Mittwoch, 15. Januar 2014

Wahre Werte versus Bewertung - Erschaffen Sie Miteinander oder Getrenntsein?



Unsere Gesellschaft lebt in einem engen Korsett. Es ist das Korsett von Bewertung. Bewusst oder unbewusst bewerten wir ständig. Wir werden regelrecht darauf gedrillt zu bewerten. Das fängt in der Schule an und geht im Job direkt weiter. Wir lernen zu bewerten, weil wir selbst in dem System des Bewertens groß geworden sind und es als normal erachten. Doch haben Sie sich einmal gefragt, wie es wäre, gar nicht mehr zu bewerten, nichts und niemanden?

Da mag der ein oder andere bereits stutzen und sagen „das geht doch gar nicht, es gibt doch Dinge, die richtig sind und andere, die falsch sind“. Doch genau da wird es spannend. Wer legt denn eigentlich das Bewertungssystem fest, gegen das wir permanent gemessen werden und gegen das wir uns selbst und andere messen? Haben Sie dieses Bewertungssystem jemals in Frage gestellt oder haben Sie es – wie die meisten Menschen – einfach übernommen, getreu dem Motto „Das ist halt so.“?

Ich möchte Sie heute dazu einladen, Ihr Bewertungssystem einmal zu betrachten, denn Tatsache ist, dass Sie sich durch ein übernommenes Bewertungssystem selbst einengen. Sie sitzen sozusagen in Ihrem eigenen Gefängnis. Jede Bewertung, die Sie vornehmen oder in Ihrem Nervensystem gespeichert haben, ist wie eine der Gitterstangen durch die Sie aus Ihrem Gefängnis herausschauen. Die gute Nachricht ist: bei diesem Gefängnis steckt der Schlüssel innen. Sie können also das ganze Konstrukt selbst demontieren und Sie werden erstaunt sein, wie viel Energie und Zeit Sie plötzlich wieder zur Verfügung haben. Lassen Sie uns direkt damit beginnen.  

Experiment 1: Was, wen und wann bewerten Sie?
Nehmen Sie einmal ein Blatt Papier und lassen Sie die letzten Tage Revue passieren. Wen oder was haben Sie bewertet? Wann haben Sie bewertet? Beachten Sie, dass Bewertung oft auch stillschweigend stattfindet und zwar in Ihrem Kopf. Vielleicht kam Ihnen die Nachbarin entgegen und Sie dachten „Was hat die denn heute für einen komischen Fummel an!“ oder Sie haben über Ihren Chef gedacht „Der spinnt ja wohl total, mir dieses Projekt auch noch aufzudrücken.“ Vielleicht haben Sie auch gerade das gemütliche Fahrverhalten des älteren Herren vor Ihnen bewertet, indem Sie z. B. sagten „Mein Gott Opa, schlaf nicht ein beim Fahren.“

Vergessen Sie bei diesem Experiment auch nicht die Bewertung, die Sie über sich selbst abgeben. Wie oft meinen Sie, Sie seien vielleicht nicht gut genug, hübsch genug, intelligent oder talentiert genug? Wenn Sie z. B. versehentlich eine Flasche fallen lassen und zu sich selbst sagen „Hach Idiot, kannst Du nicht aufpassen!“, dann bewerten Sie sich in dem Moment.  Schreiben Sie alles an Bewertungen auf, das Ihnen in den Sinn kommt.

Vielleicht gab es einen Moment, in dem Sie dachten, Sie seien nicht okay, weil andere über Sie etwas Beurteilendes gesagt haben. Wer hat jedoch die finale Bewertung gegen Sie letztendlich vorgenommen? Die anderen? Nein, keineswegs. Es waren SIE selbst. Und zwar nur Sie. Lassen Sie mich das etwas klarer formulieren. Wenn jemand etwas Bewertendes zu Ihnen sagt, dann sind das zunächst einmal nur Worte. Neutral. Ohne jegliche Geschichte. Erst wenn Sie diese Bewertung annehmen und sich selbst an der irrsinnigen Bewertungs-Skala unserer Gesellschaft messen, entwickeln Sie die dazugehörige Geschichte, dass Sie vielleicht nicht okay sind.

