Mittwoch, 10. Dezember 2014

Die Illusion des Konsums - oder: Eine etwas andere Art von Weihnachtsgeschenken…



In der Vorweihnachtszeit drängt sich eine Frage auf, die zwar unterjährig auch relevant ist, jedoch im Dezember an Brisanz gewinnt: Wie neurotisch ist unsere Gesellschaft?

Es scheint als verfalle die moderne Gesellschaft in den 4 Wochen vor Weihnachten in einen Kauf- und Konsumrausch, der seinesgleichen sucht. In allen Geschäften glitzert und funkelt es und an jeder Ecke werden die Menschen mit Werbung, Weihnachtsliedern und Kaufangeboten beschallt. Die Reizüberflutung in den Städten ist unvergleichlich und trägt in der ohnehin schnelllebigen Zeit einmal mehr zum Stress der Menschen bei. Das Leben vieler Menschen ist ein einziger schneller, gestresster Irrsinn geworden, beginnend bei einem stressigen Job, über Freizeitstress (schließlich müssen die meisten am Wochenende mit Freizeitaktivitäten den Stress kompensieren, der sich unter der Woche angesammelt hat) und nun kommt auch noch das Weihnachts-Geschenke-Dilemma dazu.

Kürzlich sah ich an einem alten, weit-gereisten VW Bus an der Ampel einen interessanten Aufkleber: „No shoes, no shirt, no worries“. Was wäre, wenn wir uns darauf wieder besinnen würden und weniger mehr wäre? Fülle ist nur bis zu einem gewissen Grad gesund ist und zwar gesund für die Erde. Wie vielen Menschen ist beispielsweise tatsächlich bewusst, dass aktuell die Ressourcen von 2,5 Planeten verbraucht werden, obwohl wir nur diesen einen schönen Planeten haben? Wie viele Personen haben Kenntnis darüber, dass jeden Tag tausende, wenn nicht gar Millionen Tiere elendiglich verrecken, weil  sie Plastikmüll aus dem Meer fressen, in der Annahme es seien bunte Fische? Und das alles aufgrund der neurotischen Habgier und Ignoranz der modernen Gesellschaft, die zur Weihnachtszeit wieder einen Höhepunkt erreicht.  (Falls Sie das noch nicht gehört haben, schauen Sie sich dieses kurze Youtube Video an:http://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=0ZCNRzQ0IH4 ).

Der ein oder andere mag jetzt denken, dass dies ja nun nicht gerade ein besinnliches Thema zur Weihnachtszeit ist. Doch was, wenn es genau das Thema ist, um sich wirklich auf den Ursprung zu besinnen? Die Menschen wünschen sich gegenseitig be-SINN-liche Weihnachtstage. Doch was ist dieser SINN?

Einige mögen sagen, der Sinn ist, traditionell einem lieben Menschen mit einem Geschenk eine Freude zu machen, um an den Ursprung der Weihnachtsgeschichte zu erinnern. Doch wie viele Menschen zermartern sich jedes Jahr aufs Neue den Kopf darüber, was sie ihrem Mann, ihrer Frau, Tante Trudi, oder Oma Else und den 3 Freunden schenken sollen? Letztendlich wird alles gekauft, was es zu haben gibt: Handtaschen, Smartphones, Trockenhauben, Toaster, Kleidung, massenhaft Plastik-Spielzeug, Schmuck, Kitsch-Kram und Verlegenheitsgeschenke. Der Konsum ist eine Gesellschafts-Neurose geworden. Die Medien haben es geschafft, die Masse der Gesellschaft glauben zu machen, sie müssten bestimmte materielle Dinge besitzen, um „in“ oder „hip“ zu sein, anerkannt zu werden und – in Bezug auf Weihnachten – den gesellschaftlichen Norm zu entsprechen und dazu zu gehören (getreu dem Motto „Zu Weihnachten macht man halt Geschenke. Das ist nun mal so.). Doch genau das ist eine der größten Lügen überhaupt. Den eigenen Wert über materielle Dinge zu definieren, ist eine Illusion, eine künstliche Abhängigkeit. Nicht selten wird insbesondere zur Weihnachtszeit sogar die Liebe an dem Wert des Geschenkes der Person gemessen, die es macht. Konsum ist nichts anderes als eine Möglichkeit, die persönliche Taubheitsschwelle möglichst hoch zu halten, um nicht fühlen zu müssen, was tatsächlich auf der Erde, oder auch in der eigenen Beziehung los ist bzw. um wahre Intimität und Nähe zu vermeiden. Es scheint diesbezüglich eine einzige Verwirrung in der Gesellschaft zu herrschen.  

Da ist der Spruch auf dem VW Bus doch ein ernst zu nehmender neuer Ansatz „No shoes, no shirt, no worries“. Keine Schuhe, kein Shirt, keine Sorgen. Kein Konsum, keine Sorgen. Kein Geschenkwahn, keine Sorgen. Verstehen Sie das bitte nicht falsch, es geht nicht darum einer anderen Person keine Freude mehr in Form eines Geschenkes zu machen. Doch es geht einerseits um die Freude, die von Herzen kommt, nicht um die Pflicht und einen hausgemachten Gesellschaftsdruck. Andererseits geht es um die Sinnhaftigkeit der Geschenke.

Wie könnten be-SINN-liche Weihnachtstage aussehen, wenn Konsum nicht mehr im Vordergrund stünde? Was wäre die Besinnung auf den Ursprung? Es würde nicht mehr um die materiellen Geschenke gehen, sondern um das, was sich dahinter verbirgt: Wertschätzung, Respekt, Liebe, Nähe, Gemeinschaft. Es würde darum gehen, eine nährende Zeit mit lieben Menschen zu verbringen und die Wertschätzung für diese Menschen zum Ausdruck zu bringen. Anstatt dies über haufenweise gekaufte Geschenke auszudrücken (wenn diese Geschenke überhaupt ein Ausdruck dessen sind), gäbe es noch eine ganze Menge anderer Optionen. Sie könnten beispielsweise Wertschätzung, Möglichkeiten, Miteinander Sein und Zeit schenken. Wie würde das aussehen?


