Sonntag, 9. Dezember 2012

Von Königen und Schweinen - Welche Art von Beziehung kreieren Sie?



Es kommt jedes Jahr wieder einmal völlig überraschend……WEIHNACHTEN! Eine Zeit, in der sich viele Menschen einfach nur Ruhe, Liebe und Harmonie wünschen. Es ist, als würde ein unglaubliches Damokles-Schwert über dem Wort „Weihnachten“ schweben. Alles soll bitte perfekt und harmonisch sein und am Besten in Liebe „ersaufen“. Entschuldigen Sie bitte, diese etwas rüde Ausdrucksweise. Die Frage, die ich mir angesichts dieser scheinheiligen Illusion stelle ist „Wieso bitte immer nur diese 3 Tage im Jahr?“ Was ist Liebe überhaupt? Und wie wäre es für Sie, wenn Sie tatsächlich die Möglichkeit hätten, in jedem Moment, außergewöhnliche Beziehung voller Liebe zu Ihrem Partner oder Ihrer Familien zu kreieren?

Als ich vor einigen Tagen in der Münchner Innenstadt war, hatte ich den Eindruck, dass Liebe heutzutage oft an Konsum festgemacht wird. Es war ein Geschiebe und Gedränge in der Stadt, als sei es der letztmögliche Tag, an dem die Menschen jemals etwas kaufen könnten. Und was zum weihnachtlichen Verkauf angeboten wurde, hat mich nur noch den Kopf schütteln lassen. Ich war traurig und wütend zugleich, was für ein Plastikmüll über die Ladentheken ging, und wie viele Dinge „Made in China“ (sei es Kleidung, Dekoration o. ä.) gekauft wurden…viele Dinge, die die Welt nicht braucht und die größtenteils an Geschmacklosigkeit nicht zu übertreffen sind. Wie abgestumpft ist unsere Gesellschaft?

Messen wir Liebe tatsächlich an Geschenken, oder vielmehr noch am Wert der Geschenke? Ich komme nicht umhin, die Erwartung, die in der vorweihnachtlichen Luft hängt, wahrzunehmen. Es ist eine regelrechte Massen-Erwartung. Viele Menschen scheinen die Erwartung zu haben, z. B. von dem Partner ein besonderes Geschenk zu bekommen – oder ihm ein besonderes Geschenk machen zu müssen – um ja die Liebe zu beweisen. Und wehe, das Geschenk entspricht nicht unseren Vorstellungen, oh je, das ist garantiert ein Beweis, dass uns der Partner nicht kennt und gar nicht liebt. Mit so einer Erwartungshaltung im Gepäck ist der Groll meist vorprogrammiert. Ich werde nie die Geschichte vergessen, als ein Bekannter meiner Eltern seiner Frau zu Weihnachten eine Trockenhaube an einem fahrbaren Gestell schenkte. Er hatte wirklich liebevoll für seine Frau mitgedacht, die unglaublich feine Haare und daher immer Schwierigkeiten mit dem Frisieren hatte. Tja, nur fand eben diese Frau eine fahrbare Trockenhaube als Geschenk alles andere als lustig. Sie war stinksauer und der weihnachtliche Haussegen hing mächtig schief, da sie sich in ihrer Schönheit und Ehre gekränkt fühlte. Stille Nacht, heilige Nacht.

Es scheint, als wäre unsere Gesellschaft darauf programmiert in den drei magischen Tagen, sprich dem 24., 25. und 26. Dezember – besonders viel Liebe zu bekommen. Die Menschen hungern regelrecht danach. Alle Hoffnung ruht auf Weihnachten (oder im Februar auf dem Valentinstag). Es scheint eine große Sehnsucht nach Liebe da zu sein, was ja grundsätzlich nicht verwerflich ist. Viel trauriger ist es, dass die Sehnsucht danach so groß ist, weil sie unterjährig scheinbar nicht gestillt wird. In unserer Gesellschaft, die auf Konkurrenz,  Wettkampf und Macht gepolt ist, mangelt es an Liebe, Nähe, Miteinander und Fürsorge. Zu Weihnachten fällt es uns dann – oh Wunder – wieder ein und wir versuchen, diesen Mangel zu kompensieren. Doch leider funktioniert das nicht. Was nicht langfristig gesät und achtsam großgezogen wurde, kann nicht innerhalb von jetzt auf gleich da sein und 3 Tage anhalten. Das wäre ungefähr so, als würden Sie verlangen, dass Sie und Ihr Partner mit dem Mitternachts-Gongschlag zum 24. Dezember eine komplizierte „Lord of the Dance“ Choreographie tanzen können und zwar 3 Tage nonstop, ohne jemals vorher Stepptanz gemacht zu haben. Viel Erfolg. Das ist genau der Grund, warum  es in vielen Familien oder Partnerschaften bevorzugt zur Weihnachtszeit kracht, wenn die Lieben aufeinander hocken und ihren Wert und ihre Liebe füreinander an Geschenken messen.

