Sonntag, 16. Oktober 2011

Der Verstand ist ein Zoo - Wie uns Stimmen im Kopf manipulieren

Der Verstand ist ja schon brillant. Er produziert unaufhörlich Gedanken, kann komplexe Dinge analysieren und beleuchten oder gar logische Argumente in einer Diskussion liefern. Wir haben ihn all die Jahre wohl genährt: in der Schule, in der Uni, in der Ausbildung, im Job, durch zig Bücher, Zeitungen oder das Internet. Manchmal kann der Verstand aber auch zur echten Qual werden. Sie kennen das vielleicht: Sie liegen abends im Bett, sind eigentlich hundemüde, aber die Gedanken rasen unaufhörlich weiter. Oder Sie wollen eine Entscheidung treffen und hören in Ihrem Kopf permanent die Argumente für und wider.

Der Verstand rattert und rattert und rattert. Selbst wenn wir nicht aktiv mit jemandem sprechen, ist trotzdem oftmals eine Konversation im Kopf zugange. Es scheint als würde permanent eine Stimme plappern: „Mach dies so….Nein, tu das lieber nicht…Das kann ich nicht…Wie soll ich mich nur entscheiden…ob das wohl richtig war…ich bin überfordert…ja, da geht’s lang…was wäre, wenn… ich bin nicht gut genug…das kann man doch nicht machen, …etc.“ Die Stimmen reden, gehen noch einmal die Situation vorhin mit dem Partner durch oder kommentieren das, was der Chef heute Morgen gesagt hat. Sie werden vielleicht sagen „Nun ja, es sind einfach die Gedanken, die fortlaufend durch den Kopf schießen.“ Wie wäre es jedoch für Sie, wenn es Stimmen sind, die nicht Ihnen gehören und die nur die Absicht haben, Sie fortlaufend zu manipulieren?

Wie bitte? Stimmen, die nicht mir gehören? Richard David Precht, Philosoph, Publizist und Autor hat einen Buchtitel heraus gebracht, den ich an dieser Stelle gerne ausleihen möchte, denn der Titel fasst das heutige Thema genial zusammen: „Wer bin ich und wenn ja, wie viele?“

Sie werden womöglich die Frage stellen, ob es jetzt um Schizophrenie geht. Doch darum geht es keineswegs. Jeder Mensch hat verschiedene Identitäten, die er in bestimmten Situationen annimmt. Stellen Sie sich zum Beispiel vor, Sie unterhalten sich mit einem Bekannten. Das Telefon klingelt, er geht ran und sagt: „Hallo Mama,…“ Sie können genau beobachten, welche Stimme, Rolle und Haltung er einnimmt, während er mit seiner Mutter spricht. 5 Minuten später geht wieder das Telefon und es ist sein Geschäftspartner. Sie werden merken, wie er auf eine ganz andere Art und Weise mit ihm spricht. Die Tonlage, die Wortwahl, die Mimik und die Gestik werden eine andere sein. Wir können also verschiedene Identitäten annehmen, je nachdem, was die Situation erfordert.

Genauso, wie es diverse Rollen gibt, die wir einnehmen können, gibt es zahlreiche Stimmen, die uns im Leben unbewusst dirigieren. Wie viele von Ihnen kennen zum Beispiel eine Stimme, die gelegentlich sagt „Das kann ich nicht“ oder „Ich weiß nicht, wie ich das machen soll“? Na, seien Sie ehrlich. Fast jeder hat diese Stimme schon einmal gehört. Das kann sich auf ganz unterschiedliche Situationen beziehen, z. B. sollen sie eine Rede halten, ein Menü für 30 Personen kochen, das neue Großkundenprojekt übernehmen, ihrem Partner eine Grenze setzen oder auf eine Party gehen, wo sie keinen Menschen kennen.

Es gibt beliebig viele Beispiele, die wir hier auflisten könnten. Angenommen also Sie stehen vor einer Herausforderung, z. B. sollen Sie das erste Mal über eine Slack-Line laufen. Das ist dieses neuartige, trendige Band, das zwischen zwei Bäumen gespannt wird und über das Sie balancieren können. Was geht dann in Ihrem Kopf ab? Vielleicht sagt eine Stimme „Ich kann das nicht“, „So ein Quatsch.“ Vielleicht sagt auch eine Stimme „Okay, los geht’s“, oder aber „Oh, ich weiß nicht ob das gut geht. Ich könnte runterfallen und mich verletzen.“ Angenommen, sie wagen das Experiment balancieren zwei Schritte auf dem Seil, verlieren das Gleichgewicht und plumpsen auf den harten Boden. Was sagt der Verstand? Hören Sie z. B.: „Siehste, habe ich doch gleich gesagt, dass das eine Schnapsidee ist“ oder „Oh, das war wohl nichts. Los, gleich noch einmal probieren.“

