Ein sehr bekanntes Sprichwort von Heraklit
von Ephesus (etwa 540 - 480 v. Chr.) besagt: “Nichts ist so beständig wie der Wandel”. Sehr weise Worte, die
immer noch ihre Gültigkeit haben. Dass wir in einer Zeit schnellen Wandels
leben, in der die Herausforderungen immer größer werden, ist nicht mehr von der
Hand zu weisen. Agilität, Flexibilität, Kreativität, Entwicklung und Weitsicht
sind daher mittlerweile zu unabdingbaren Qualitäten geworden, die darüber
entscheiden, ob Unternehmen in Zukunft tragfähig Bestand haben, oder nicht. Die
weltweite New Work Bewegung zeigt deutlich, dass es an der Zeit ist, die
Arbeitswelt und das Miteinander in Unternehmen zu verändern. Wie Frederic
Laloux in seinem Bestseller Buch „Reinventing Organizations“ schreibt und
belegt „Moderne Organisationen haben
sensationellen Fortschritt für die Menschheit in weniger als zwei Jahrzehnten
hervorgebracht. (…) Und trotzdem spüren viele Menschen, dass die derzeitige
Art, wie wir Firmen führen, ausgereizt ist. Wir sind zunehmend desillusioniert
von organisatorischem Leben. Umfragen berichten durchweg, dass Menschen am Fuße
der Pyramide die Arbeit in den meisten Fällen grauenhaft und als Plagerei empfinden,
nicht als Leidenschaft oder Absicht. (…) Und es ist nicht nur am Fuße der
Pyramide (…) Das Leben an der Spitze der Pyramiden ist nicht sehr viel
erfüllender.“
Um es mit den Worten von Gary Hamel (www.garyhamel.com) - einem der weltweit
einflussreichsten und ikonoklastischsten Vordenkern im Business Bereich - zu
sagen: „Instinktiv wissen wir, dass
Management (im alten Sinne) überholt
ist. Wir wissen, dass seine Rituale und Routinen etwas lächerlich im dämmernden
Licht des 21. Jahrhunderts aussehen.“
Traditionelles
Management – Bürokratie, überholte Rituale und Routinen
Wieso ist die Arbeit für die meisten
Arbeitnehmer alles andere als erfüllend? Was sind die überholten Rituale und
Routinen von denen Hamel spricht? In meinem Artikel „Gibt es hierarchielose Unternehmen tatsächlich? – Klarheit über einen
Missverständlichen Begriff in der New Work Bewegung“ vom 15. April 2017
(siehe http://www.viva-essenza.com/216)
wurde bereits ausgeführt, was die Unterschiede zwischen einer klassischen
Hierarchie und einer tragfähigen Netzwerkorganisation sind und dass die
Notwendigkeit besteht, Unternehmen flexibler zu gestalten und Bürokratien aufzulösen.
Dennoch sehen sich Visionäre und mutige Edgeworker immer wieder Hindernissen
gegenüber auf dem Weg eine fortschrittliche Firmenkultur, eine neue Art von
Unternehmensführung und eine evolutionäre Unternehmensstruktur (eben jene hin
zur Netzwerkorganisation) aufzubauen.
In seinem Artikel “Top-Down Lösungen wie Holacracy werden
Bürokratie nicht beheben“ hat Gary Hamel es auf den Punkt gebracht, warum
Bürokratie und eingefahrene Hierarchie so schwer auszurotten sind (Quelle: https://hbr.org/2016/03/top-down-solutions-like-holacracy-wont-fix-bureaucracy):
1. Zuerst
einmal ist Bürokratie bekannt. Bürokratie ist das führende Betriebssystem fast
jeder mittleren und großen Organisation auf dem Planeten. Da Bürokratie überall
vorherrscht und überall gleich ist, wird sie im Allgemeinen sowohl als
notwendig wie auch unumgänglich angesehen.
2. Zweitens
gibt es Millionen von Managern, die ein fest begründetes Interesse daran haben,
den Status Quo aufrecht zu erhalten. Bürokratie ist eine massives Spiel, in das
mehrere Spieler involviert sind; und jene, die sich darin hervor tun und
profitieren, sind typischerweise diejenigen, die am wenigsten begeistert davon
sind, das Spiel zu ändern. Jemand der 30 Jahre darin investiert hat, die Macht
und Privilegien eines Geschäftsführers (oder eines Abteilungsleiters) zu erlangen, wird eher weniger positive auf den Vorschlag reagieren,
formelle Titel zurück zu stufen und die Verbindung zwischen (hierarchischer) Position und Vergütung abzuschaffen.
