Ja,
wer ist denn nun die Schönste, die Tollste, der Beste, der Schlauste im ganzen Land? In Zeiten von Germany’s Next
Top Model, Deutschland sucht den Superstart und diversen Quiz-Shows wird mehr
denn je deutlich, wie sehr die Menschen in der modernen Gesellschaft nach
Perfektion und Anerkennung streben. Höher, weiter, besser, schöner, schlauer
ist das Motto. Es wird gestylt, geprobt, gekämpft und ausgetrickst, was das
Zeug hält. Wo man hinblickt, lächeln marionetten-gleiche, aalglatte
Hartschalen-Kreaturen von irgendwelchen Werbepostern und versuchen uns glauben
zu machen, dass wir diesem Ideal folgen müssten. Das traurige ist, dass es
vielfach auch noch funktioniert. Viele Menschen scheinen bewusst oder unbewusst
in verschiedensten Bereichen nach Perfektion zu streben, sei es in kleinem oder
großem Maße. Wir suchen das perfekte Outfit, den perfekten Job, den perfekten
Partner, den perfekten Urlaub, die perfekte Wohnung oder meinen einen perfekten
Kuchen backen zu müssen. Dabei ist Perfektion eine absolute Illusion. Und nicht
nur das. Der Illusion der Perfektion zu erliegen, hat zudem einen sehr hohen
Preis: Authentizität, Lebendigkeit und Kraft bleiben dabei schnell auf der
Strecke.
Was
veranlasst uns also, perfekt zu sein, oder zu meinen perfekt sein zu müssen?
Kürzlich
stellte ich in einem Training folgende Frage: „Was würde passieren, wenn Ihr
den Anspruch, perfekt zu sein, aufgeben würdet?“ Nach einem Stutzen, das
zunächst so viel zu sagen schien wie „Ähm, wie bitte, nicht mehr perfekt sein?“
kam die Antwort von mehreren Teilnehmern sehr prompt: „Puuh, dann könnte ich
mich wirklich entspannen.“
Ja,
warum tun wir es dann nicht? Warum hören wir nicht einfach auf, perfekt zu sein
und einer Illusion hinterher zu rennen, die selbstmörderisch ist? Es scheint
als hätten die Menschen in der modernen Gesellschaft einen unbewussten,
automatisch laufenden Perfektions-Mechanismus in ihrem Hirn eingebaut.
Dieser
Perfektionsmechanismus kann dabei sowohl sehr offensichtlich als auch ganz
subtil zu Tage treten. Das offensichtliche Streben nach Perfektion kommt uns täglich
auf Werbeplakaten, in Zeitschriften und Fernseh-Shows entgegen. Es ist eine
regelrechte Perfektions-Manipulation, die da sagt, „Wenn Du nicht dies kaufst,
oder so bist, dann bist Du out“.
Bereits
im Kindesalter werden wir damit konfrontiert, spätestens in der Schule. Wer
schlechte Noten hat und sich nicht „angemessen“ – sprich nach gesellschaftlichen
Normen perfekt – verhält, fliegt raus bzw. darf eine Klasse wiederholen. In der
Ausbildung, dem Studium und im Job geht es auf dieser Schiene gerade weiter.
Ständig wird uns suggeriert, wir müssen Leistung bringen und alles möglichst
perfekt machen, damit wir akzeptiert und anerkannt werden.
Und
genau da liegt doch der Hase im Pfeffer: Wir wollen akzeptiert werden. Wir
wollen dazu gehören. Wir wollen Teil der Gesellschaft sein. Doch woher kommt
dieses Bedürfnis der Zugehörigkeit? Das zu erforschen lohnt sich und stellt
unter Umständen die ganze aktuelle Gesellschaftsstruktur in Frage.
Menschen
sind von Natur aus keine Einzelkämpfer. Menschen sind „Rudeltiere“. Das ist bei
indigenen Völkern noch sehr schön zu sehen, denn sie leben in Stämmen. Genau
das ist unsere Natur. Wir haben ursprünglich in Gemeinschaft gelebt, hatten
unseren Stamm und wussten dadurch, wo wir hingehören, wo unsere Wurzeln sind.