Es gibt nicht nur eine Stimme, die in unserem Kopf rumspukt. Es gibt eine ganze Stimmenkultur. Der Verstand ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Zoo und die Konversationen dieser Stimmen sind sehr unterhaltsam. Da können Sie jedes Kabarett und jede Comedy Sendung im Fernsehen vergessen. Die Comedy im Kopf ist spannender als Kino. Es ist sehr nützlich, sich der Hauptcharaktere in Ihrem Kopf bewusst zu werden, denn noch einmal: es sind Stimmen, die nicht Ihnen gehören und die Sie entweder blockieren oder manipulieren können.

Lassen Sie mich ein persönliches Beispiel geben: Bei mir gibt es neben diversen Nebendarstellern, 4 Haupt-Stimmen, die sich gerne einmischen. Die erste Stimme habe ich Püppi getauft. Püppi ist die Stimme vom kleinen, schüchternen Mädchen, das sagt: „Ich weiß nicht, ob ich das kann. Das lass ich lieber. Das ist vielleicht keine gute Idee.“ Als zweites gibt es Lola. Lola ist der derbe Charakter, der immer noch in die Kerbe von Püppi reinhaut: „Wie soll das auch funktionieren. So ein Quatsch. Habe ich Dir doch gleich gesagt, dass das nicht funktioniert. Das wird nie was.“ Die 3. Stimme gehört Goofy (sie kennen vielleicht noch diesen tolpatschigen, schläfrigen Hund aus der Mickey Maus Zeit). Goofey ist ein bißchen träge und sagt manchmal: „Och nööö, lass uns das später machen. Ich mag jetzt nicht.“ Schließlich gibt es noch eine 4. Stimme ganz anderer Ausrichtung. Diese Stimme habe ich Rickie getauft. Rickie ist die Stimme einer robusten Antreiberin, die alles andere als aus Zucker ist. Wenn Rickie die Bühne betritt, können Püppi, Lola und Goofy sich warm einpacken, denn Rickie sagt in etwa folgendes: „Püppi, Lola, Goofy Klappe halten. Nicola, beweg Dich uns zwar pronto“.

Die Stimmen sind sehr vielfältig und es ist sehr lohnenswert, sich bewusst zu machen, welche Stimme gerade aktiv ist. Ich möchte Sie daher zu folgendem Experiment einladen:

EXPERIMENT 1: Welche Stimmen sind aktiv und wem gehören sie?
Setzen Sie sich einen Moment ruhig hin. Beobachten Sie nun bewusst Ihren Verstand. Welche Stimmen kommen jetzt gerade auf, während Sie z. B. so da sitzen und nichts tun? Was sagen die? Der ein oder andere mag jetzt sagen „Ich höre keine Stimmen.“ In dem Fall lade ich Sie ein, einfach einmal simpel an die Wand zu starren. Wenn Sie das tun, wird schon die erste Stimme fragen: „So ein Quatsch, warum soll ich jetzt an die Wand starren?“ Sie können auch Situationen vom Tag Revue passieren lassen. Die Diskussion mit dem Kollegen, den Streit mit dem Partner, das nette Gespräch mit dem Chef. Achten Sie einfach einmal bewusst darauf, welche Gedanken dazu hochkommen und welche Stimmen diese Situationen kommentieren.

Identifizieren Sie im zweiten Schritt diese Stimmen. Wem gehören Sie? Gehört die Stimme einer Autoritätsperson, einem Elternteil, Lehrer, Chef, der genau das immer gesagt hat? Gehört die Stimme eher einem kleinen bedürftigen Kind? Sie können auch Charaktere aus der Geschichte oder aus Film und Fernsehen nehmen. Wem gehört die Stimme? Geben Sie jeder markanten Stimme einen konkreten Namen, z. B. „Das hat mein Vater Otto immer zu mir gesagt, diese Stimme heißt Otto.“ Oder „Diese Stimme erinnert mich an einen patzigen, kleinen Jungen, der nur Unfug im Kopf hatte, ich nenne ihn Suppenkasper.“ Seien Sie ehrlich und konkret. Vielleicht gibt es auch eine Stimme, die arrogant von oben herab redet und Sie an einen Schulkollegen erinnert, der Sie regelmäßig gepiesackt hat. Vergeben Sie wirklich konkrete Namen. Dadurch haben Sie die Möglichkeit, jede Stimme, sobald sie auftaucht, genau zu identifizieren. Jede Stimme stellt ein ICH dar.