3. Drittens
gibt es keinen gut etablierten Weg, um eine post-bürokratische Organisation
aufzubauen. Während man Inspiration von Firmen bekommen kann, die bekannt dafür
sind, nicht-bürokratisch zu sein, wie Morning Star – der in Kalifornien
sitzende Verarbeiter von Tomaten – und W. L. Gore –die Firma, die High-Tech
Materialen herstellt und für ihre Gore-Tex Stoffe bekannt ist - so haben diese Firmen ihre markanten
Management Praktiken über Jahrzehnte entwickelt. Während es viel von diesen und
anderen Vorreitern zu lernen gibt, wird jede Bürokratie gebundene Firma, die
ihr Management Vorgehen überarbeiten will, ihre eigene Landkarte erfinden
müssen. Die Herausforderung ist nicht geringer als die bei den ersten
Chirurgen, die versucht haben, menschliche Organe zu transplantieren: Die
Einsätze waren hoch und die Protokolle gering.
4. Schließlich
ist Bürokratie schwer auszurotten, weil sie funktioniert – irgendwie halt. All
diese bürokratischen Strukturen und Systeme dienen einer Absicht, jedoch
ärmlich. Sie einfach heraus zu schneiden, würde Chaos hervorrufen. Stellen Sie
sich vor, was passieren würde, wenn beispielsweise eine Organisation die
Positionen des mittleren Managements dezimieren würde, ohne die Mitarbeiter an
der Front mit den Fertigkeiten, Anreizen und Informationen auszustatten, die
sie benötigen, um sich selbst zu managen. Die Bürokratie zu aufzulösen
beinhaltet weniger, sie abzureißen, wie ein altes Gebäude und anstatt dessen
ein neues Gebäude zu errichten. Es beinhaltet mehr eine grundlegende Sanierung
mit ausreichender Sorgfalt, damit das Gebäude nie über Ihnen zusammen bricht.
Bürokratie
einzudrücken erfordert Finesse, nicht brutale Gewalt. Wenn Sie die
bürokratische Bremse in Ihrer Firma reduzieren wollen, werden Sie einen
Veränderungs-Ansatz benötigen, der aufstrebend, kollaborativ, iterativ und klug
ist. Der Schlüssel: revolutionäre Ziele und evolutionäre Wege.
Doch genau diese revolutionären Ziele
und evolutionären Wege sind nicht leicht zu gehen. Es kann sogar passieren,
dass in einer Firma zunächst große Fortschritte erreicht werden und die
Mitarbeiter inspiriert sind, diese Fortschritte jedoch schließlich aufgrund von
Mehrheitsanteilen von positionsverhafteten und verneinenden Kräften im Unternehmen blockiert werden, die an
verkrusteten Management-Strategien festhalten wollen. Es ist nicht selten, dass
ein Beharren auf alten Führungsstrukturen Veränderung in Firmen verhindert. Wie
Hamel in seinen 4 Punkten beschreibt, ist es durchaus verständlich, dass Manager
oder Geschäftsführer letztendlich versuchen, gegen eine evolutionäre
Veränderung anzugehen, da sie jahrelang in einem Geflecht aus Konkurrenz und
Einzelkämpfertum agiert haben, in dem es darum ging, wer gewinnt, das beste
Gehalt, den Firmenwagen und sonstige Boni bekommt.
Was hinter dieser Verhinderung von
Veränderung steckt, ist die Angst, das Bekannte zu verlieren, das viele Jahre
oder gar Jahrzehnte lang funktioniert hat. Diese Angst ist durchaus
verständlich. Die Menschen identifizieren sich mit ihrer Weltsicht. Eine
konkrete Weltanschauung zu haben, gibt vermeintliche Sicherheit, weil sie klar
definiert, wie die die Dinge funktionieren. Genauso verhält es sich mit alten
Hierarchiestrukturen und Management-Strategien. Sollen diese aufgebrochen oder gar
abgelöst werden, entsteht Angst vor dem Unbekannten. Wie Hamel schreibt, gibt
es bisher keine ausgefeilten, allgemein anwendbaren Konzepte, wie eine neue
Unternehmensstruktur und –kultur aussehen. Diese sind für jede Firma
individuell. Wie soll man darauf vertrauen, dass ein Wandel beispielsweise von
einer Hierarchie in eine Netzwerkorganisation funktioniert, wenn man es noch
nicht erfahren hat?
Das bedeutet, dass ein entscheidender
Aspekt auf dem Weg zu New Work beinhaltet, im Nichtwissen stehen zu können und
neue Dinge auszuprobieren, ohne zu wissen, wie es geht. Es geht um Flexibilität
und Kreativität, um schrittweises Ausprobieren und schnelles Lernen.