Kürzlich las ich ein Buch von Martín Prechtel. In „Die Geheimnisse des Jaguars“
beschreibt er seinen Weg, der ihn in ein Maya Dorf in Guatemala führte. In
diesem Dorf lebt ein spezieller Volks-Stamm der Maya und bei seiner Ankunft
wurde Prechtel gefragt „Wo ist Dein Stamm?“ Als er antwortet „Ich habe keinen
Stamm, ich lebe alleine“, konnten die Dorfbewohner es nicht fassen und sagten
„Was, Du hast keinen Stamm? Wie furchtbar, dann bist Du ein Waise.“
Früher
war es selbstverständlich in größeren Gemeinschaften oder Familien-Clans zu
leben. Sie boten einen gewissen Halt und haben die Menschen permanent an ihre
Wurzeln erinnert. Innerhalb einer Gemeinschaft, konnte man so sein, wie man
war, mit all seinen Facetten. Man war Teil dieser Gemeinschaft, egal, ob man
„gut drauf“ war, oder nicht.
Und
heute? Heute leben 95% der Menschen in der modernen Kultur in ihrem eigenen
Appartement oder Haus, kennen ihre Nachbarn mit viel Glück vom Sehen und haben
maximal ihre direkte Familie mit Ehefrau/-mann und Kindern um sich. Allein in
Deutschland liegt der Prozentsatz von Alleinstehenden bei 43%, in Städten sogar
bei 50%. 43% der deutschen Bevölkerung lebten mit einem Ehepartner. Wo finden
die Menschen heute also noch wahre Unterstützung und Zugehörigkeit?
Die
Zugehörigkeit zu einem Stamm ist immer noch in uns. Doch die moderne Kultur
fördert kein „Stammesleben“. Da der ursprüngliche Stammes-Rückhalt fehlt,
beginnen die Menschen also in ihren isolierten Wohnungen und Häusern nach
Ersatz zu suchen. Das tief sitzende Verlangen dazu zu gehören, führt dazu, dass
sie den Medien und Marketing Agenten glauben, die ihnen vorgeben, wie sie zu
sein haben, damit sie in der modernen Gesellschaft dazu gehören. Die Menschen
wollen Teil von etwas sein. Nur deswegen funktioniert dieser ganze Werbe- und
Marketing-Kram. Es wird manipulativ mit der unbewussten Angst der Menschen
gearbeitet, nicht dazu zu gehören. „Wenn Du dieses Produkt nicht kaufst….dann
gehörst Du leider nicht dazu. Dann bist Du nicht schön genug, gut genug, cool
genug.” Schauen Sie sich die jungen Leute von heute an. Die meisten versuchen
irgendetwas darzustellen und zuweilen ist es sogar offensichtlich, welchen Star
oder welches Model sie gerade nachahmen. Traurig, aber wahr.
Das
Absurde ist, dass Perfektionismus nichts anderes als falsche Sicherheit ist.
Wir meinen, wir sind sicher, wenn wir perfekt sind und den Normen der
Gesellschaft oder der Firma, für die wir arbeiten, entsprechen. Wir klammern
uns an Vorgaben um uns „sicher“ zu fühlen. Doch alles, was wir mit
Perfektionismus erreichen ist, dass wir uns von uns selbst abschneiden, von
unserer eigenen Authentizität und Weisheit und damit innerlich unsicherer sind
denn je. Wir betrügen uns selbst und - noch schlimmer - machen uns unbewusst
auch noch selbst fertig, wenn wir nicht perfekt sind.
Wie
viele von Ihnen haben z. B. schon einmal einen Fehler gemacht und dann in
Gedanken gesagt „Oh man, Idiot, warum hast Du nicht aufgepasst“ oder „Na toll,
das hätte ich aber auch besser machen können“ oder „Ach neee, jetzt habe ich
das schon wieder vergessen“.
Kennen
Sie solche Sätze? Ich vermute, jeder kennt sie. Doch machen Sie sich einmal
bewusst, was dahinter steckt. In dem Moment, wo Sie solch einen Satz auch nur
denken, holen Sie unbewusst die 9-schwänzige Geißel raus und bestrafen sich
selbst für das, was eben NICHT perfekt war.
Perfektionismus
ist nichts anderes als eine Überlebensstrategie. Wie eingangs erwähnt, kann
sich das Streben nach Perfektion dabei sehr offensichtlich oder auch subtil
zeigen. Offensichtlicher Perfektionismus kann sich zum Beispiel auch in
Neurosen zeigen, zum Beispiel wenn jemand meint, dass Tomaten immer in Scheiben
geschnitten werden müssen und keinesfalls in Würfel oder jemand ohne Maniküre
alle 2 Tage nicht leben kann. Alles kann neurotisch werden: Ordnung, Putzen,
akribische Genauigkeit (Erbsenzählen), Schönheitswahn, etc. Ich bin mir sicher,
Ihnen fallen sofort neurotische Beispiele ein, vor allem von anderen Menschen.
Kennen Sie zum Beispiel den Film „Der Feind in meinem Bett“ mit Julia Roberts?