EXPERIMENT 2: Welches ICH spricht gerade?
Wenn Sie sich das nächste Mal in einer Situation befinden, in der Sie etwas bewerten („Wie kann man nur so handeln. Der Kollege hat wohl nicht alle Tassen im Schrank) oder zögern, weil Sie meinen, Sie könnten etwas nicht („Ich kann das nicht. Ich bin nicht gut genug. Das wird nie was.“), oder auch wenn Sie sich nicht entscheiden können und diverse Stimmen in Ihrem Kopf eine Argumentation für und wider etwas starten, dann sagen Sie in dem Moment einmal STOP! Halten Sie inne und fragen Sie sich, welches ICH gerade am Steuer sitzt. Ist es eine ängstliche, weinerliche Kinderstimme, die Sie manipuliert und Ihrer Kraft beraubt? Oder ist es vielleicht die Stimme einer Autorität, die Ihnen sagt, dass es eine absolute Schnapsidee ist, Ihrer Freude zu folgen und eine verrückte Unternehmung zu machen? Was immer es auch für eine Stimme sein mag, werden Sie sich Ihres Zoos bewusst. Werden Sie sich der Stimmen bewusst, die Sie manipulieren. Es sind nicht Ihre Stimmen und mit diesen Stimmen im Kopf haben Sie keine Kraft.

„AHA!“ werden jetzt einige Leser denken. „Und was mache ich nun, wenn diese Stimmen da sind und nicht aufhören zu plappern?“ Eine berechtigte Frage, die mich gleich zum nächsten Experiment bringt.

EXPERIMENT 3: Benutzen Sie Ihren Stimmen-Colt
Für dieses Experiment brauchen Sie Ihre Vorstellungskraft. Idealerweise machen Sie dieses Experiment im ersten Schritt für sich in einem Raum, wo keine anderen Menschen sind. Es könnte für andere nämlich ziemlich verrückt aussehen, da Sie in diesem Experiment die Stimmen, die permanent in Ihrem Kopf quasseln, mit einem sogenannten STIMMEN-COLT abschießen werden. Stellen Sie sich vor, sie haben einen imaginären Werkzeuggürtel mit allerlei Utensilien um Ihre Hüfte hängen. An diesem Gürtel befindet sich rechts hinten, in Höhe der rechten Pobacke ein imaginärer Revolver. Greifen Sie nun einmal nach hinten und ziehen Sie ihn langsam aus dem Halfter. Halten Sie ihn vor sich und schauen Sie sich Ihren ganz persönlichen Stimmen-Colt an. Wie sieht er aus?

Los, machen Sie sich diesen Spaß. Wir sind in unserer Gesellschaft so von Normen, Regeln und Vorgaben eingeengt, dass wir in Momenten, in denen wir etwas machen sollen, was wir normalerweise nicht tun, denken „So ein Quatsch!“. Wenn Sie diesen Satz, diese Stimme jetzt gerade in Ihrem Verstand hören, ziehen Sie sofort Ihren Stimmen-Colt, richten ihn in die Luft auf die Stimme und knallen sie mit dem Wort „PENG!“ ab. Es ist ein Spaß, ehrlich und es funktioniert auch noch. Probieren Sie das einmal.

Wir waren also dabei, wie Ihr Colt aussieht. Welche Farbe hat er? Wie groß ist er? Aus welchem Material ist er? Wie sieht der Griff aus? Ist er aus dem gleichen Material, wie der Lauf oder vielleicht aus Holz? Haben Sie Ihren Colt ganz klar vor Augen? Prima. Achten Sie darauf, dass er nicht die Größe eines Gewehrs hat, denn das ist etwas hinderlich mitzuschleppen. Er sollte von der Größe her so sein, dass Sie ihn immer schnell ziehen können, jederzeit.

Jedes Mal, wenn Sie also Stimmen (Gedanken) in Ihrem Kopf haben, die Sie an etwas hindern, Sie zögern lassen, Sie runterziehen, Sie rum-eiern und keine Entscheidung fällen lassen, Dinge hinaus zögern, oder ähnliches, ziehen Sie sofort Ihren Stimmen-Colt. PENG! Die Stimmen kommen oftmals auch in sehr kurzen Abständen hintereinander, dann schießen Sie sie einfach hintereinander ab PENG! PENG! PENG! Und machen Sie für’s erste wirklich die Bewegung und das Geräusch: Colt ziehen, die Hand in die Luft strecken und auf die Stimme zielen, PENG!. Vergessen Sie danach nicht, den Rauch aus dem Revolver-Lauf kurz wegzublasen und den Colt wieder in den Halfter zu stecken.

