Montag, 12. November 2012

Spieglein Spieglein an der Wand...Vom fatalen Streben nach Perfektionismus!



Ja, wer ist denn nun die Schönste, die Tollste, der Beste, der Schlauste  im ganzen Land? In Zeiten von Germany’s Next Top Model, Deutschland sucht den Superstart und diversen Quiz-Shows wird mehr denn je deutlich, wie sehr die Menschen in der modernen Gesellschaft nach Perfektion und Anerkennung streben. Höher, weiter, besser, schöner, schlauer ist das Motto. Es wird gestylt, geprobt, gekämpft und ausgetrickst, was das Zeug hält. Wo man hinblickt, lächeln marionetten-gleiche, aalglatte Hartschalen-Kreaturen von irgendwelchen Werbepostern und versuchen uns glauben zu machen, dass wir diesem Ideal folgen müssten. Das traurige ist, dass es vielfach auch noch funktioniert. Viele Menschen scheinen bewusst oder unbewusst in verschiedensten Bereichen nach Perfektion zu streben, sei es in kleinem oder großem Maße. Wir suchen das perfekte Outfit, den perfekten Job, den perfekten Partner, den perfekten Urlaub, die perfekte Wohnung oder meinen einen perfekten Kuchen backen zu müssen. Dabei ist Perfektion eine absolute Illusion. Und nicht nur das. Der Illusion der Perfektion zu erliegen, hat zudem einen sehr hohen Preis: Authentizität, Lebendigkeit und Kraft bleiben dabei schnell auf der Strecke.  

Was veranlasst uns also, perfekt zu sein, oder zu meinen perfekt sein zu müssen?

Kürzlich stellte ich in einem Training folgende Frage: „Was würde passieren, wenn Ihr den Anspruch, perfekt zu sein, aufgeben würdet?“ Nach einem Stutzen, das zunächst so viel zu sagen schien wie „Ähm, wie bitte, nicht mehr perfekt sein?“ kam die Antwort von mehreren Teilnehmern sehr prompt: „Puuh, dann könnte ich mich wirklich entspannen.“

Ja, warum tun wir es dann nicht? Warum hören wir nicht einfach auf, perfekt zu sein und einer Illusion hinterher zu rennen, die selbstmörderisch ist? Es scheint als hätten die Menschen in der modernen Gesellschaft einen unbewussten, automatisch laufenden Perfektions-Mechanismus in ihrem Hirn eingebaut.

Dieser Perfektionsmechanismus kann dabei sowohl sehr offensichtlich als auch ganz subtil zu Tage treten. Das offensichtliche Streben nach Perfektion kommt uns täglich auf Werbeplakaten, in Zeitschriften und Fernseh-Shows entgegen. Es ist eine regelrechte Perfektions-Manipulation, die da sagt, „Wenn Du nicht dies kaufst, oder so bist, dann bist Du out“.

Bereits im Kindesalter werden wir damit konfrontiert, spätestens in der Schule. Wer schlechte Noten hat und sich nicht „angemessen“ – sprich nach gesellschaftlichen Normen perfekt – verhält, fliegt raus bzw. darf eine Klasse wiederholen. In der Ausbildung, dem Studium und im Job geht es auf dieser Schiene gerade weiter. Ständig wird uns suggeriert, wir müssen Leistung bringen und alles möglichst perfekt machen, damit wir akzeptiert und anerkannt werden.

Und genau da liegt doch der Hase im Pfeffer: Wir wollen akzeptiert werden. Wir wollen dazu gehören. Wir wollen Teil der Gesellschaft sein. Doch woher kommt dieses Bedürfnis der Zugehörigkeit? Das zu erforschen lohnt sich und stellt unter Umständen die ganze aktuelle Gesellschaftsstruktur in Frage.

Menschen sind von Natur aus keine Einzelkämpfer. Menschen sind „Rudeltiere“. Das ist bei indigenen Völkern noch sehr schön zu sehen, denn sie leben in Stämmen. Genau das ist unsere Natur. Wir haben ursprünglich in Gemeinschaft gelebt, hatten unseren Stamm und wussten dadurch, wo wir hingehören, wo unsere Wurzeln sind. Kürzlich las ich ein Buch von Martín Prechtel. In „Die Geheimnisse des Jaguars“ beschreibt er seinen Weg, der ihn in ein Maya Dorf in Guatemala führte. In diesem Dorf lebt ein spezieller Volks-Stamm der Maya und bei seiner Ankunft wurde Prechtel gefragt „Wo ist Dein Stamm?“ Als er antwortet „Ich habe keinen Stamm, ich lebe alleine“, konnten die Dorfbewohner es nicht fassen und sagten „Was, Du hast keinen Stamm? Wie furchtbar, dann bist Du ein Waise.“

Früher war es selbstverständlich in größeren Gemeinschaften oder Familien-Clans zu leben. Sie boten einen gewissen Halt und haben die Menschen permanent an ihre Wurzeln erinnert. Innerhalb einer Gemeinschaft, konnte man so sein, wie man war, mit all seinen Facetten. Man war Teil dieser Gemeinschaft, egal, ob man „gut drauf“ war, oder nicht.