Uuuuh, da können Sie eine zerstörerische Ordnungs-Neurose erleben.
Es
gibt jedoch auch die ganz subtilen Perfektions-Dramen und das sind eben die,
die sich in Ihrem eigenen Kopf abspielen. Und sie spielen sich ab, wenn Sie
sich laut oder leise sagen hören “Verdammt…so was blödes.“
Wenn
wir versuchen, den Idealen der modernen Kultur zu entsprechen, um uns zugehörig
zu fühlen, bauen wir unsere Hütte auf Treibsand. Doch wie können wir aus diesem
Perfektions-Zugehörigkeits-Teufelskreis ausbrechen? Wie können wir authentisch
über unser eigenes Nicht-Perfekt-Sein werden, gleichzeitig innere Stabilität
erhalten und aus dem heraus wahrhafte Beziehungen aufbauen, die unsere
Sehnsucht nach Zugehörigkeit stillen?
Experiment 1: Aufdecken des
Perfektions-Mechanismus
SCHRITT
1:
Nehmen
Sie sich einen Augenblick Zeit und Papier und Stift zur Hand. Blicken Sie
einmal auf die letzten 3 Tage zurück. Schreiben Sie nun einmal die
offensichtlichen Perfektions-Versuche auf. Wann haben Sie versucht, etwas
perfekt zu machen? Für wen oder warum wollten Sie es perfekt machen? Seien Sie
ehrlich. Ihr Ego wird diese Übung hassen, denn Sie decken gerade eine
Überlebensstrategie auf. Lassen Sie sich einfach nicht beirren und seien Sie
authentisch gegenüber sich selbst.
Vielleicht haben Sie den Bericht für den Chef noch 5mal überarbeitet und
das Layout noch zig mal schöner gemacht. Oder Sie haben die Hemden und Blusen
perfekt gedämpft und akribisch darauf geachtet, dass ja kein Knick mehr zu
sehen war.
SCHRITT
2:
Nun
geht es an die subtilen Perfektions-Versuche bzw. Selbst-Geißelungen. Blicken
Sie wieder auf die letzten 3 Tage zurück. Wann ist vielleicht etwas schief
gegangen und Sie haben gedacht (oder zu sich gesagt) „Oh man…..blöd... das
hätte ich besser machen können…da habe ich geschlafen…“ Es gibt zig Situationen
am Tag, wo wir uns unbewusst bewerten. Vielleicht haben Sie beim Frühstück ein
wenig Kaffee vergossen („Oh man, sowas blödes“), oder Sie sind etwas spät zu
einem Termin losgefahren („Verdammt, hoffentlich komme ich nicht zu spät“),
oder Sie sehen, dass in der Präsentation für den Kunden ein Tippfehler drin ist
(„Verflixt, wie unprofessionell“). Schreiben Sie wirklich alles auf.
SCHRITT
3:
Nun
schauen Sie auf Ihre Liste und spüren Sie einmal hin, wie sich dieser
Perfektionsanspruch anfühlt. Machen Sie sich bewusst, wie unbewusst dieses
Programm läuft. Anstrengend, oder?
Das
Paradoxe an der Geschichte ist, dass die meisten Menschen sich danach sehnen,
einfach so angenommen zu werden, wie sie sind, doch gleichzeitig diesen
Perfektions-Mechanismus laufen haben. Und genau das ist ein ziemlich großer
Konflikt. Offensichtlich wird dieser Konflikt, wenn wir uns das Thema Beziehung
in der heutigen Gesellschaft anschauen. Wie viele Menschen sehnen sich nach
einer aufrichtigen, authentischen Beziehung, in der sie so sein können, wie sie
sind, suchen jedoch gleichzeitig den perfekten Partner? Sie suchen den
perfekten Partner, bei dem sie nicht perfekt sein müssen. Da passt doch etwas
nicht zusammen.
Wie
kommen Sie also nun aus diesem Kreis heraus, nachdem Sie aufgedeckt haben, wo
Ihr Perfektionsmechanismus täglich unbewusst läuft? Hier sind einige hilfreiche
Möglichkeiten:
Finden Sie den Anker in sich
Ein
entscheidender Schritt ist, dass Sie lernen, sich in sich selbst zu verwurzeln,
sprich sich zu zentrieren. Wenn Sie zentriert sind, sind Sie nämlich Ihre
eigene Autorität und müssen keinen Idealen oder Vorstellungen mehr genügen.
Dann sind Sie in sich verankert, egal, was um Sie herum passiert. Aus einer
zentrierten Grundposition heraus – ähnlich wie z. B. beim Aikido, Ballett oder
Fechten – können Sie sich überall hinbewegen und Sie kann nichts aus der Bahn
werfen (Details zum Zentriert-Sein finden Sie auch im Artikel „2011-08-24 Seien
Sie Ihre eigene Autorität“ auf http://www.viva-essenza.com/50/Publikationen.html
).
