Eine Bewegung, die derzeit weltweit immer
mehr Fahrt aufnimmt, nennt sich „New Work“, die neue Art zu arbeiten. Viele
Firmen haben mittlerweile erkannt, dass die bisherige Vorgehensweise von traditioneller
Hierarchie, Kontrolle, Leistungsdruck, Konkurrenz und Ausbeutung der Ressourcen
die Menschen und die Erde in den Abgrund treibt und eine Veränderung dringend
notwendig ist.
Beispiele für Unternehmen, die den Weg
des Wandels bereits eingeschlagen haben, gibt es in Hülle und Fülle, z. B.: Farbenwerke
Wunsiedel GmbH (Deutschland), Semco S/A (Brasilien), Cocomin AG (Deutschland),
W. L. Gore & Associates (Deutschland), Vollmer & Scheffzcyk GmbH
(Deutschland), Gravity Payments (USA), Allsafe Jungfalk GmbH & Co. KG
(Deutschland), RWD Schlatter AG (Schweiz), Sparda Bank eG (Deutschland), um nur
einige wenige zu nennen.
Um einen Wandel oder gar eine
grundlegende Transformation einer Organisation zu bewerkstelligen, ist es
jedoch entscheidend, sich von bekannten Konzepten und Erwartungen zu
verabschieden. Das wiederum fällt vielen Mitarbeitern und Geschäftsführern
nicht leicht, denn es bedeutet, sich auf komplett neues, unbekanntes Terrain zu
begeben. In der Vergangenheit wurden Veränderungen in Firmen oftmals anhand
neuer Management-Konzepte top down veranlasst. Mittlerweile greifen jedoch diese
starren Konzepte nicht mehr. Vielmehr geht es darum, das neue Terrain selbst zu
erforschen und einen gangbaren, nachhaltigen Weg zu finden, der den
Mitarbeitern, der Firma und der Erde dient.
Wandel
ohne wissenschaftliche Beweise
Das Schwierige daran ist der Mangel an
wissenschaftlichen Beweisen. Auf die vielfach gestellte Frage „Ja ist es denn wissenschaftlich
belegt, dass die Veränderung funktionieren wird?“ oder „Hat das auch ein
bekannter Management-Berater gesagt?“ lautet die simple Antwort „Nein“. Spätestens
bei dieser Antwort springen die ersten Unternehmen bereits vom Veränderungszug
wieder ab, denn es ist in unsere Zellen wie eingebrannt, sich lieber auf alt
bekanntes oder wissenschaftlich bewiesenes zu verlassen, als mutig ins
Unbekannte zu marschieren. Nicht selten ertönen daher aus Angst und aus einem
Schutzmechanismus heraus Worte wie „So ein neumodischer Quatsch. Das kann doch
gar nicht gehen. Sie können in jedem Management Buch nachlesen, dass ein
Unternehmen anders funktioniert.“ Ja, richtig. In allen bekannten BWL und
sonstigen Wirtschaftsbüchern wird beschrieben, wie Unternehmenskultur im alten
hierarischen und profitorientierten Sinne funktioniert. Das ist nicht gut und
nicht schlecht und hat in der Vergangenheit viele wertvolle Anhaltspunkte
gegeben. Fakt ist jedoch, dass in der heutigen, schnell-lebigen Zeit, in der
mehr und mehr Mitarbeiter am Anschlag sind und mit Burnout und anderen
psychosomatischen oder physischen Krankheiten ausfallen, bisher dagewesene
Konzepte nicht mehr greifen. Die Komplexität in Unternehmen ist wahnsinnig
groß. Nicht nur aufgrund von komplexen Prozessabläufen, sondern maßgeblich
aufgrund der Menschen, die in den Organisationen arbeiten. „Diese Komplexität lässt sich nicht beherrschen. Am allerwenigsten mit simplen
Konzepten.“ (Dirk Osmetz, Team
Musterbrecher)
Die Firmen, die eine ganz neue
Richtung einschlagen, sind Pioniere, Edgeworker, Musterbrecher, Vorreiter, vielleicht
sogar (R)Evolutionäre. Sie gehen Wege, die sich für die meisten Manager,
Geschäftsführer und Aufsichtsräte wie ein apokalyptischer Business Alptraum
anhören: Freie Arbeitszeiten- und orte, transparente Gehälter, freie,
verantwortliche Wahl von Aufgaben, Gemeinschaftsentscheidungen anstatt
Vorgesetzten-Entscheidungen, Vertrauen statt Kontrolle, Ermächtigung des
Einzelnen und des Teams anstatt top down Regularien, die Firma als lebendiger
Organismus anstatt traditionelle Hierarchie, usw.