Wertschätzung schenken
In unserer Gesellschaft geht es fortwährend darum, was eine Person tut (z. B. welche Position sie im Job sie einnimmt) oder was eine Person hat (das neueste Smartphone, das schicke Auto, die Designer-Schuhe, etc.). Die Seins-Qualitäten einer Person werden meist völlig ignoriert. Doch es ist das Sein, das eine Person wirklich ausmacht. Wertschätzung  bezieht sich auf genau diese Seins-Qualitäten. Sie wertschätzen eine Person, indem Sie deklarieren, wie eine Person in ihrem Wesenskern IST. Wir sind es gewohnt zu sagen, dass jemand einen schönen Pulli trägt oder einen schicken Haarschnitt hat. Das hat jedoch nichts mit Wertschätzung des Seins zu tun. Das Sein hungert nach Nahrung, denn die wenigsten Menschen fühlen sich in ihrem Wesen gesehen. Dabei ist es so einfach. Sie können Wertschätzung in verbaler Form oder in Schriftform schenken.

Wenn sie die verbale Form wählen, dann setzen Sie sich der ausgewählten Person gegenüber (kein Tisch oder andere Gegenstände in der Mitte). Bevor Sie beginnen, klären Sie die Person über Ihr spezielles Wertschätzungs-Geschenk auf, indem Sie z. B. sagen „Ich habe ein ganz spezielles Geschenk für Dich. Ich würde Dir gerne Wertschätzung schenken….“ Bitten Sie die andere Person einfach nur zuzuhören und zu versuchen, das Geschenk anzunehmen. Dabei ist es sinnvoll, wenn Sie beide eine offene Körperhaltung haben und weder die Arme noch die Beine verschränken, damit Ihre Wertschätzung wirklich in der anderen Person landen kann.

Wenn Sie sich gegenüber sitzen, schauen Sie der Person in die Augen. Das kann bereits sehr intensiv sein. Atmen Sie einfach weiter. Wertschätzung kommt nicht aus Ihrem Verstand. Sie sehen die Seins-Qualitäten vielmehr in den Augen der anderen Person. Fangen Sie dann an zu sprechen, bevor Sie denken. Beginnen Sie beispielsweise mit „Was ich an Dir schätze, ist…“ und ergänzen Sie dann den Satz. Oder sagen Sie „Du BIST eine Frau/ein Mann mit viel….“ Sagen Sie, wie die Person in ihrem Kern IST. Vielleicht ist die Person sehr kreativ, oder Sie schätzen die Tiefe und Weisheit, die sie in sich trägt, oder die Person ist in ihrem Kern wie ein bunter Schmetterling, der die Menschen in seinem Umfeld mit Leichtigkeit begeistert. Malen Sie mit Ihren Worten die Seins-Qualitäten der Person aus. Machen Sie das für 3-5 Minuten (oder auch länger). Ihr Verstand funkt möglicherweise dazwischen und meint nach 2 Sätzen, dass es genug ist. Hören Sie nicht auf Ihren Verstand! Ihr Herz hat sehr viel mehr zu sagen und Sie können die Seins-Eigenschaften wirklich in den Augen der anderen Person ablesen. Vertrauen Sie darauf.

Wenn Sie mit mehreren Menschen Weihnachten verbringen, können Sie alle in diese Wertschätzungs-Geschenk-Runde einbinden und Zweier-Teams bilden. Schlagen Sie vor, dass sich jeweils 2 Personen gegenüber setzen und jeder den anderen für 3-5 Minuten wertschätzt (dann ist es sinnvoll, dass Sie auf die Zeit achten und nach 3  oder 5 Minuten alle gleichzeitig die Rollen wechseln lassen). Sobald eine Runde vorbei ist, lassen Sie die Personen noch eine Minute still miteinander sitzen, damit die Wertschätzung – die sie möglicherweise noch nie in der Form gehört haben – sacken kann.

Sie können die Übung alternativ auch als gesamte Gruppe machen. Dazu würden Sie im Kreis sitzen und jeweils ganz laut gemeinsam den Namen einer Person rufen, damit diese wach und präsent ist. Dann gibt die ganze Gruppe gleichzeitig dieser Person Wertschätzung. Nach 3-5 Minuten lassen Sie eine Glocke ertönen und der Name der nächsten Person wird gerufen.

Sie werden überrascht sein, welch besinnlicher und nährender Raum sich dadurch für alle Beteiligten öffnet. Dieses Experiment ist nicht nur für diejenigen nährend, die Wertschätzung bekommen, sondern auch für die, die Wertschätzung geben.

Falls Ihnen die verbale Form von Wertschätzung zu gefährlich ist, können Sie auch einen Brief formulieren, in dem Sie die entsprechende Person wertschätzen. Diesen können Sie dann schön verpackt überreichen.