Und heute? Heute leben 95% der Menschen in der modernen Kultur in ihrem eigenen Appartement oder Haus, kennen ihre Nachbarn mit viel Glück vom Sehen und haben maximal ihre direkte Familie mit Ehefrau/-mann und Kindern um sich. Allein in Deutschland liegt der Prozentsatz von Alleinstehenden bei 43%, in Städten sogar bei 50%. 43% der deutschen Bevölkerung lebten mit einem Ehepartner. Wo finden die Menschen heute also noch wahre Unterstützung und Zugehörigkeit?

Die Zugehörigkeit zu einem Stamm ist immer noch in uns. Doch die moderne Kultur fördert kein „Stammesleben“. Da der ursprüngliche Stammes-Rückhalt fehlt, beginnen die Menschen also in ihren isolierten Wohnungen und Häusern nach Ersatz zu suchen. Das tief sitzende Verlangen dazu zu gehören, führt dazu, dass sie den Medien und Marketing Agenten glauben, die ihnen vorgeben, wie sie zu sein haben, damit sie in der modernen Gesellschaft dazu gehören. Die Menschen wollen Teil von etwas sein. Nur deswegen funktioniert dieser ganze Werbe- und Marketing-Kram. Es wird manipulativ mit der unbewussten Angst der Menschen gearbeitet, nicht dazu zu gehören. „Wenn Du dieses Produkt nicht kaufst….dann gehörst Du leider nicht dazu. Dann bist Du nicht schön genug, gut genug, cool genug.” Schauen Sie sich die jungen Leute von heute an. Die meisten versuchen irgendetwas darzustellen und zuweilen ist es sogar offensichtlich, welchen Star oder welches Model sie gerade nachahmen. Traurig, aber wahr.

Das Absurde ist, dass Perfektionismus nichts anderes als falsche Sicherheit ist. Wir meinen, wir sind sicher, wenn wir perfekt sind und den Normen der Gesellschaft oder der Firma, für die wir arbeiten, entsprechen. Wir klammern uns an Vorgaben um uns „sicher“ zu fühlen. Doch alles, was wir mit Perfektionismus erreichen ist, dass wir uns von uns selbst abschneiden, von unserer eigenen Authentizität und Weisheit und damit innerlich unsicherer sind denn je. Wir betrügen uns selbst und - noch schlimmer - machen uns unbewusst auch noch selbst fertig, wenn wir nicht perfekt sind.

Wie viele von Ihnen haben z. B. schon einmal einen Fehler gemacht und dann in Gedanken gesagt „Oh man, Idiot, warum hast Du nicht aufgepasst“ oder „Na toll, das hätte ich aber auch besser machen können“ oder „Ach neee, jetzt habe ich das schon wieder vergessen“.

Kennen Sie solche Sätze? Ich vermute, jeder kennt sie. Doch machen Sie sich einmal bewusst, was dahinter steckt. In dem Moment, wo Sie solch einen Satz auch nur denken, holen Sie unbewusst die 9-schwänzige Geißel raus und bestrafen sich selbst für das, was eben NICHT perfekt war.

Perfektionismus ist nichts anderes als eine Überlebensstrategie. Wie eingangs erwähnt, kann sich das Streben nach Perfektion dabei sehr offensichtlich oder auch subtil zeigen. Offensichtlicher Perfektionismus kann sich zum Beispiel auch in Neurosen zeigen, zum Beispiel wenn jemand meint, dass Tomaten immer in Scheiben geschnitten werden müssen und keinesfalls in Würfel oder jemand ohne Maniküre alle 2 Tage nicht leben kann. Alles kann neurotisch werden: Ordnung, Putzen, akribische Genauigkeit (Erbsenzählen), Schönheitswahn, etc. Ich bin mir sicher, Ihnen fallen sofort neurotische Beispiele ein, vor allem von anderen Menschen. Kennen Sie zum Beispiel den Film „Der Feind in meinem Bett“ mit Julia Roberts? Uuuuh, da können Sie eine zerstörerische Ordnungs-Neurose erleben.