Sie geben also in dem Moment Ihre eigene Autorität an ein Bewertungssystem ab, das zum Ziel hat, die Menschen kraftlos und genormt zu machen. Machen Sie sich das wirklich einmal bewusst:

In dem Moment, in dem Sie sich an einer Bewertungs-Skala messen,
geben Sie Ihr Zentrum und damit Ihre eigene Autorität ab,
ergo Ihre Kraft.

Lassen Sie das einmal sacken. Wenn Sie sich – oder auch andere – bewerten, nehmen Sie sich selbst Ihre Kraft und Autorität.

Die spannende Frage, die sich stellt, ist WARUM bewerten wir überhaupt? Wir bewerten, weil wir in einer Gesellschaft groß geworden sind, die auf Überleben statt auf Leben ausgerichtet ist, auf Wettkampf statt auf Gemeinschaft. Wenn Sie einmal die Natur betrachten, dann wird schnell klar, dass es dort keine Bewertung gibt. Das Bewertungssystem ist also vom Menschen hausgemacht, sprich von unserer modernen Kultur.

Bei kleinen Kindern können Sie das prima beobachten. Diese sind zunächst völlig unbekümmert und gehen gänzlich in ihrem kreativen Spielen auf. Sie überlegen sich nicht, ob sie beim Spielen etwas „richtig machen“ oder ob jemand das toll findet. Sie spielen einfach. Doch allerspätestens wenn sie in die Schule kommen, ist ein radikaler Wandel spürbar. Das Genietum, die Kreativität und Unkompliziertheit lassen mit zunehmendem Alter nach, bis die Kinder schließlich völlig in das Bewertungssystem unserer Gesellschaft eingenormt sind (Film Tipp: Film „Alphabet“ von Erwin Wagenhofer).  

Durch Bewertung töten wir die vielfältige Kreativität, Spontaneität und Weisheit, die in uns steckt.  Und letztendlich isolieren wir uns in dem Moment, in dem wir bewerten. Wenn Sie z. B. in einer Situation eine künstlich erschaffene Bewertungs-Skala ansetzen und infolge dessen deklarieren „Ich bin nicht okay, oder gut genug“, dann ist der nächste Überlebensmechanismus der anspringt „Ich ziehe mich zurück, ich gehe, ich mache nicht mit.“ Tatsache ist jedoch, dass Sie okay sind, egal, was andere sagen, oder welche Bewertungs-Skala auch immer im Raum steht.

Ja, und nun? Was können Sie jetzt tun, wenn wir doch jeden Tag Bewertungen konfrontiert werden, wo wir gehen und stehen?

Experiment 2: Installieren Sie einen Bewertungs-Detektor
SCHRITT 1:
Um aus dem Bewertungs-System auszusteigen, ist es zunächst einmal hilfreich, einen sogenannten Bewertungs-Detektor zu installieren. Montieren Sie ihn einfach in Ihrer Vorstellungskraft oben an Ihrem Körper. Meiner sitzt z. B. direkt unterhalb des linken Schlüsselbeins. Er kann rund oder eckig sein. Egal wie er aussieht, eines steht fest: er blinkt auf, wenn Sie bewerten oder Ihnen eine Bewertung an den Kopf geschmissen wird. Seien Sie ab sofort aufmerksam und schauen Sie, wann Bewertung stattfindet. Was ist der Trigger?

Wenn Sie jemanden oder etwas bewerten, stellen Sie als nächstes die Frage nach dem warum. Warum haben Sie in dem Moment bewertet? Was ist die Absicht dahinter?