Selbst-Beobachtung
Beginnen
Sie, sich selbst permanent zu beobachten und den Perfektionsmechanismus
aufzudecken. Und bitte, wenn Sie eine Situation entdeckt haben, dann geißeln
Sie sich nicht dafür, dass der Modus schon wieder aktiv war. Dieses Streben
nach Perfektion ist wirklich tief in uns verankert und es braucht eine Zeit an
Selbst-Beobachtung um dem auf die Schliche zu kommen.
Keine
Bewertung
Wenn
Sie feststellen, dass Sie (oder auch andere) etwas nicht perfekt gemacht haben,
dann hören Sie auf zu bewerten. Sie oder jemand anderes hat einen Fehler
gemacht oder es eben so gut gemacht, wie es ging und es war nicht perfekt. Ja
und? Es ist wie es ist.
Punkt. Keine
weitere dramatisierenden Geschichten bitte. Wenn Sie aufhören, bewertenden
Geschichten an die Handlungen und Ereignisse zu knüpfen, werden Sie
feststellen, dass das Leben sehr viel leichter wird. Bewertungen killen
Beziehung, und zwar die Beziehung zu sich selbst und zu anderen gleichermaßen.
Lernen Sie, die Dinge neutral zu sehen. Etwas ist wie es ist. Nur das. Sonst
gar nichts. Es ist absolut neutral.
Erzählen
Sie bewusst eine neue, lebendige Geschichte
Diesen
Punkt erläutere ich am besten anhand eines persönlichen Beispiels von heute.
Ich stehe in der Küche und freue mich auf einen schönen Espresso. Zur Zubereitung
benutze ich eine dieser traditionellen Achtkant-Kannen, die man auf die
Herdplatte stellt. Dort kommt normalerweise unten das Wasser rein, in die Mitte
der Trichter mit dem Espresso-Pulver und oben schraubt man dann das Kännchen
drauf, in dem der Espresso landet, wenn er aufgekocht ist. So, gesagt getan,
ich schraube also alles zusammen und als ich ein Brodeln höre, freue ich mich,
in der nächsten Sekunde, den Espresso in meine Tasse zu gießen. Ich gieße also
los und…es kommt ein gelbliches Wasser heraus. Wäre ich im Perfektionismus-Modus
gewesen, hätte eine innere Stimme gesagt „Na toll Frau Nagel, da haste ja mal
voll gepennt und vergessen, das Espresso-Pulver in den Trichter zu tun.“
Stattdessen habe ich es nicht bewertet und nur „Oh!“ gesagt. Im nächsten Moment
habe ich mich kaputt gelacht und bewusst eine nicht-lineare Geschichte dazu
erzählt, die da lautete: „Wow, cool, schau mal, das ist ein nicht-linearer
Piraten-Espresso à la Captain Jack Sparrow und das Tolle ist, dass die Kanne
gleichzeitig einmal komplett durchgespült wurde. Okay und jetzt mal sehen, wie
im Vergleich dazu ein italienischer Espresso aussehen würde.“ Statt Perfektion
hatte ich einen Heidenspaß. Probieren Sie also mal aus, anstatt der
9-schwänzigen Geißelgeschichte bewusst eine andere Geschichte zu erzählen (und
auch die muss nicht perfekt sein. Spielen sie damit).
Seien
Sie bewusst unperfekt
Uuuh,
das ist ein gemeines Experiment. Das Experiment besteht darin, dass Sie etwas,
das Sie normalerweise perfekt machen, einmal bewusst nicht perfekt machen. Bei
Ihnen in der Wohnung ist immer eine perfekte Ordnung? Nun, dann legen Sie doch
einmal bewusst 3 Bücher unordentlich auf den Fussboden und lassen Sie sie dort
2 Tage liegen. Sie schneiden das Brot mit dem Messer sonst perfekt1cm breit?
Okay, schneiden Sie bewusst unperfekt eine schiefe Scheibe ab, die alles andere
als 1cm breit ist. Diese Übung wird Ihr perfektions-getrimmtes Ego durchdrehen
lassen, denn es ist darauf trainiert zu überleben und irgendwie dazu zu
gehören. Lassen Sie es ausflippen und spüren Sie einmal, wie sich gleichzeitig
ein anderer Teil in Ihnen entspannt und lebendig wird. Ihre Handtasche oder Ihr
Aktenkoffer steht normalerweise perfekt aufgeräumt in der linken Schrank-Ecke?