Es gibt jedoch auch die ganz subtilen Perfektions-Dramen und das sind eben die, die sich in Ihrem eigenen Kopf abspielen. Und sie spielen sich ab, wenn Sie sich laut oder leise sagen hören “Verdammt…so was blödes.“

Wenn wir versuchen, den Idealen der modernen Kultur zu entsprechen, um uns zugehörig zu fühlen, bauen wir unsere Hütte auf Treibsand. Doch wie können wir aus diesem Perfektions-Zugehörigkeits-Teufelskreis ausbrechen? Wie können wir authentisch über unser eigenes Nicht-Perfekt-Sein werden, gleichzeitig innere Stabilität erhalten und aus dem heraus wahrhafte Beziehungen aufbauen, die unsere Sehnsucht nach Zugehörigkeit stillen?


Experiment 1: Aufdecken des Perfektions-Mechanismus

SCHRITT 1:
Nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit und Papier und Stift zur Hand. Blicken Sie einmal auf die letzten 3 Tage zurück. Schreiben Sie nun einmal die offensichtlichen Perfektions-Versuche auf. Wann haben Sie versucht, etwas perfekt zu machen? Für wen oder warum wollten Sie es perfekt machen? Seien Sie ehrlich. Ihr Ego wird diese Übung hassen, denn Sie decken gerade eine Überlebensstrategie auf. Lassen Sie sich einfach nicht beirren und seien Sie authentisch gegenüber sich selbst.  Vielleicht haben Sie den Bericht für den Chef noch 5mal überarbeitet und das Layout noch zig mal schöner gemacht. Oder Sie haben die Hemden und Blusen perfekt gedämpft und akribisch darauf geachtet, dass ja kein Knick mehr zu sehen war.

SCHRITT 2:
Nun geht es an die subtilen Perfektions-Versuche bzw. Selbst-Geißelungen. Blicken Sie wieder auf die letzten 3 Tage zurück. Wann ist vielleicht etwas schief gegangen und Sie haben gedacht (oder zu sich gesagt) „Oh man…..blöd... das hätte ich besser machen können…da habe ich geschlafen…“ Es gibt zig Situationen am Tag, wo wir uns unbewusst bewerten. Vielleicht haben Sie beim Frühstück ein wenig Kaffee vergossen („Oh man, sowas blödes“), oder Sie sind etwas spät zu einem Termin losgefahren („Verdammt, hoffentlich komme ich nicht zu spät“), oder Sie sehen, dass in der Präsentation für den Kunden ein Tippfehler drin ist („Verflixt, wie unprofessionell“). Schreiben Sie wirklich alles auf.

SCHRITT 3:
Nun schauen Sie auf Ihre Liste und spüren Sie einmal hin, wie sich dieser Perfektionsanspruch anfühlt. Machen Sie sich bewusst, wie unbewusst dieses Programm  läuft. Anstrengend, oder?

Das Paradoxe an der Geschichte ist, dass die meisten Menschen sich danach sehnen, einfach so angenommen zu werden, wie sie sind, doch gleichzeitig diesen Perfektions-Mechanismus laufen haben. Und genau das ist ein ziemlich großer Konflikt. Offensichtlich wird dieser Konflikt, wenn wir uns das Thema Beziehung in der heutigen Gesellschaft anschauen. Wie viele Menschen sehnen sich nach einer aufrichtigen, authentischen Beziehung, in der sie so sein können, wie sie sind, suchen jedoch gleichzeitig den perfekten Partner? Sie suchen den perfekten Partner, bei dem sie nicht perfekt sein müssen. Da passt doch etwas nicht zusammen.

Wie kommen Sie also nun aus diesem Kreis heraus, nachdem Sie aufgedeckt haben, wo Ihr Perfektionsmechanismus täglich unbewusst läuft? Hier sind einige hilfreiche Möglichkeiten:


Finden Sie den Anker in sich
Ein entscheidender Schritt ist, dass Sie lernen, sich in sich selbst zu verwurzeln, sprich sich zu zentrieren. Wenn Sie zentriert sind, sind Sie nämlich Ihre eigene Autorität und müssen keinen Idealen oder Vorstellungen mehr genügen. Dann sind Sie in sich verankert, egal, was um Sie herum passiert. Aus einer zentrierten Grundposition heraus – ähnlich wie z. B. beim Aikido, Ballett oder Fechten – können Sie sich überall hinbewegen und Sie kann nichts aus der Bahn werfen (Details zum Zentriert-Sein finden Sie auch im Artikel „2011-08-24 Seien Sie Ihre eigene Autorität“ auf http://www.viva-essenza.com/50/Publikationen.html ).