Möglichkeiten schenken
Eine weitere, sehr nährende Form von Geschenk ist das sogenannte Möglichkeits-Sprechen. Das funktioniert zu Weihnachten besonders gut, wenn Sie mindestens zu dritt sind. Eine Person sitzt den beiden anderen in einem Stuhl gegenüber. Sie eröffnen diese Möglichkeits-Geschenk-Runde, indem Sie zunächst den Kontext dafür setzen und erklären, dass es beim Möglichkeits-Geschenk darum geht, dass die Einzelperson um konkrete oder allgemeine Möglichkeiten bittet. Dies geschieht durch die Konkrete Formulierung „Bitte gebt mir Möglichkeiten.“ (das wäre allgemein) oder „Bitte gebt mir Möglichkeiten in Bezug auf….“ (die Einzelperson würde hier ein konkretes Thema wählen). Dadurch entsteht eine Notwendigkeit im Raum und die beiden anderen Personen können beginnen, in diese Notwendigkeit hineinzusprechen (durch die ausgesprochene Notwendigkeit „retten“ Sie die andere Person nicht). Für die Sprecher gilt lediglich: Nicht denken! Sie sprechen als Raum für die sogenannten Hellen Prinzipien. Ihr Verstand und Ihr Ego treten in den Hintergrund. Sie sprechen das aus, was sie als Impuls bekommen, ohne dass Ihr Verstand das ganze vorher editiert. Um zu einem „Raum“ zu werden, schnipsen Sie mi Ihren Fingern und stellen Sie sich vor, dass Sie eine Blase um sich herum haben, die den Raum darstellt. Dies ist am Anfang eventuell etwas schwierig. Wenn Sie beispielsweise den Impuls bekommen zu sagen „Geh in den Wald und füttere das Kaninchen“, dann könnte Ihr Verstand dazwischen funken und Ihnen erzählen, dass das überhaupt keinen Sinn ergibt. Sagen Sie es trotzdem. Die Person, die um Möglichkeiten gebeten hat, kann damit garantiert etwas anfangen. Manchmal kommen Botschaften als Bilder verschlüsselt. Geben Sie der Person 3-5 Minuten Möglichkeiten.

Eine humorvolle Alternative dazu ist – und das ist möglicherweise für den ein oder anderen zu Beginn einfacher – dass Sie einen bestimmten Charakter annehmen. Sobald die Einzelperson die Bitte um Möglichkeiten gestellt hat, stehen Sie und der zweite Sprecher auf, drehen sich einmal um sich selbst und sowie Sie sich hinsetzen, schlüpfen Sie in die Rolle des ersten Charakters, der Ihnen in den Sinn kommt. Das kann eine berühmte Person sein, der Nachbar, eine Fantasie-Figur,  ein Tier, was auch immer. Sie nehmen das erste, was auftaucht. Kommt Ihnen z. B. Donald Duck in den Sinn, dann stellen Sie sich bei der Einzelperson kurz vor, sobald Sie sitzen: „Hallo mein Name ist Donald Duck“. Dann sprechen Sie aus diesem Charakter, indem Sie Mimik, Gestik und Stimme dieses Charakters annehmen. Wichtig ist, Ihren Impulsen zu folgen und diese ungefiltert auszusprechen.

Die Einzelperson wird einen Haufen Möglichkeiten bekommen. Dieses Geschenk ist wertvoller, als es ein gekauftes Geschenk je sein könnte. Nach 3-5 Minuten wechseln Sie die Rollen und die nächste Person bittet um Möglichkeiten.


Miteinander Sein – Sitzen in Beziehung
Ein ganz anderes Geschenk, bei dem nicht gesprochen wird, ist das sogenannte „Sitzen in Beziehung“. Dazu setzen Sie sich Ihrem Partner oder einer anderen lieben Person nah gegenüber, achten jedoch darauf, dass Sie sich nicht berühren. Sie können entweder auf Stühlen oder auf dem Boden sitzen. Dann schauen Sie einander für 10 Minuten in die Augen, ohne etwas zu sagen. Es geht nicht darum zu Starren oder das Spiel zu spielen, wer zuerst blinzelt. Es geht darum, gesehen zu werden, sich sehen zu lassen und die andere Person wirklich zu sehen. Es ist eine Verbindung von Sein zu Sein, die keiner Worte bedarf. Es hilft, wenn Sie sich dabei auf ein Auge der anderen Person konzentrieren. Sie müssen nicht das ganze Gesicht oder beide Augen gleichzeitig im Blick haben. Das sorgt nur für eine unruhige Bewegung Ihrer Augen. Konzentrieren Sie sich auf ein Auge. Möglicherweise verschwimmt dabei sogar das Gesicht der anderen Person ein wenig. Es kann auch passieren, dass Sie dabei etwas fühlen, denn es kann bewegend sein, wirklich gesehen zu werden und die andere Person zu sehen.

Nach 10 Minuten beenden Sie das stille Sitzen in Beziehung und tauschen sich darüber aus, was Sie wahrgenommen haben.


Zeit schenken
Eine weitere interessante Möglichkeit ist es, Zeit zu schenken. Im stressigen Alltagsleben ist es oftmals schwierig, Zeit zu finden, die wirklich intensiv mit dem Partner oder mit Freunden genossen werden kann. „Ich habe keine Zeit“ ist ein viel benutzter Satz in unserer Gesellschaft.  Statt jedoch Opfer von Zeit und Umständen zu sein, wäre die Alternative, dass Sie zum Zeitmacher werden. Denn das sind Sie. Sie sind Zeitmacher! Wie Sie Ihre Zeit verbringen, ist grundsätzlich Ihre Entscheidung. Sie machen Zeit für die Dinge die Sie tun.  Wenn Sie beispielsweise meinen „keine Zeit“ zu haben, um mit Ihrer Frau oder Ihrem Mann einen schönen Tag in der Natur zu verbringen und ein romantisches Picknick zu machen, dann sind Sie Opfer der Zeit. Sie können jedoch genauso Zeit für solch einen schönen Tag machen, indem Sie diesen Tag im Kalender einfach blocken und keinem anderen Termin erlauben, diesen Tag zu zerstören.  Sie entscheiden, für wen oder welche Aktivitäten Sie Zeit machen. Werden Sie zum Zeitmacher und verschenken Sie Ihre kostbare Zeit an eine Person, die Ihnen am Herzen liegt.