„Manche
Organisationen sind so anders, dass es sie im Grunde gar nicht geben dürfte,
denn sie widersprechen so ziemlich allem, was in den Management Lehrbüchern
steht…“ (Stefan Kaduk, Team
Musterbrecher).
Was diese Firmen gemein haben ist,
dass sie bereit waren, Erwartungen und Konzepte die sie an Unternehmensführung
und -entwicklung hatten, loszulassen. Selbst wenn ein Unternehmen bereit ist,
eine grundlegende Veränderung im Sinne von „New Work“ anzugehen, ist die Gefahr
dennoch groß, dass sich Erwartungen einschleichen, z. B. in Bezug darauf, wie
schnell oder in welcher Form die Veränderung zu erfolgen hat. Hilfreich ist es
da, Erwartungen und das Festhalten an Konzepten immer wieder zu adressieren,
indem hinterfragt wird, woher die Erwartung kommt.
Aufgrund des bisherigen
Konkurrenzdenkens, das in der modernen Gesellschaft bereits im Schulalter in
die Kinder gepflanzt und durch die Ausbildung und das Studium hindurch weiter
gefördert wird, sind die meisten Mitarbeiter in Unternehmen mit Erwartungen an
sich selbst oder von außen sehr vertraut. Erwartungen, die durch bisherige
Managementkonzepte beispielsweise genährt wurden, sind folgende:
- Ein Mitarbeiter hat zu tun, was der Vorgesetzte sagt.
- Der Mitarbeiter darf nur in dem Rahmen agieren, wie es in seiner Stellenbeschreibung festgelegt ist.
- Je höher die eigene Position, desto höher das Ansehen.
- Über Gehälter wird geschwiegen.
- Ein Mitarbeiter gehört einer Abteilung an.
- Der Geschäftsführer/der Vorgesetzte entscheidet.
- Mitarbeiter müssen hierarchisch geführt werden.
- Die Leistung eines Mitarbeiters muss idealerweise immer 100% oder mehr sein.
- etc.
Welche Erwartungen haben Sie an sich
selbst oder die Firma, in der Sie arbeiten? Es lohnt sich, die eigenen (oftmals
unausgesprochenen) Erwartungen an sich selbst, andere Menschen oder die Firma
einmal aufzuschreiben. Je mehr Erwartungen Sie haben, desto mehr leben Sie in
Konzepten, wie die Dinge zu sein haben. Wenn sich dann Umstände oder
Situationen verändern, die nicht Ihren Erwartungen entsprechen, was machen Sie
dann ergo? Sie versuchen, die neue Situation zu bekämpfen und das Altbekannte
wieder zu etablieren, damit Ihre Welt der Konzepte weiterhin
Daseinsberechtigung hat. Erwartungen killen in einem tiefgreifenden
Veränderungsprozess Kreativität und Miteinander. Da wo Erwartungen sind, können
neue, ungewöhnliche, nichtlineare und unkonventionelle Ideen nicht keimen. Doch
genau jene Ideen sind notwendig, um eine neue, gesunde Art des Arbeitens zu
ermöglichen.