Prima, lassen Sie ihn einfach mal unperfekt mitten im Flur rumstehen.
So,
nun haben Sie also bereits begonnen, Ihren unbewussten Drang nach Perfektion zu
durchschauen und zu durchbrechen. Wie sieht es nun im nächsten Schritt mit dem
Bedürfnis der Zugehörigkeit aus? Zugegeben, das ist ein Experiment, dass Sie
womöglich ein wenig fordert. Denn bei dem folgenden Experiment geht es darum,
authentisch mit Menschen in Beziehung zu treten und wieder Gemeinschaft zu
leben.
Experiment 2: Aufbau von authentischen
Beziehungen
In
einer Gesellschaft, die nach Perfektion strebt, authentische Beziehungen
aufzubauen, kann eine Herausforderung sein. Authentische Beziehung bedeutet
nämlich, dass Sie die Menschen hinter Ihre Maske schauen lassen, die Sie über
so viele Jahre mühevoll aufgebaut haben, um dem Gesellschafts-Ideal zu
entsprechen und zu überleben. Doch wenn Sie erst einmal mit diesem Experiment
anfangen, werden Sie feststellen, dass Sie bei anderen Menschen offene Türen
einrennen, weil diese sich gleichermaßen nach authentischer Verbindung sehnen.
Denken Sie bei diesem Experiment daran, dass Angst einfach nur Angst ist. Ohne
Bewertung. Und Sie müssen es nicht perfekt machen.
Ein
erster Schritt würde zum Beispiel darin bestehen, dass Sie aufhören
oberflächlichen Small Talk zu machen und beginnen, über Ihre Gefühle zu
sprechen. Wenn Sie gefragt werden, wie es Ihnen geht, wäre die alte Antwort
womöglich „gut“. Sie können aber auch authentisch sagen, wie Sie sich in dem
Moment fühlen, z. B. „Ich traurig, weil ich es heute nicht pünktlich aus dem
Büro schaffe, um die Kinder noch vor dem Schlafengehen zu sehen. Und
gleichzeitig freue ich mich, weil wir am Wochenende gemeinsam einen tollen
Ausflug machen werden.“ Hören Sie einfach auf, den perfekten Schein „Alles
bestens, alles prima“ zu wahren, der in unserer Spaß-Gesellschaft
allgegenwärtig ist. Sie fühlen etwas (Wut, Angst, Trauer, Freude). Vielleicht
bewegt Sie etwas. Teilen Sie das mit. Sie können sogar im Büro damit beginnen. Wenn
Ihnen im Meeting etwas aufstößt können Sie sagen „Ich habe Angst, weil der
Kunde diesen Änderungsvorschlag womöglich nicht akzeptiert.“ Werden Sie
authentisch.
Und:
schauen Sie Ihrem Gegenüber wirklich einmal in das Zentrum eines Auges, in eine
der Pupillen. Die meisten Menschen schauen bei Gesprächen auf die Stirn, die Nase
oder die Nasenwurzel des Gegenübers. Doch dadurch vermeiden Sie wahrhaften
Kontakt. Es mag sich vielleicht die ersten Male beängstigend anfühlen, denn
diese Art des Schauens ist intensiv und wir sind es in der Regel nicht gewohnt,
jemanden so anzusehen oder gesehen zu werden. Doch auch hier gilt, werden Sie
nicht neurotisch. Starren Sie nicht. Haben Sie einfach die Absicht, wahrhaft in
Kontakt zu treten. Und wenn Sie Angst spüren, atmen Sie einfach weiter. Angst
ist nur Angst. Sie begeben sich auf unbekanntes Gebiet und es ist angemessen
Angst zu spüren.
Und
auch hier die Einladung: bewerten Sie nicht. Weder sich selbst, noch den
anderen.
Mit
diesen ersten Schritten werden Sie erstaunt sein, welche Türen sich öffnen, wie
sich das Miteinander verändert und sich dadurch authentische Zugehörigkeit
wieder einstellen kann. Und wundern Sie sich nicht, wenn neue Menschen und auch
immer mehr Menschen in Ihr Umfeld kommen und die Gemeinschaft mit Ihnen
genießen möchten.
Abschließend
möchte ich noch einen Satz mit Ihnen teilen, den ich neulich gelesen habe und
der es auf den Punkt bringt:
„Es gibt keine Notwendigkeit perfekt
zu sein, um andere zu inspirieren. Lass andere inspiriert werden von der Art,
wie Du mit deiner Unperfektheit umgehst.“
In
diesem Sinne gänzlich unpääärfäääkte Grüße von Herzen,
Ihre
Nicola Nagel