Diese vier genannten Experimente sind eine Einladung, dem Geschenkwahn zu entrinnen und Weihnachten einmal anders zu gestalten, als bisher. Probieren Sie es einfach einmal aus. Ihr Ego wird möglicherweise ein Veto einlegen und Sie spüren vielleicht sogar Angst. Es ist angemessen Angst zu haben, wenn Sie diese Experimente machen, denn Sie betreten damit unbekanntes Gebiet. Sie wagen etwas, das Sie vielleicht noch nie gewagt haben. Nehmen Sie die Angst als Indikator dafür, dass sie einfach etwas Ungewohntes, Neues tun. Angst ist einfach nur Angst. Ein wertvolles Gefühl, das Ihnen dient. Lassen Sie nicht zu, dass die Angst Sie blockiert und Sie die Gelegenheit verstreichen lassen, nährende Erfahrungen zu machen.

Wirklich be-SINN-lich sind jene Momente, die unser Herz und unser Sein nähren. Lassen Sie diese nicht verstreichen, sondern kreieren Sie diese mutig. 

Besinnlich, wertschätzende Seins-Grüße,
Ihre Nicola Nagel


CREATING POSSIBILITIES!
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Sonntag, 16. November 2014

Verletzlichkeit in Beziehung



Immer wieder begegne ich Menschen, die sich Verletzlichkeit, Nähe und Authentizität in Beziehung wünschen, doch gleichzeitig damit ringen. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um eine Paar-Beziehung, Beziehung zu Freunden oder sogar um Beziehung zu Kollegen handelt. Scheinbar ist Verletzlichkeit eine delikate Angelegenheit, wird sie doch in der modernen Gesellschaft oftmals als Schwäche, ja sogar als Tabu bezeichnet. Das Thema scheint ein einziges Paradox zu sein. Die Menschen wünschen sich tiefen, authentischen, verletzlichen Kontakt, doch der Schritt dahin, die Maske tatsächlich abzulegen und sich verletzlich zu zeigen, scheint gefährlich. Das ist nicht verwunderlich, werden die meisten doch tagtäglich darin gedrillt, ihre persönlichen Gefühle und ihr Herz an der Eingangstür des Unternehmens, für das sie arbeiten, abzulegen und den ganzen Tag lang eine professionelle, sterile Maske zu tragen. Unsere Gesellschaft unterstützt das Vorgehen des einsamen Wolfes: alles im Griff haben, bloß nicht verletzlich oder angreifbar sein. Wen wundert es da, dass es vielen Menschen auch im Privatleben letztendlich schwer fällt, sich verletzlich zu zeigen. Das Spiel, das im Job so meisterlich gespielt wird und bei dem es oftmals darum geht, die eigene Position zu festigen und zu verteidigen, wird leider allzu häufig auf den privaten Bereich übertragen. Oder aber das Gegenteil passiert: Gerade weil im Job ein stressiges und nicht selten rauhes Umfeld herrscht, versuchen die ein oder anderen im privaten Bereich alles schön harmonisch zu gestalten – zumindest oberflächlich – und lieber alles beim Alten laufen zu lassen. 

Beides ist jedoch nicht authentisch und verhindert letztendlich Nähe, Vertrautheit und Kontakt. Obwohl der Wunsch und die Sehnsucht nach authentischem Kontakt da ist, warten die meisten in der Regel erst einmal ab, ob nicht die andere Person vielleicht den ersten Schritt macht und die Tür zu mehr Vertrautheit öffnet. Was viele Menschen von mehr Verletzlichkeit und Nähe abhält, ist nichts anderes als Angst. Angst davor, zurückgewiesen zu werden, als schwach deklariert zu werden, oder als „Depp“ da zu stehen, denn schließlich können Sie ja nicht wissen, wie der andere reagiert, wenn Sie sich verletzlich zeigen. Mit der gewöhnlichen Einstellung, dass Angst nicht okay sondern bitteschön zu vermeiden ist, begeben wir uns somit in einen fortwährenden Eiertanz zwischen „soll ich?“ oder „soll ich nicht?“ bzw. „Hach ich würd ja gerne, aber…“

Die alte, gängige Sichtweise auf Verletzlichkeit in der modernen Gesellschaft ist, dass Verletzlichkeit gar nicht angemessen bzw. nur in extrem „großen“ Momenten angemessen ist. Solche Momente können jene sein, in denen jemand einen großen Preis gewinnt oder eine Heldentat vollbringt und sich berührt zeigt, oder in zerstörerischen Momenten, wenn beispielsweise Menschen aufgrund eines Erdbebens alles Hab und Gut verlieren. Andernfalls wird Verletzlichkeit als Schwäche gesehen. Sie ist unmännlich, unprofessionell, etwas für Heulsusen und Weicheier. Eine Person die sich verletzlich zeigt, ist laut gängiger Meinung nicht fähig, klare Entscheidungen zu treffen und kann definitiv keine Führungsperson im hierarchischen Firmenkontext sein. Wer verletzlich ist, hat sich nicht im Griff und ist angreifbar. Soweit die Definition, die vielen bekannt sein dürfte. 

Verletzlicher authentischer Kontakt ist jedoch Herz-Nahrung. Unsere Herzen hungern nach diesem Kontakt, denn er ermöglicht uns, dass wir gesehen werden, uns sehen lassen und auch die andere Person wahrhaftig sehen. Sobald wir Verletzlichkeit zulassen und ausdrücken können, zeigen wir uns in unserem wahren Sein. Bevor Sie jedoch da hingehen können, ist es erforderlich zunächst einmal aufzuräumen mit der alten Sichtweise in Bezug auf Verletzlichkeit. 

Wie wäre es für Sie, wenn Verletzlichkeit tatsächlich eine Stärke wäre? Wenn es einfach bedeuten würde, dass Sie authentisch, menschlich, berührbar sind, leben und nicht kristallisiert sind? Wie wäre es, wenn Verletzlichkeit nicht peinlich, sondern ein Türöffner wäre? Was, wenn Sie nicht mehr der irrsinnigen Gesellschafts-Norm entsprechen müssten, permanent eine perfekte Maske zu tragen und die Dinge stets im Griff zu haben, sondern sich aufrichtig in Ihrem Sein zeigen könnten?

