts, dass die entsprechende Person alles wissen muss, die Dinge im Griff
haben muss und der einsame Wolf an der Spitze ist. Ein Sachbearbeiter darf
hingegen auch schon einmal Dienst nach Vorschrift machen, denn schließlich ist
er dazu da Papierkram abzuarbeiten.
Zu guter Letzt sind gewöhnlich Titel
vor allem eines: langweilig und trocken.
Doch was nun? Wie würde denn eine
andere Art der Titelvergabe aussehen? Und wie würden im Gegensatz zu
gewöhnlichen Titeln außergewöhnliche Titel lauten, die beschreiben, was der
jeweilige Mitarbeiter IST?
Ziehen Sie zunächst einmal in
Betracht, dass es die Möglichkeit gibt, Titel zu erschaffen, die nicht auf dem
Formular des Finanzamtes zu finden sind. Bei der Wahl eines außergewöhnlichen
Titels geht es darum, den Fokus auf die Qualität der Seins-Eigenschaften des
Mitarbeiters zu legen und ihn für das anzuerkennen, was er IST. Allein durch
die Wahl des Titels wird der Mitarbeiter bereits ermächtigt, seine Talente und
Qualitäten vollständig in das Unternehmen einzubringen.
Anders als bei einem gewöhnlichen
Titel, der in der Regel von der Geschäftsleitung übergeben oder zugeordnet
wird, wird ein außergewöhnlicher Titel vom Mitarbeiter selbst gewählt und
enthält keinerlei hierarchischen Bezug. Es gibt weder Leiter, noch Manager,
noch Geschäftsführer. Allein diese Idee könnte für viele Manager bereits ein
apokalyptischer Albtraum sein, denn worüber sollen sie sich definieren, wenn
nicht über ihre hierarische Machtposition?
Was es bei dem Experiment der
außergewöhnlichen Titel zu beachten gilt, ist dass die alten hierarchischen
Strukturen tief in uns Menschen verankert sind. Es würde also nicht
funktionieren, die Mitarbeiter zu zwingen, ad hoc selbst einen neuen Titel zu
wählen. Vielmehr ist es ein Experiment für kühne Pioniere, die bereit sind,
eine andere Art von Arbeitswelt zu erschaffen und voran zu gehen. Die anderen
Mitarbeiter werden in ihrem eigenen Tempo folgen. Ein mittelständisches,
fränkisches Unternehmen hat dieses Experiment im Rahmen einer größeren
Umstrukturierung begonnen und die Ergebnisse sind verblüffend.
Begonnen hat es mit der Frage einer
Mitarbeiterin „Wer bin ich eigentlich im Unternehmen, wenn wir jetzt
umstrukturieren?“ (An dieser Stelle sei erwähnt, dass es sich bei der
Umstrukturierung um den evolutionären Wandel des Unternehmens von einer
hierarchischen Organisation in zu einer sogenannte Netzwerk oder
Galaxie-Organisation handelt.).