Selbst-Beobachtung
Beginnen Sie, sich selbst permanent zu beobachten und den Perfektionsmechanismus aufzudecken. Und bitte, wenn Sie eine Situation entdeckt haben, dann geißeln Sie sich nicht dafür, dass der Modus schon wieder aktiv war. Dieses Streben nach Perfektion ist wirklich tief in uns verankert und es braucht eine Zeit an Selbst-Beobachtung um dem auf die Schliche zu kommen.

Keine Bewertung
Wenn Sie feststellen, dass Sie (oder auch andere) etwas nicht perfekt gemacht haben, dann hören Sie auf zu bewerten. Sie oder jemand anderes hat einen Fehler gemacht oder es eben so gut gemacht, wie es ging und es war nicht perfekt. Ja und? Es ist wie es ist. Punkt. Keine weitere dramatisierenden Geschichten bitte. Wenn Sie aufhören, bewertenden Geschichten an die Handlungen und Ereignisse zu knüpfen, werden Sie feststellen, dass das Leben sehr viel leichter wird. Bewertungen killen Beziehung, und zwar die Beziehung zu sich selbst und zu anderen gleichermaßen. Lernen Sie, die Dinge neutral zu sehen. Etwas ist wie es ist. Nur das. Sonst gar nichts. Es ist absolut neutral.

Erzählen Sie bewusst eine neue, lebendige Geschichte
Diesen Punkt erläutere ich am besten anhand eines persönlichen Beispiels von heute. Ich stehe in der Küche und freue mich auf einen schönen Espresso. Zur Zubereitung benutze ich eine dieser traditionellen Achtkant-Kannen, die man auf die Herdplatte stellt. Dort kommt normalerweise unten das Wasser rein, in die Mitte der Trichter mit dem Espresso-Pulver und oben schraubt man dann das Kännchen drauf, in dem der Espresso landet, wenn er aufgekocht ist. So, gesagt getan, ich schraube also alles zusammen und als ich ein Brodeln höre, freue ich mich, in der nächsten Sekunde, den Espresso in meine Tasse zu gießen. Ich gieße also los und…es kommt ein gelbliches Wasser heraus. Wäre ich im Perfektionismus-Modus gewesen, hätte eine innere Stimme gesagt „Na toll Frau Nagel, da haste ja mal voll gepennt und vergessen, das Espresso-Pulver in den Trichter zu tun.“ Stattdessen habe ich es nicht bewertet und nur „Oh!“ gesagt. Im nächsten Moment habe ich mich kaputt gelacht und bewusst eine nicht-lineare Geschichte dazu erzählt, die da lautete: „Wow, cool, schau mal, das ist ein nicht-linearer Piraten-Espresso à la Captain Jack Sparrow und das Tolle ist, dass die Kanne gleichzeitig einmal komplett durchgespült wurde. Okay und jetzt mal sehen, wie im Vergleich dazu ein italienischer Espresso aussehen würde.“ Statt Perfektion hatte ich einen Heidenspaß. Probieren Sie also mal aus, anstatt der 9-schwänzigen Geißelgeschichte bewusst eine andere Geschichte zu erzählen (und auch die muss nicht perfekt sein. Spielen sie damit).

Seien Sie bewusst unperfekt
Uuuh, das ist ein gemeines Experiment. Das Experiment besteht darin, dass Sie etwas, das Sie normalerweise perfekt machen, einmal bewusst nicht perfekt machen. Bei Ihnen in der Wohnung ist immer eine perfekte Ordnung? Nun, dann legen Sie doch einmal bewusst 3 Bücher unordentlich auf den Fussboden und lassen Sie sie dort 2 Tage liegen. Sie schneiden das Brot mit dem Messer sonst perfekt1cm breit? Okay, schneiden Sie bewusst unperfekt eine schiefe Scheibe ab, die alles andere als 1cm breit ist. Diese Übung wird Ihr perfektions-getrimmtes Ego durchdrehen lassen, denn es ist darauf trainiert zu überleben und irgendwie dazu zu gehören. Lassen Sie es ausflippen und spüren Sie einmal, wie sich gleichzeitig ein anderer Teil in Ihnen entspannt und lebendig wird. Ihre Handtasche oder Ihr Aktenkoffer steht normalerweise perfekt aufgeräumt in der linken Schrank-Ecke? Prima, lassen Sie ihn einfach mal unperfekt mitten im Flur rumstehen.