Im Folgenden finden Sie eine Gegenüberstellung der alten und einer möglichen neuen Sichtweise. 

Verletzlichkeit – Alte Sicht
Verletzlichkeit – Neue Sicht
Schwäche
Stärke
Weichei, Heulsuse
Berührbar
Unprofessionell
Menschlich
Unfähigkeit klare Entscheidungen zu fällen
Fähigkeit Entscheidungen nicht nur aus dem Intellekt zu fällen
Angreifbar
Zugang zur Kraft der Gefühle
Unmännlich
Authentisch
Hat sich nicht im Griff
Zeugt von Nahbarkeit
Peinlich
Mutig
Schließt aus /
entspricht nicht der Gesellschafts-Norm
Schließt ein / verbindet
Ist ein Risiko
Ist eine Chance,
Wirkt abschreckend
Ist ein Türöffner
Sich zum Deppen machen
Das eigene Sein zeigen
Zu vermeiden
Herz-Nahrung
Gefährlich
Entspannend, nährend, erfüllend.

Sich verletzlich zu zeigen, erfordert Mut. Wenn Sie zulassen, dass die Angst in dem Moment, in dem Sie die Möglichkeit haben die Tür zu mehr authentischem Kontakt zu öffnen, Sie im Griff hat und blockiert, dann werden Sie mit großer Wahrscheinlichkeit die Gelegenheit verstreichen lassen. Sie können jedoch auch eine neue Haltung einnehmen. Diese könnte folgendermaßen lauten:

Mut ist die Entscheidung, dass etwas anderes wichtiger ist, als die Angst!

Das bedeutet nicht, dass Sie keine Angst mehr spüren. Im Gegenteil. Es ist sogar angemessen und wertvoll, dass Sie Angst spüren, wenn Sie dabei sind, sich verletzlich zu zeigen, denn die Angst ist in dem Fall ein Indikator, dass Sie neues, unbekanntes Gebiet betreten. Sie können die Angst somit als Hinweis nutzen und gleichzeitig entscheiden, dass authentischer, verletzlicher Kontakt zu der anderen Person wichtiger ist, als die Angst. Sie haben in dem Moment die Chance, Ihre Beziehung zu der anderen Person auf eine völlig neue Ebene zu bringen. Was könnte wichtiger sein?

Sie haben öfter die Möglichkeit, sich verletzlich zeigen, als Sie meinen. Beispielsweise wenn Sie:

·         aufrichtig teilen, wie es Ihnen gerade geht (anstatt pauschal mit „gut“ zu antworten)
·         ein neues Experiment in Intimität mit Ihrem Partner ausprobieren möchten und dies ansprechen.
·         nicht wissen, wie etwas geht und dies aufrichtig mitteilen.
·         über Ihre Gefühle sprechen und klar sagen „Ich fühle mich wütend, ängstlich, traurig, froh, weil...
·         jemanden um Verzeihung bitten
·         eine andere Person um Hilfe bitten.
·         Ihre Wünsche mitteilen.
·         sagen, was für Sie nicht in Ordnung ist.

Kürzlich zeigte sich beispielsweise ein Mann in einem Training absolut verletzlich, indem er aufrichtig unter Tränen seine Traurigkeit ausdrückte. Seine Partnerin, die ebenfalls anwesend war, äußerte danach „Das ist das erste Mal, dass ich Dich weinen sehe“. Beide konnten spüren, dass dieser verletzliche Moment ein Türöffner für eine neue Ebene in ihrer Beziehung war. 

Eine Möglichkeit für authentischen, verletzlichen Kontakt wäre auch, dass Sie gegenüber einem guten Freund oder einer guten Freundin Themen ansprechen, die Sie beschäftigen, die aber möglicherweise in der Gesellschaft tabu sind. Beispielsweise gibt es intime Themenbereiche wie z. B. Sexualität, die wir alle teilen, die jedoch niemand wirklich wagt anzusprechen. So grübelt jeder für sich in seinem Hirn darüber nach, oder versucht Informationen aus irgendwelchen Zeitschriften zu erhaschen, anstatt dass wir uns einer vertrauten Person mitteilen, uns gegenseitig unterstützen und dadurch gemeinsam das Experiment in Vertrautheit und authentischem Kontakt machen. 

Ich hatte kürzlich das große Glück, mit einer sehr lieben Freundin genau darüber zu sprechen. Jede von uns zeigte sich mehr und mehr verletzlich und schließlich vereinbarten wir, das Experiment zu machen, authentisch verletzlich über ur-weibliche Themen zu sprechen. Eine freudige Aufgeregtheit war spürbar und gleichzeitig machte sich eine unglaubliche Entspannung breit. Hatte ich Angst? Ja! Doch das Spannende ist, dass diese Angst verschwindet, sobald Sie diese als Hinweis zu einem neuen, unbekannten Gebiet nutzen und den Schritt ins „Leere“ wagen. In dem Moment, in dem Sie den Schritt über die bekannte Grenze hinaus wagen, werden Sie feststellen, dass sich plötzlich neuer Boden unter Ihren Füßen auftut. Sie müssen einfach nur weiter atmen und werden dann feststellen, dass Ihr Herz genährt wird, wenn Sie in verletzlichen Kontakt treten und Sie werden das Geschenk einer völlig neuen Qualität Ihrer Beziehungen erleben. 

Sie müssen noch nicht einmal wissen, wie es geht. Allein Ihre Absicht, authentischen, verletzlichen Kontakt zu kreieren, wird Ihnen ermöglichen, den Schritt ins Unbekannte zu gehen. 

Experiment:
Überlegen Sie einmal, mit wem Sie gerne authentischeren und verletzlicheren Kontakt hätten. Ist es Ihr Partner, eine Freundin, jemand in Ihrer Familie?

Wie würde dieser Kontakt aussehen? Über welche Themen würden Sie mit der Person gerne sprechen? 