In einem ca. 1-stündigen, angeleiteten
Prozess, filterte sie selbst heraus, was ihre tatsächlichen Seins-Eigenschaften
sind, die sie in das Unternehmen einbringt und welches ihre Prinzipien sind,
die ihre Arbeit unterstützen. Es handelt sich um einen kreativen,
nicht-linearen Prozess, der Mitarbeiter ermächtigt, Verantwortung zu übernehmen
und selbst einen Titel wählen, der ihnen entspricht, der jedoch gleichzeitig
nichts mit einem gewöhnlichen Titel zu tun hat (beispielsweise kann ein
Mitarbeiter nicht aus Gutdünken heraus den Titel „Manager“ oder
„Abteilungsleiter“ wählen). Hier sind einige Beispiele für außergewöhnliche
Titel, die Mitarbeiter in besagtem Unternehmen gewählt haben:
- Knotenpunkt Organisatorin
- Menschen-Zahlen-und Event-Koordinatorin
- Evolutions-Architekt
- Möglichkeits-Abenteurerin
- Netzwerk-Mediatorin
- Verbindungs- und Koordinations-Designerin
- Struktur- und Verbindungsgeberin
- Möglichkeitsgenerierender Organisator
- Team- und Produktions-Koordinator
- Möglichkeiten- und Struktur Schmied
- Holistischer Bewusstmacher
Nehmen sie den anderen Drall wahr? Außergewöhnliche
Titel sind inspirierend und ermächtigend. Eine „Struktur und
Verbindungsgeberin“ ist z. B. etwas anderes als eine „Sachbearbeiterin
Archivierung“. Eine Möglichkeits-Abenteurerin ist etwas anderes als eine klassische
„Geschäftsführerin“ (und um das Experiment in der o. g. Firma zu
vervollständigen: in einer Betriebsversammlung legte die Inhaberin offiziell
ihren Titel als Geschäftsführerin nieder, um die hierarchische Struktur weiter
aufzulösen und so den Mitarbeitern auf Augenhöhe zu begegnen. Sie setzte den
neuen Titel sogar umgehend auf ihre Visitenkarte. Der Geschäftsführer Titel
wird nur noch aus rechtlichen Gründen in Finanzamts-Angelegenheiten verwendet).
Ein außergewöhnlicher Titel macht den Titelinhaber zu einem einzigartigen
Menschen mit individuellen sog. Hellen Prinzipien, Vorlieben, Fähigkeiten und
Aufgaben. Somit ist er nicht mehr eine schnell austauschbare Ressource, sondern
ein menschliches Unikat.
Ein außergewöhnlicher Titel ist nicht
hierarchisch und ermöglicht dadurch ein neues Spiel mit mehr Möglichkeiten. Er
ist flexibel und weit und beschreibt die „Seins-Qualitäten“ einer Person, d. h.
wie ein Mitarbeiter im Unternehmen tatsächlich wirkt (im Sinne von kreieren).
Solch eine Art Titel beschreibt das
Wesen und Potenzial der Mitarbeiter und ermöglicht ihnen ihre tatsächlichen
Talente einzubringen und zu entwickeln und kreativ und nichtlinear vorzugehen.
Durch außergewöhnliche Titel können Mitarbeiter nicht mehr in eine Schublade
gesteckt und dadurch limitiert und klein gemacht werden. Im Gegenteil: die
neuen Titel lassen die Mitarbeiter für etwas weitaus Größeres stehen. Und das
ist spürbar. Diejenigen, die bereits einen außergewöhnlichen Titel bewusst
gewählt haben, beginnen plötzlich sich in ihre neue Rolle hinein zu entfalten
und zu wachsen. Sie strahlen mehr, fühlen sich in ihrem Sein gesehen und sind
dadurch viel inspirierter.
Nun mögen Bedenkenträger sagen, dass
dies ja lächerlich sei und in der Außenwirkung (beispielsweise gegenüber
Kunden) nicht vertretbar sei. Nun, der Vorschlag an dieser Stelle ist:
probieren Sie es aus! In dem mittelständischen, fränkischen Unternehmen haben
die Mitarbeiter, die bereits einen neuen Titel gewählt haben, diesen nicht nur
in der digitalen Signatur ihrer Emails stehen, sondern auch auf ihren Visitenkarten.
Die bisherige Erfahrung ist, dass die neuen Titel Türöffner für sehr interessante
Gespräche sind. Dadurch, dass die Mitarbeiter auch für Außenstehende nicht mehr
in eine gewöhnliche Titel-Schublade gesteckt werden können, treten die Menschen,
der Kontakt und der Austausch wieder in den Vordergrund.