SCHRITT 2:
Wenn Sie sich das nächste Mal selbst bewerten spüren Sie einmal genau hin, wie Ihre Energie in dem Moment flöten geht. Achten Sie gleichermaßen darauf, was passiert, wenn jemand Sie vielleicht sogar verbal und laut hörbar bewertet und Sie die Geschichte glauben. Spüren Sie bewusst den Schmerz, die Isolation, vielleicht sogar die Wut. Das ist Ihr neuer Referenzpunkt. Sie wissen in dem Moment, wie kraftlos, angepasst und trennend sich Bewertung anfühlt. Lassen Sie sich von diesem Schmerz treffen und transformieren. Wenn Sie bewusst fühlen können, was Bewertung macht, dann ist genau das der Schritt aus dem Bewertungssystem hinaus. Es bedarf einiger Selbst-Beobachtung, doch es lohnt sich, dieses Experiment durchzuführen. 

Es könnte zu Beginn schockierend für Sie sein zu beobachten, wie oft sie sich selbst oder andere bewerten. Lassen Sie sich auch davon treffen.

Experiment 3: Steigen Sie aus dem Bewertungssystem aus
Der nächste Schritt besteht darin, aus dem Bewertungs-System auszusteigen. Ihnen passiert ein Missgeschick? (allein dieses Wort enthält schon Bewertung) Sehen Sie es neutral. Etwas ist passiert. Punkt. Es ist nicht gut und nicht schlecht. Sie müssen es nicht bewerten. Ihr Partner hat erneut vergessen, die Theaterkarten abzuholen? Es ist wie es ist, also erfinden Sie nicht die Bewertung, dass er deswegen ein Idiot ist.

Und was tun Sie, wenn Sie von jemandem verbal in einer Unterhaltung destruktiv bewertet werden (z. B. im Sinne von „Du bist nicht gut genug.“)? Nun ein interessantes Experiment könnte sein zu sagen: „Vielen Dank für das Geschenk der destruktiven Bewertung. Ich nehme es nicht an und gebe es Dir hiermit zurück.“ Prüfen Sie vorher, das Timing und die Situation. Sie können sich diesen Satz sonst auch denken und damit nicht in den Bewertungs-Ring steigen.

Kürzlich saß ich einem Bekannten in einem Café gegenüber, der mir 5 Minuten lang zahlreiche bewertende Gründe nannte, warum das Projekt, das er im Sinn hat, genau das Richtige für ihn sei und deswegen alles andere Larifari sei, was er sowieso schon kenne und  nicht brauche. Mein Bewertungs-Detektor blinkte wie wild. Doch ich nahm keine der Bewertungen an. Es war seine Geschichte und nicht meine. Als er mich anschaute und eine Antwort spürbar erwartete gab ich ihm Feedback, dass diese Art von bewertender Kommunikation nicht gut und nicht schlecht ist, jedoch zum Resultat hat, dass sie jegliche Art von authentischem Kontakt und Miteinander zerstört. Ich sagte, ich sei an einer anderen Art von Miteinander interessiert und fragte ihn, wie es ihm damit ginge.  Er schaute mich an, schluckte kurz und verstand sofort, was ich meinte. Und genau in dem Moment wurde eine andere Art der Kommunikation möglich. Es war spürbar, wie die Starre am Tisch, die sich durch die Bewertung aufgebaut hatte, wie eine Mauer einstürzte und plötzlich Verletzlichkeit und Miteinander als Werte im Raum waren.

Bewertung ist nichts anderes als Positionierung. Es ist ein Überlebensmuster, das wir als Kinder ungeprüft übernommen haben. Es dient der Normung der Gesellschaft, damit weiterhin Konkurrenz und Wettkampf praktiziert werden und die Menschen voneinander getrennt bleiben, anstatt kraftvoll und bewertungsfrei ihre eigene Autorität zu sein und ihr volles Potenzial auszuschöpfen.  