So, nun haben Sie also bereits begonnen, Ihren unbewussten Drang nach Perfektion zu durchschauen und zu durchbrechen. Wie sieht es nun im nächsten Schritt mit dem Bedürfnis der Zugehörigkeit aus? Zugegeben, das ist ein Experiment, dass Sie womöglich ein wenig fordert. Denn bei dem folgenden Experiment geht es darum, authentisch mit Menschen in Beziehung zu treten und wieder Gemeinschaft zu leben.


Experiment 2: Aufbau von authentischen Beziehungen
In einer Gesellschaft, die nach Perfektion strebt, authentische Beziehungen aufzubauen, kann eine Herausforderung sein. Authentische Beziehung bedeutet nämlich, dass Sie die Menschen hinter Ihre Maske schauen lassen, die Sie über so viele Jahre mühevoll aufgebaut haben, um dem Gesellschafts-Ideal zu entsprechen und zu überleben. Doch wenn Sie erst einmal mit diesem Experiment anfangen, werden Sie feststellen, dass Sie bei anderen Menschen offene Türen einrennen, weil diese sich gleichermaßen nach authentischer Verbindung sehnen. Denken Sie bei diesem Experiment daran, dass Angst einfach nur Angst ist. Ohne Bewertung. Und Sie müssen es nicht perfekt machen.

Ein erster Schritt würde zum Beispiel darin bestehen, dass Sie aufhören oberflächlichen Small Talk zu machen und beginnen, über Ihre Gefühle zu sprechen. Wenn Sie gefragt werden, wie es Ihnen geht, wäre die alte Antwort womöglich „gut“. Sie können aber auch authentisch sagen, wie Sie sich in dem Moment fühlen, z. B. „Ich traurig, weil ich es heute nicht pünktlich aus dem Büro schaffe, um die Kinder noch vor dem Schlafengehen zu sehen. Und gleichzeitig freue ich mich, weil wir am Wochenende gemeinsam einen tollen Ausflug machen werden.“ Hören Sie einfach auf, den perfekten Schein „Alles bestens, alles prima“ zu wahren, der in unserer Spaß-Gesellschaft allgegenwärtig ist. Sie fühlen etwas (Wut, Angst, Trauer, Freude). Vielleicht bewegt Sie etwas. Teilen Sie das mit. Sie können sogar im Büro damit beginnen. Wenn Ihnen im Meeting etwas aufstößt können Sie sagen „Ich habe Angst, weil der Kunde diesen Änderungsvorschlag womöglich nicht akzeptiert.“ Werden Sie authentisch.

Und: schauen Sie Ihrem Gegenüber wirklich einmal in das Zentrum eines Auges, in eine der Pupillen. Die meisten Menschen schauen bei Gesprächen auf die Stirn, die Nase oder die Nasenwurzel des Gegenübers. Doch dadurch vermeiden Sie wahrhaften Kontakt. Es mag sich vielleicht die ersten Male beängstigend anfühlen, denn diese Art des Schauens ist intensiv und wir sind es in der Regel nicht gewohnt, jemanden so anzusehen oder gesehen zu werden. Doch auch hier gilt, werden Sie nicht neurotisch. Starren Sie nicht. Haben Sie einfach die Absicht, wahrhaft in Kontakt zu treten. Und wenn Sie Angst spüren, atmen Sie einfach weiter. Angst ist nur Angst. Sie begeben sich auf unbekanntes Gebiet und es ist angemessen Angst zu spüren.

Und auch hier die Einladung: bewerten Sie nicht. Weder sich selbst, noch den anderen.

Mit diesen ersten Schritten werden Sie erstaunt sein, welche Türen sich öffnen, wie sich das Miteinander verändert und sich dadurch authentische Zugehörigkeit wieder einstellen kann. Und wundern Sie sich nicht, wenn neue Menschen und auch immer mehr Menschen in Ihr Umfeld kommen und die Gemeinschaft mit Ihnen genießen möchten.

Abschließend möchte ich noch einen Satz mit Ihnen teilen, den ich neulich gelesen habe und der es auf den Punkt bringt:

„Es gibt keine Notwendigkeit perfekt zu sein, um andere zu inspirieren. Lass andere inspiriert werden von der Art, wie Du mit deiner Unperfektheit umgehst.“

In diesem Sinne gänzlich unpääärfäääkte Grüße von Herzen,
Ihre Nicola Nagel