Und noch einmal: dieser Schritt ist
wagemutig. Und ja, es gibt Mitarbeiter, die diesen Schritt nicht sofort gehen
möchten, weil die alten Strukturen einfach noch zu stark in ihnen wirken und
die Idee, das Altbekannte zu verlassen noch zu gefährlich ist. Und das ist
absolut in Ordnung. Bei Evolution gibt es immer einige Pioniere, die in das
Unbekannte Gebiet vorangehen und Dinge zuerst neu ausprobieren, bevor andere
nachkommen können. Und auch das ist Teil der nächsten Arbeitskultur: Neue
Vorgehensweisen werden nicht einfach von oben vorgegeben, sondern entstehen aus
dem Team heraus.
Im Folgenden finden Sie nochmals eine
Aufstellung der Unterschiede zwischen einem gewöhnlichen, hierarchischen
Standardtitel und einem außergewöhnlichen Seins-Titel.
Gewöhnlicher,
hierarchischer
Standard-Titel |
Außergewöhnlicher
Seins-Titel |
Hierarchisch,
weil von „oben“ übergeben, angeordnet.
|
Nicht
hierarchisch, selbst gewählt.
|
Gehalt wird
am Titel festgemacht.
|
Gehalt wird
nicht mehr am Titel festgemacht.
|
Mitarbeiter
definiert sich und das Maß an Anerkennung über den Titel. Je höher der Titel,
desto höher die Anerkennung.
|
Mitarbeiter
definiert sich über seine einzigartigen Seins-Qualitäten.
|
Fördert
Konkurrenz.
|
Fördert
Miteinander.
|
Macht
Mitarbeiter klein.
|
Ermächtigt
Mitarbeiter zu Verantwortung.
|
Entzieht
Kraft, weil die Verantwortung für den Titel nicht beim Inhaber ist.
|
Gibt Kraft,
weil der Titelinhaber den Titel selbstverantwortlich gewählt hat.
|
Macht den
Titelinhaber zu einer leicht ersetzbaren, da austauschbaren Ressource.
|
Macht den
Titelinhaber zu einem einzigartigen Mensch mit individuellen Hellen
Prinzipien, Vorlieben, Fähigkeiten und Aufgaben. So ist er niemals ersetzbar.
|
Kann
Verwirrung erzeugen. Z. B. kann ein Geschäftsführer über Vertrieb,
Organisation, Technik usw. führen. Absicht ist oft nicht klar und lässt ein
Gegenüber im Unklaren.
|
Gibt
Klarheit über das, was ist.
|
Ist nur zufällig
authentisch.
|
Ist
authentisch.
|
Macht unfrei,
weil eher in „Stein gemeißelt“
|
Macht frei
und ist veränderbar.
|
Der Titel „Leiter
XXX“ ist in sich hierarchisch und hat hauptsächlich die Möglichkeit, linear
zu führen.
|
Neuer Titel
ist nicht hierarchisch und ermöglicht ein neues Spiel mit mehr Möglichkeiten.
|
Beschreibt
nur das Tun laut vorgegebener Jobbeschreibung.
|
Beschreibt
die „Seins-Qualitäten“, d. h. wie ein Mitarbeiter im Unternehmen tatsächlich ist
und wirkt (im Sinne von kreieren).
|
Ermöglicht
Mitarbeitern nur im Rahmen der fachlichen Kompetenz zu agieren, die dem Titel
zugeschrieben werden.
|
Ermöglicht
Mitarbeitern ihre tatsächlichen Talente und Visionen einzubringen und zu
entwickeln.
|
Ist starr
und limitierend.
|
Ist
flexibel und weit.
|
Ist auf Logik
und Linearität begrenzt.
|
Ermöglicht
Entfaltung und Nicht-Linearität.
|
Ist trocken
und langweilig
|
Ist inspirierend,
kreativ und ermächtigend.
|
Über alten
Titel wird der Mitarbeiter bei Kunden und Kollegen sofort in eine bekannte
„Schublade“ gesteckt. Der Mensch tritt in den Hintergrund.
|
Neuer Titel
beschreibt das Wesen und Potenzial des Mitarbeiters und ist Türöffner für
interessante Gespräche. Der Mensch tritt in den Vordergrund.
|
Sind Sie bereit für dieses
außergewöhnliche Experiment?
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