Bewertungen schließen jedoch wahre Werte, Seins-Qualitäten oder helle Prinzipien aus. Um aus dem Bewertungssystem auszusteigen, ist es daher sehr hilfreich, dass Sie sich bewusst machen, welche Werte oder hellen Prinzipien Ihnen wichtig sind, wenn Sie mit anderen und auch mit sich selbst zusammen sind. Wenn Sie bewerten, dann füttern Sie Ihren Gremlin, Ihr inneres kleines Monster, Ihren inneren Richter, der Schattenaspekte wie Getrenntsein, Besserwisserei, Rechthaberei, Macht, Arroganz bevorzugt.

Doch was wollen Sie tatsächlich? Was ist Ihnen wirklich wichtig? Wie wünschen Sie sich, dass andere Menschen mit Ihnen umgehen. Sind Ihnen da vielleicht Werte wie Miteinander, Teamwork, Liebe, Respekt, Güte, Großzügigkeit, Wertschätzung und Warmherzigkeit wichtig? Wahre Werte oder helle Prinzipien haben nichts mit Bewertung zu tun.

Und: wenn Sie andere bewerten und damit auf Getrenntsein ausgerichtet sind, tun Sie sich das in dem Moment auch selbst an. Selbst wenn Sie sich in dem Moment gar nicht bewerten, sondern nur den anderen. Wir sind alle miteinander verbunden und das was Sie der anderen Person oder auch der Natur antun, tun sie in dem Moment auch sich selbst an.

Was sind also Ihre wahren Werte? Schreiben Sie doch jetzt einmal 3-4 Werte auf, die Ihnen wichtig sind.

Hier noch einmal die wesentlichen Unterschiede von Werten und Bewertung:

Wahre Werte / Prinzipien
Bewertung / Positionierung
Schließen ein
Schließt aus
Gemeinsamkeiten finden
Konkurrenz, Wettkampf
Flexibel
Starr, unbeweglich
Akzeptieren
Recht haben wollen
Miteinander
Getrenntsein / Isolation
Eigene Autorität, zentriert sein
Autorität abgeben, angepasstes Verhalten
Fördern von Kreativität und Genietum
Ersticken von Kreativität
Authentischer Kontakt
Eine unsichtbare Mauer entsteht
Offen, frei
Enges Korsett
Erlauben Verletzlichkeit
Erlauben Argumente und Logik
Herz-zu-Herz Kommunikation
Finden nur im Verstand statt
Vielfalt
Eintönigkeit
Warm
Kalt

Wenn Sie Ihre wahren Werte, die Ihnen am Herzen liegen aufgeschrieben haben, prägen Sie sich diese gut ein. Jedes Mal, wenn Ihr Bewertungs-Detektor aufblinkt, können Sie dann sofort eines oder alle dieser hellen Prinzipien allein mit Ihrer Absicht in den Raum hineinrufen und eine andere Art von Kommunikation und Miteinander kreieren (dies ist auch gedanklich möglich, sie brauchen die Werte nicht laut aussprechen. Die Absicht ist entscheidend).

Lassen Sie sich überraschen, wie viel mehr Energie und Zeit Ihnen zur Verfügung stehen, wenn Sie aufhören, sich oder andere zu bewerten. Und seien Sie nicht erstaunt, wenn es wesentlich „stiller“ wird in Ihnen, entspannter, ruhiger. Denn wenn das Bewertungssystem in Ihnen aktiv ist, diese unbewusste Bewertungs-Skala gegenwärtig ist, dann stehen Sie permanent unter Strom und Anspannung. Sobald Sie die Bewertungs-Skala zusammenbrechen lassen, kann sich auch Ihr physischer Körper und Ihr gesamtes Nervensystem komplett entspannen. Seien Sie wagemutig. Während andere das Bewertungssystem noch krampfhaft aufrecht erhalten, können Sie einen neuen Weg gehen.

In diesem Sinne, viel Freude beim Experimentieren mit Ihrem neu installierten Bewertungs-Detektor.

Herzliche Grüße,
    www.viva-essenza.com  

 
CREATING POSSIBILITIES!

 
Ihre Nicola Nagel