Erwartungen
auflösen
Die Sache ist die: Erwartungen sind
prädestiniert dafür enttäuscht zu werden. Insbesondere in Zeiten schneller und
tiefgreifender Veränderungsprozesse ist es daher hilfreich, sich von
Erwartungen zu verabschieden bzw. sie bewusst zurück zu nehmen. Sind Sie
beispielsweise Geschäftsführer eines Unternehmens und Sie haben die
(möglicherweise auch unbewusste) Erwartung, immer alles wissen und entscheiden
zu müssen, so spüren Sie einmal in sich hinein, ob Sie bereit wären, diese
Erwartung aufzulösen. Falls ja, könnten Sie beispielsweise aus Ihrem Innersten
heraus deklarieren „Ich nehme jetzt und für immer die Erwartung von mir zurück,
dass ich alles wissen und entscheiden muss.“ Denn eines steht fest: wenn Sie
einen völlig neuen Weg einschlagen wollen, ist es notwendig, dass Sie im
Nichtwissen stehen können.
Spüren Sie hingegen, dass andere diese
Erwartung an Sie haben, und dass Sie sich aufgrund dessen Druck gemacht haben,
könnten Sie gleichermaßen bewusst deklarieren „Ich gebe jetzt und für immer die
Erwartung an XY zurück, dass ich jederzeit alles wissen und entscheiden können
muss.“
Dieses Prozedere hört sich
möglicherweise fast zu simple an, doch probieren Sie es selbst einmal aus. Die
Wirkung ist erstaunlich. Wichtig ist dabei, dass Sie die Rücknahme der
Erwartung nicht mit dem Kopf entscheiden. Auf der rein intellektuellen Ebene
funktioniert das nicht. Es funktioniert nur, wenn Sie innerlich bereit und
überzeugt sind, eine Erwartung zurück zu nehmen.
Angst
ist notwendig für Veränderung
Mit der Rücknahme von Erwartungen geht
ein weiterer, entscheidender Aspekt einher, der in der Business Welt mehr oder
weniger Tabu ist. Der Aspekt ist: ANGST! Und zwar bewusste, verantwortliche
Angst. Erwartungen aufzulösen, als Konsequenz im Nichtwissen zu stehen und aus
dem heraus ein neues, unbekanntes Gebiet zu betreten, erzeugt Angst. Angst ist
jedoch in unserer Gesellschaft keine gute Eigenschaft eines kompetenten
Mitarbeiters oder Managers. In der herkömmlichen Sicht ist Angst – wie die
anderen Gefühle Wut, Traurigkeit und Freude auch – nicht okay. Angst wird
beispielsweise als blockierend, lähmend, unprofessionell und schwach betitelt.
Wenn Sie Angst haben, sind Sie nach alter Sicht nicht in der Lage,
Entscheidungen zu treffen, geschweige denn voranzugehen oder kreativ zu sein.
Lassen Sie uns daher eine neue Annahme
treffen und die Perspektive wechseln: Gefühle sind neutrale Energie und
Information, die uns dienen. Gefühle sind kein Design Fehler des Universums. Gefühle
sind nicht schlecht. Vielmehr dienen Sie uns als inneres Navigationssystem, das
uns zielsicher durchs Leben leitet. Wie könnte Ihnen Angst unter dieser Annahme
professionell dienen? Nun, die Angst könnten Sie nutzen, um kreative Lösungen
zu finden, Risiken abzuschätzen, wach und präsent zu sein und unbekannte Wege
auszuprobieren. Angst ist Angst, nur das. Sie ist weder gut noch schlecht. Sie
brauchen die Angst. Da Gefühle jedoch im Business Alltag weitestgehend
unterdrückt werden und versucht wird, neue Wege rein mit dem logischen Verstand
zu erforschen, kann es zunächst eine Herausforderung sein, sich die eigene
Angst auf dem Weg ins Unbekannte wieder bewusst einzugestehen und sie
anschließend verantwortlich und konstruktiv zu nutzen.