Sie können auch bewusst einmal 5 Minuten durch Ihre Wohnung oder Ihr Haus laufen und die einzelnen Stimme im Verstand wahrnehmen, jedes Mal innehalten, sie abschießen und dann wieder weiterlaufen. Das kann sich z. B. folgendermaßen anhören: „Oh man, wie sieht’s denn hier aus? PENG! Das Bild hängt schief. PENG! Du müsstest echt mal wieder saubermachen. PENG! Die Rechnung auf dem Schreibtisch ist immer noch nicht bezahlt. PENG!...“

Das Tolle ist, Sie haben eine unbegrenzte Anzahl an Kugeln in dem Stimmen-Colt. Sie brauchen also nicht sparsam sein, wenn Sie Stimmen abschießen und Sie müssen sich auch keine Gedanken über das Nachladen machen. Achten Sie wirklich einmal auf all die Stimmen in Ihrem Verstand. Welche Stimme sagt Ihnen genau was? Wem gehört die Stimme? Wer hat das in der Vergangenheit oft zu Ihnen gesagt, sodass sich diese Stimme in Ihrem Verstand einnisten konnte?

Die Sache ist die: Wenn Sie fortlaufend Stimmen hören und im Kopf Diskussionen führen, dann sind Sie nicht wirklich im JETZT präsent. Stimmen und Geschichten passieren auf einer Zeitlinie, also entweder in der Vergangenheit oder in der Zukunft. Sie passieren nicht im JETZT, in diesem Augenblick. Wenn Sie also eine herrliche Konversation im Verstand führen, dann denken Sie entweder über etwas nach, dass schon passiert ist, also in der Vergangenheit liegt, oder über etwas, das in der Zukunft liegt. Wenn Sie zum Beispiel heute schon eine Konversation im Verstand durchgehen, die Sie morgen real mit Ihrem Kollegen in der Arbeit führen wollen, dann sind Sie nicht im JETZT präsent. Sie leben in der Zukunft oder in der Vergangenheit und da haben Sie keine Kraft. Sie können nicht verändern, was vor 3 Sekunden passiert ist und auch nicht, was in 3 Sekunden sein wird, weil es noch nicht da ist.

Wenn Sie wirklich im JETZT präsent und damit in Ihrer Kraft sind, dann hören Sie keine Stimmen, sondern können sich bewusst und zentriert bewegen und als Erwachsener so agieren, wie es die Situation erfordert. Es kann übrigens sein, dass einige Stimmen in Ihrem Verstand immer wiederkehren, obwohl Sie diese bereits abgeschossen haben. Lassen Sie sich davon nicht irritieren. Wenn uns über viele Jahre von verschiedenen Autoritätspersonen immer wieder Kommentare oder Sätze eingetrichtert wurden, dann können diese Stimmen sehr hartnäckig sein. Schießen Sie sie einfach erneut ab. PENG! Mit der Zeit werden die Stimmen weniger oder verschwinden.

Sie können das Stimmenspiel auch ausweiten. Wenn Sie z. B. das Menü für 30 Personen kochen sollen und Sie hören z. B. eine Stimme „Oh je, ich weiß nicht, wie. Ich kann das nicht.“, dann schießen Sie die Stimme zu nächst ab. PENG! Stellen Sie sich anschließend die Frage:“ „Wer könnte es?“ Dann kommen Sie vielleicht auf Alfons Schuhbeck. Stellen Sie sich dann die Frage: „Was würde Alfons Schuhbeck jetzt sagen oder tun?“ Wechseln Sie dann einfach für die Zeit des Menü-Kochens die Identität. Sie werden erstaunt sein, welche neuen Möglichkeiten sich plötzlich auftun.

Ich lege Ihnen sehr ans Herz, Ihren Stimmen-Colt regelmäßig zu benutzen. Legen Sie ihn niemals zur Seite, sondern haben Sie ihn jederzeit griffbereit, damit Sie alle Stimmen, die Sie manipulieren und runterziehen wollen, gleich ins Jenseits befördern können.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine experimentierfreudige Zeit.

Beste Grüße,
Ihre Nicola Nagel

Nicola Nagel ist Possibility Management Trainerin aus Berufung und bietet außergewöhnliche Trainings an, in denen die Teilnehmer in einem geschützten Raum nachhaltig ihr Potenzial entfalten können.

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