Das Experiment besteht darin, den ersten Schritt in verletzlichem, authentischem Kontakt mit dieser Person in der Form zu wagen, dass Sie das Gespräch vom gewöhnlichen Modus in neues Gebiet lenken. Ein Anführer in authentischem Kontakt ist derjenige, der den Schritt ins Unbekannte wagt und sich als erster verletzlich zeigt. Eine Möglichkeit ist, dass Sie authentisch etwas von sich teilen und Gesprächs-Starter nutzen, wie z. B.: 

  • „Was mich gerade beschäftigt ist….“
  • „Heute fühle ich mich…, weil…. Wie geht es Dir?
  • „Hast Du Dich auch schon einmal gefragt….“
  • „Kennst Du das, wenn….“
Sie können auch über Ihre Angst sprechen, sich verletzlich zu zeigen und fragen, wie es der anderen Person geht „Hast Du Dir darüber schon einmal Gedanken gemacht?“ Sie werden erstaunt sein, wie schnell das Gespräch eine völlig neue Dimension annimmt und weg geht vom üblichen „Wie geht’s, wie läuft’s, was machst Du so, wie war Dein Tag.“ 

Wenn Sie Experimente in verletzlichem Kontakt machen, achten Sie jedoch auch auf das Timing. Wenn Ihr Partner oder Ihre Freundin gerade mit etwas anderem beschäftigt  oder auf dem Weg zu einem Termin ist, wäre das kein guter Zeitpunkt. Achten Sie darauf, dass Sie in entspannter Atmosphäre sind, beide Zeit haben und der andere auch gerade gesprächsbereit ist.

Verletzlicher Kontakt ist ein großes Geschenk, das unsere Herzen nährt, uns wärmt und verbindet. Ich wünsche Ihnen von Herzen, dass Sie so viele Gelegenheiten wie möglich kreieren und erleben.

Herzlich verletzliche Grüße, 
Ihre Nicola Nagel

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Donnerstag, 16. Oktober 2014

Der Phönix Effekt - Kreieren aus dem Nichtwissen heraus



Heute ist so ein Tag, an dem ich nicht weiß, über was ich eigentlich schreiben soll. Ich weiß es einfach nicht. Ich könnte über alles und nichts schreiben, doch es kommt kein klarer Impuls für ein Thema. Gleichzeitig habe ich mich verpflichtet, meinen Lesern monatlich neue Möglichkeiten in Form eines Artikels zur Verfügung zu stellen. Was nun? Vielleicht ist ja genau das DAS Thema, im Nichtwissen zu stehen.

Kennen Sie das, dass Sie manchmal einfach keine Ahnung haben? Wie geht es Ihnen damit? Können Sie gut im Nichtwissen stehen, oder suchen Sie eher sofort nach einer Lösung oder einem bekannten Konzept, das Sie hoffentlich anwenden können? In der modernen westlichen Gesellschaft wird uns eingetrichtert, dass wir immer alles wissen müssen. Wir müssen für jedes Problem eine Lösung finden, Antworten parat haben und mit Fachwissen im Job brillieren. Wir sind darin trainiert, ständig etwas zu tun und maßgeblich unseren Verstand zu gebrauchen und diesen unser Leben steuern zu lassen. Wir sind geübt darin, immer mehr Wissen anzuhäufen. Es beginnt bereits in der Schule, geht in der Ausbildung und im Studium weiter, hört auch im Job nicht auf und die Medien wie Fernsehen, Radio und Internet tun ihr übriges dazu. Wissen, wissen, wissen. „Wissen ist Macht“ heißt ein Sprichwort. Wen wundert es da, dass eine Fehlverkabelung in unserem Gehirn installiert ist, die heißt „Wenn ich etwas nicht weiß, ist das schlecht“ oder „Wenn ich etwas nicht weiß, bin ich nicht professionell“ oder – sinnbildlich gesprochen - „Wenn ich etwas nicht weiß, sterbe ich“.

Kürzlich war ich auf einer mehrtägigen Veranstaltung, bei der es um nachhaltige Wege für die planetare Zukunft ging. Für dieses Event gab es einen Ablaufplan, auf dem genau stand, an welchem Tag zu welcher Uhrzeit welche Aktivitäten oder Zusammenkünfte der Teilnehmer stattfanden. Am Anfang einen Plan zu haben, war im konkreten Fall zunächst einmal sinnvoll, um der Veranstaltung überhaupt eine Struktur zu geben. Doch wenn mehrere Pioniere, Revolutionäre und Visionäre zusammenkommen, kann ein starres Festhalten an einem Plan sehr schnell nach hinten los gehen. Nachdem eine schöne, riesige Plakatwand entstanden war, an der Post-It Zettel klebten, auf denen die Workshop Angebote für einen weiteren Tag standen, trug es sich zu, dass jemand über Nacht in geheimer Mission die Zettel abgemacht und dazu benutzt hatte quer über die Plakatwand den Satz zu kleben „We don’t know“.

Es war sehr spannend die Reaktionen der Teilnehmer und Organisatoren zu beobachten, als sie morgens den Raum betraten. Einige waren komplett entspannt und fühlten sich sichtlich wohl damit, während andere völlig irritiert – ja fast schon wütend - anfingen zu versuchen herauszufinden, wer es denn gewagt hatte den „Plan“ zu zerstören und ihre Zettel wegzunehmen. Es gibt sogar Menschen, die heute noch wissen wollen, wer es denn nun damals war. Dabei ist das völlig egal. Die Aktion hat dazu geführt, dass sich die Veranstaltung aus eben diesem Nichtwissen heraus auf einer völlig anderen Ebene weiter entwickeln konnte. Nur das zählt.