Denken Sie, dass die bisherigen oben
genannten Pioniere und Edgeworker keine Angst vor den evolutionären
Veränderungen hatten, die aus Sicht der gewöhnliche Business-Welt auf völlig
verrückten, nicht praktikablen Ideen basierten? Denken Sie, Ricardo Semler, der
Inhaber von Semco S/A hatte keine Angst, als er völlig freie Arbeitszeiten
einführte, ohne zu wissen, was passiert? Anstatt sich von der Angst blockieren
zu lassen, hat er jedoch jegliche Konzepte, von „wie etwas zu funktionieren
hat“ über Bord geworfen:
“Es ist
völlig verrückt, diese Idee, dass die Menschen immer noch so fixiert darauf
sind, wie etwas gemacht wird. Bei uns sagt keiner: ‘Du bist fünf Minuten zu
spät’ oder ‘warum geht dieser Fabrikarbeiter schon wieder aufs Klo?’ [...] Wenn
Du dich bei Semco im Büro umsiehst, sind da immer jede Menge leere Plätze. Die
Frage ist: Wo sind diese Leute? Ich hab nicht die leiseste Idee und es
interessiert mich auch nicht. Es interessiert mich in dem Sinne nicht, dass ich
nicht sicherstellen möchte, dass meine Mitarbeiter zur Arbeit kommen und der
Firma eine bestimmte Anzahl Stunden pro Tag geben. Wer braucht eine bestimmte
Anzahl Stunden pro Tag? Wir brauchen Leute, die ein bestimmtes Ergebnis
abliefern. Mit vier Stunden, acht Stunden oder zwölf Stunden im Büro – sonntags
kommen und montags zu Hause bleiben. Es ist irrelevant für mich”, erklärt
Semler seltsam einleuchtend. (Quelle: http://www.sein.de, Autor David Rotter)
(Mehr zum Thema Gefühle als
Navigationssystem im Business Alltag finden Sie im Buch „Edgeworker –
Leadership war gestern, es ist Zeit für die Führungs-(R)Evolution“ von Nicola
Nagel und Patrizia Servidio)
Angst gehört zum Veränderungsprozess
dazu. Je mehr Konzepte, Konstrukte, Glaubenssätze und Erwartungen Sie fallen
lassen, desto größer scheint im ersten Moment die Angst zu werden. Die Angst,
für verrückt erklärt zu werden, für nicht zurechnungsfähig und letztendlich die
Angst, nicht mehr dazu zu gehören. Bei anderen löst eine tiefgreifende Veränderung
hin zu einer neuen Art des Arbeitens möglicherweise die Angst aus, Sicherheit
und Stabilität zu verlieren. Ein Mitarbeiter sagte einmal „Ich habe Angst, dass
die Firma zugrunde geht.“ Ja, genau! Eine Firma geht bei solch einem
Wandlungsprozess in der Form zugrunde, als dass die bisherige Firma mit alten,
überholten Denkweisen, mit Konzepten, Erwartungen und vermeintlichen
Sicherheiten aufbricht. Altes, Gewohntes und möglicherweise Bequemes zurück zu
lassen kann sich zunächst einmal anfühlen wie Sterben. Ein Teil stirbt, geht
zugrunde. Was letztendlich jedoch dahinter steckt, ist: „Ich habe Angst, dass
ich mich selbst verändern muss und nichts mehr so ist, wie früher.“ Und genau
darum geht es. Auf dem Weg der Transformation hin zu einer neuen Art des miteinander
Arbeitens geht es um den Menschen, darum, dass jeder Einzelne bereit ist, sich
zu verändern und sich über seine Verhaltensweisen bewusst zu werden. Dabei ist
nicht die Geschwindigkeit entscheidend. Entscheidend ist der Mensch. Es geht
nicht darum, von heute auf morgen alles Bekannte über Bord zu schmeißen. Es
geht darum, die Notwendigkeit zu erkennen, dann den Weg der Veränderung Schritt
für Schritt mit dem Team zu gehen und dabei dem Prozess zu vertrauen.
Was letztendlich dabei heraus kommen
kann, wenn die Mitarbeiter mit an Bord sind? Ein Unternehmen, in dem eine neue
Art des Arbeitens möglich ist, die Mitarbeiter lebendig und inspiriert sind,
sich kreativ einbringen, neue Ideen haben, selbstverantwortlich agieren und
eine neue Art von Miteinander Sein entsteht,
zum höchsten Wohle aller und der Erde. Sind Sie bereit den Schritt ins
Unbekannte zu wagen?
(Autorin: Nicola Nagel)
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