Letztendlich steckt hinter der Angst
vor Veränderung (und damit vor Kontrollverlust und Sicherheitsverlust) nur eines: die Angst vor
der Angst! In der modernen Gesellschaft – und im Arbeitsleben im Speziellen –
wird den Menschen permanent eingetrichtert, dass Gefühle nicht erwünscht und
nicht in Ordnung sind. Egal ob Wut, Freude, Traurigkeit, oder Angst, sie werden
allesamt als unprofessionell angesehen. Uns wird beigebracht, dass Angst
folgende Eigenschaften hat: sie ist erbärmlich, irrational, instabil, feige,
impulsiv, hysterisch, nerven-aufreibend, lähmend, kraftlos, schwach,
inkompetent, unprofessionell etc. Mit dieser Sichtweise ist es nur
verständlich, dass Mitarbeiter und Manager Angst vor der Angst haben. Wenn es
jedoch für jemanden nicht okay ist, Angst zu spüren, dann ist es für diese
Person auch nicht möglich, einen tiefgreifenden Veränderungsprozess mit zu
tragen.
In einem Veränderungsprozess ist Angst
jedoch ein wichtiger Bestandteil. Unter der Annahme, dass Angst – wie die
anderen Gefühle auch – neutrale Energie und Information beinhaltet, die uns
dient, ist es möglich die Angst bewusst zu nutzen um gefährliche Fragen zu
stellen, im Nichts zu stehen, Risiken abzuschätzen, innovativ zu sein und mutig
in unbekanntes Gebiet zu gehen. Das Gefühl der Angst ist eine absolut notwendig
Kraft, um durch Veränderungsprozesse zu navigieren. Die Veränderung ist nicht
aufzuhalten, also ist es an den Mitarbeitern eines Unternehmens
selbstverantwortlich zu entscheiden, ob sie bereit sind, sich in den Fluss der
Veränderung zu begeben oder lieber versuchen, sich an alten, bekannten
Strukturen festzukrallen, die irgendwann sowieso einstürzen werden.
Bei dem Thema New Work geht es nicht
darum, alle bisherigen Aspekte der Unternehmens-führung über Bord zu schmeißen,
im Gegenteil. In der New Work Ausrichtung geht es darum, bisherige Strukturen
aufzubrechen, weiter zu entwickeln und neue Möglichkeiten zu generieren, sodass
jeder Mitarbeiter sein volles Potenzial einbringen kann, Inspiration und
Begeisterung bei der Arbeit erlebt und die Unternehmen sich auf Nachhaltigkeit
ausrichten können. Es geht darum, neue Möglichkeiten und Perspektiven zu
schaffen, sodass Mitarbeiter durch ein verändertes Selbstverständnis und neues Bewusstsein
mit Begeisterung und Leidenschaft für eine größere Vision arbeiten.
Es ist an der Zeit anzuerkennen, dass
die verkrusteten Strukturen und altmodischen Vorgehensweisen ausgedient haben.
Die junge Generation, die jetzt in die Unternehmen kommt, ist sowieso nicht
mehr bereit, sich für eine Firma aufzuopfern, in der sie durch Regularien und
Weisungsbefugnisse geknebelt wird. Die nachkommende Generation ist auf der
Suche nach Begeisterung, Inspiration, Kraft, der Möglicheit, eigene Talente
einzubringen und nach einer gesunden Work-Life-Balance. Sie tolerieren keine
starren Strukturen mehr.
Eine interessante Frage ist: Was
braucht es, damit Bedenkenträger und verneinende Kräfte mit an Bord kommen
können? Ist das überhaupt das Ziel? Vielleicht geht es gar nicht darum, dass
alle an Bord sind. Die New Work Bewegung ist schon viel zu weit
fortgeschritten, als dass sie noch aufgehalten werden könnte. Vielleicht ist
das Bekämpfen von Veränderung durch verneinende Kräfte wie das letzte Aufbäumen
der Patriarchen. In der Politik ist aktuell ähnliches sichtbar. Dort, wo
versucht wird, anderen Menschen manipulierende, diktatorische Vorgehensweisen
überzustülpen, beginnen die Leute gemeinsam auf die Straße zu gehen und für
etwas Größeres einzustehen, das allen dient.
Wie der deutsche Zeithistoriker
Michael Richter (*1952) sagt: „Was
bleibt, ist die Veränderung; was sich verändert, bleibt.” Sich gegen
Veränderung zu wehren, ist mittel- und langfristig gesehen alles andere als
förderlich. Es macht das Leben eher schwerer denn leichter.
Bist Du bereit, Dich in den Fluss der
Veränderung zu begeben und das Ändern zu leben?