Wir sind es so sehr gewohnt, einen Plan, ein Konzept, eine Strategie zu haben und Dinge unter Kontrolle zu halten. Schließlich müssen wir doch WISSEN, wo es hin geht, was wir tun müssen, oder wie etwas aussehen wird. Fakt ist jedoch, wenn Sie das anwenden, was Sie immer schon wussten, können Sie auch immer nur die gleichen Resultate erzielen, die Sie immer schon erzielt haben. Möchten Sie also etwas Neues im Leben kreieren, könnte es notwendig sein, altes Wissen über Bord zu werfen und sich dem Chaos des Nichtwissens hinzugeben. Ein neuer Phoenix kann bekanntermaßen erst entstehen, wenn der alte Phoenix in Flammen aufgegangen ist. Ein neuer Phoenix kann nur aus der Asche entstehen, aus dem NICHTS.

Wir sehen uns öfter dem Nichtwissen gegenüber, als wir meinen. Da die wenigsten jedoch damit vertraut sind, im Nichtwissen zu stehen, überkleben wir selbiges gerne mit Glaubenssätzen. Anstatt mutig einen Schritt in das Nichtwissen zu machen und authentisch zu sagen „Ich weiß es nicht“ lautet die Antwort oftmals „Ich glaube, dass…“ oder „Ich habe gehört, dass…“ Glaubenssätze sind Pflaster über den Löchern in unserer Weltsicht, wo wir nicht wissen. Pläne und Glaubenssätze bilden somit eine gewisse Sicherheit.

Doch vielleicht kennen Sie das Zitat „Life is what happens to you while you are busy making other plans“ von John Lennon. Leben ist das, was passiert, während Du damit beschäftigt bist, andere Pläne zu machen. Das Leben rennt sozusagen an Ihnen vorbei und Sie verpassen es, wenn Sie versuchen verschiedene Lebensbereiche durchzuplanen, sei es Ihr Job, Ihre Beziehung, Ihre Vision. Der Versuch Dinge zu planen, schränkt Ihre Kreativität, Inspiration und Ihr Leben insgesamt ein. Und vor allem hindert das Planen Sie daran, überhaupt loszugehen und Dinge auszuprobieren. Wenn Ihr Leben nach einem Plan verlaufen und „sicher“ sein muss, dann kann das Leben vorrangig nur linear sein: Sie werden geboren, gehen zur Schule, machen vielleicht eine Ausbildung, haben einen allgemein gültigen Job, der auch auf dem Formular des Finanzamtes Gültigkeit hat, verdienen im Job Geld, heiraten, bekommen Kinder, gehen irgendwann in Rente und sterben dann letztendlich. Das ist der lineare Lebensplan.

Eigentlich sind wir Menschen jedoch dazu entworfen, zu fliegen, im Nichtwissen zu stehen, kreativ zu sein und voller Inspiration neue Wege zu gehen. Sie könnten z. B. einen neuen Job erfinden, der nicht auf dem Formular des Finanzamtes steht, der Sie aber erfüllt. Die Fehlverkabelung in unserem Gehirn, dass Nicht-Wissen gleich „Gefahr“ oder „Tod“ bedeutet, geht einher mit einer zweiten Fehlverkabelung in Bezug auf Angst. Prüfen Sie einmal kurz, welche Verkabelung Sie bezüglich des Wortes Angst in Ihrem Kopf haben und ergänzen Sie „Angst ist….“. Vielleicht ist es eine Definition wie „Angst ist schlecht“ oder „Angst ist zu vermeiden“ oder „Angst ist blockierend bzw. lähmend“. Egal, welche Definition Sie mit Angst verknüpft  haben, Fakt ist, dass Sie mit einer solchen Definition dem Nicht-Wissen nur ungern begegnen werden, denn Nichtwissen impliziert Angst. Angst, weil Sie Wege gehen, die Sie vorher noch nicht gegangen sind. Die Definition „Angst ist lähmend bzw. schlecht“ wird Sie somit davon abhalten sich überhaupt in eine Situation zu begeben, in der Sie keine Ahnung haben, wie es geht. Sollten Sie dennoch in eine Solche Situation geraten, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass Sie sich an altbekannten Konzepten und Strategien festklammern werden und versuchen, diese so zu verbiegen und anzuwenden, um sich irgendwie „sicher“ zu fühlen. Dieser Effekt wird erst recht eintreten, wenn es möglicherweise sogar chaotisch wird. Sie werden versuchen, irgendwie Herr der Lage zu werden.

Stellen Sie sich vor, 3 Personen fallen in ein Loch ohne Boden (also ins Nicht-Wissen). Mit der Verkabelung „Angst ist schlecht“ könnte das dazu gehörige Bild ungefähr so aussehen:



Mit der oben genannten Fehlverkabelung sind Sie in einer Situation, in der Sie nicht wissen, wie es geht, hilflos, blockiert, gelähmt und verkrampft.

Entgegen der gängigen Meinung, dass Angst nach Möglichkeit zu vermeiden ist, ist Angst jedoch – wie andere Gefühle auch – ein wertvolles Gefühl, dass uns durch das Leben navigiert. Sie brauchen die Angst. Angst ist weder schlecht, noch ein Design-Fehler im menschlichen Körper. Entscheidend ist somit, die Angst tatsächlich dienlich zu verkabeln. Wie würde die kraftvolle Verkabelung lauten? Angst ist….? Richtig: ANGST IST ANGST! Nur das. ANGST IST ANGST. Ohne weitere Bedeutung. Angst ist einfach ein wichtiges Gefühl, das Ihnen z. B. zeigt, dass Sie Neuland betreten, oder nicht wissen wie es geht. Wenn es okay für Sie ist, Angst zu haben, dann können Sie auch im Nichtwissen stehen und sich dabei entspannen. Unsere 3 Personen, die in ein bodenloses Loch des Nichtwissens fallen und für die Angst okay ist, würden dann so aussehen:


Wie gesagt, Angst ist ein wunderbarer Gefühls-Indikator, der Ihnen unter anderem sagt, dass Sie neues Gebiet betreten. Hier ein Beispiel: Neulich sollte eine Mitarbeiterin einer Geschäftsführerin Feedback geben, was nicht funktioniert. Die Mitarbeiterin wusste nicht, wie das gehen sollte, schließlich war sie doch in der Hierarchie weiter unten und sie hatte große Angst davor, dieses Experiment zu wagen. Es lag weit über ihrer Angst-Schwelle und weit außerhalb ihrer Komfortzone. Sie entschied sich letztendlich, der Angst zu vertrauen und den Schritt ins Nichtwissen zu wagen. Sie fing also einfach an zu sprechen und gab klares, kritisches Feedback, ohne zu wissen, wie es ging, wie es ankommen oder was als nächstes passieren würde. Das Resultat war, dass die Geschäftsführerin sehr dankbar über das Feedback war und die Mitarbeiterin hinterher treffend feststellte „Toll, mein Kopf ist ja noch dran. Ich lebe noch. Und es tat gar nicht weh.“

Vielleicht haben Sie auch eine Vision, wie z. B. die Struktur Ihres Unternehmens in Zukunft aussehen könnte, haben aber keine Ahnung, wie Sie dahin kommen können. Prima, beste Voraussetzungen!!! Erzählen sie genau das zwei, drei Leuten, holen Sie diese ins Boot, lassen Sie sich überraschen, welche Möglichkeiten sich plötzlich ergeben und wie das Projekt ins Rollen kommt.

Oder nehmen wir das Beispiel von authentischem Kontakt in Beziehung. Wenn Angst für Sie nicht okay ist und Sie deswegen Nichtwissen vermeiden wollen, dann bleibt Ihre Beziehung auf der gleichen Ebene. Dann bewegen Sie sich nicht aus Ihrer bekannten Komfortzone heraus und wagen nichts Neues, weil Sie ja nicht wissen, was passieren wird. Wenn Sie sich mit Angst und Nichtwissen hingegen angefreundet haben, dann sind Sie in der Lage, z. B. eine neue Ebene von Kontakt und Intimität auszuprobieren und zuzulassen. Dann ist Angst nur Angst (und es ist übrigens angemessen, Angst zu haben, wenn Sie etwas Unbekanntes ausprobieren). Mit Angst können Sie eine höhere Intensität von Intimität halten und Ihrem Partner z. B. das Experiment vorschlagen, 20 Minuten still in Beziehung gegenüber zu sitzen, sich in die Augen zu schauen und die Intensität auszuhalten wahrhaftig gesehen zu werden. Es geht dabei nicht darum zu starren getreu dem Motto „wer zuerst blinzelt hat verloren“. Es geht darum wahrhaftig gesehen zu werden und den anderen wahrhaftig zu sehen. Wenn Sie bei diesem Experiment Angst spüren, erinnern Sie sich, dass es nur Angst ist und atmen Sie weiter, während Sie Ihre Maske fallen lassen.

Sie können der Angst vertrauen. Der menschliche Körper ist dazu entworfen, 100% maximale Angst zu spüren und zu nutzen. Das hört sich enorm an, doch wenn Sie diese Angst in einem sicheren Umfeld in dieser Größe einmal erlebt haben, können Sie sofort folgende Frage beantworten: „Wer ist größer, Sie oder die Angst?“ Die Antwort lautet SIE sind größer. Sie besitzen die Angst, nicht umgekehrt.

Experiment: Entspannt im Nicht-Wissen stehen
SCHRITT 1:
Lehnen Sie sich einmal kurz zurück und seien Sie schonungslos ehrlich: In welchen Situationen oder Lebensbereichen haben Sie bisher vorgegeben zu wissen, wie etwas geht, obwohl Sie eigentlich keine Ahnung hatten?

Und: Wie oft haben Sie etwas nicht gewagt oder gesagt, weil Sie nicht wussten, wie Sie es machen sollen? Wie oft wollten Sie etwas ausprobieren, vielleicht einen verrückten Vorschlag im Job machen oder Ihre Beziehung auf eine andere Ebene bringen, haben es aber letztendlich nicht getan, weil Sie nicht wussten, wie es geht? Oder vielleicht weil es für andere nicht logisch nachvollziehbar gewesen wäre?

SCHRITT 2:
Wenn Sie das nächste Mal in einer Situation sind, wo Sie etwas nicht wissen, seien Sie authentisch und sagen Sie ganz bewusst „Ich weiß es nicht.“ Entspannen Sie sich in das Nichtwissen und lehnen Sie sich zurück. Anstatt in blanken Aktionismus zu verfallen, oder automatisch zu reagieren, tun Sie zur Abwechslung erst einmal gar nichts. Halten Sie inne. Atmen Sie weiter und bleiben Sie so lange ruhig, bis der nächste Impuls kommt. Und der wird kommen. Sei es, dass Sie plötzlich eine zündende Idee haben, oder von außen ein Impuls kommt, der den nächsten Schritt einleitet. Im ersten Moment fühlt es sich möglicherweise unbehaglich an, es nicht zu wissen und nichts zu tun. So fühlt es sich einfach an. Ihr Verstand wird möglicherweise sagen „Aber Du musst doch etwas tun. Du musst doch wissen, was zu tun ist.“ Schießen Sie diese Stimme ab und bleiben Sie im Nichtwissen.

Sie werden erkennen, dass sich neuer Boden unter Ihren Füßen auftut, wenn Sie Ihrer Angst vertrauen und den Schritt über den vermeintlichen „Abgrund“ hinaus ins Nichtwissen tun. Dann können Sie selbst im Chaos entspannt navigieren. Es geht immer nur um den nächsten Schritt. Und Vertrauen ist kein Gefühl, Vertrauen ist eine Entscheidung.

In diesem Sinne, herzliche Grüße aus dem Nichtwissen.
Ihre Nicola Nagel


POTENZIALE LEBEN!
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