Und nu‘?

Wie ist denn etwas anderes möglich bzw. was wäre das denn?

Lassen Sie uns einmal zurückkommen auf die Eingangsfrage, was Liebe überhaupt ist. Wie viele von Ihnen dachten bisher, dass Liebe ein Gefühl ist? … Gefährliche Frage: Was, wenn Liebe gar kein Gefühl ist? Was, wenn Liebe ein sogenanntes helles Prinzip ist, die Kraft, aus der das Universum besteht und die alles im Universum durchwebt und zusammenhält? Liebe wird gerne mit einem Gefühl verwechselt, da wir, wenn wir lieben, unterschiedliche Gefühle in Beziehung zu unserem Partner oder zu unserer Familie fühlen. Die aufgeregten Schmetterlinge im Bauch, die oft als „Verliebtheit“ bezeichnet wird, ist zum Beispiel eine Vermischung von Freude und Angst. Wir freuen uns den anderen zu sehen, haben aber auch gleichzeitig Angst, weil wir uns in unbekanntes Gebiet begeben, sozusagen auf Forschungsreise in Sachen Nähe. Liebe als Kraft ist jedoch unabhängig von diesen Gefühlen.

Um die Frage zu beantworten, wie etwas anderes in Sachen zwischenmenschlicher Beziehung möglich ist – und das nicht nur zur Weihnachtszeit – ist es hilfreich zunächst einmal zu wissen, welche Art von Beziehung Sie gerade führen. Das erfordert Bewusstheit, Aufmerksamkeit, Selbst-Beobachtung und vor allem Aufrichtigkeit gegenüber sich selbst (lügen Sie sich also nicht selbst in die Tasche, wenn Sie beim Lesen des folgenden Abschnitts Ihre Beziehung betrachten).

Es gibt 3 unterschiedliche Arten von Beziehung*:
  • gewöhnliche menschliche Beziehung
  • außergewöhnliche menschliche Beziehung
  • archetypische Beziehung


1. Gewöhnliche menschliche Beziehung
Der Zweck einer gewöhnlichen menschlichen Beziehung besteht darin, geliebt zu werden, Einsamkeit zu vermeiden, als sozial akzeptiert oder erfolgreich angesehen zu werden. Überlegen Sie z. B. einmal, wie weit es noch verbreitet ist, dass gewisse Positionen in Firmen nur an Leute vergeben werden, die auch „seriös verheiratet“ sind und idealerweise Frau und Kinder aufweisen können. Da wird Liebe und Beziehung zum Statussymbol. Der Zweck gewöhnlicher Beziehung besteht auch darin zu überleben, Orgasmen zu haben, oder  unsere Eltern glücklich zu machen. In gewöhnlicher Beziehung versuchen Sie selbst glücklich zu sein, einen Kampfpartner zu haben und sogenanntes niederes Drama zu erzeugen.

Gewöhnliche Beziehung findet statt, wenn Sie meinen Ihren Partner zu „brauchen“, ohne ihn nicht leben zu können. In dieser Art von Beziehung wird der Partner als Besitz betrachtet, er gehört Ihnen. „Das ist meine(r).“ Die meisten Liebes-Beziehungs-Lieder im Radio handeln übrigens von gewöhnlicher Beziehung, wenn Sie einmal auf den Text achten.

Ein anderes Anzeichen gewöhnlicher Beziehung ist, wenn Sie von Ihrem Partner Anerkennung brauchen, als Beweis, dass Sie liebenswert sind. Damit einher geht oftmals eine subtile Manipulation durch Worte und Gesten, um eben diesen Liebesbeweis zu erhalten. Ohne diese Liebesbeweise fühlen Sie sich nicht liebenswert. Sie gehen davon aus, dass es nicht genug Liebe gibt und Sie deswegen so viele Beweise wie möglich einheimsen müssen. Gewöhnliche Beziehung findet auch statt, wenn Sie im Restaurant z. B. einfach für Ihren Partner etwas zu trinken bestellen, ohne ihn gefragt zu haben („Aber er trinkt immer Bier!“). In dem Fall erliegen Sie der Illusion, die Gedanken und Gelüste Ihres Partners in allen Details in jeder Sekunde zu kennen. Ihr Partner wird zu einem Konzept und Sie bevormunden und erniedrigen ihn in genau dem Moment auf ganz subtile Art und Weise.

In gewöhnlicher menschlicher Beziehung meinen Sie zudem, eine Beziehung zu „haben“, aber Sie SIND nicht in Beziehung. Es ist ein großer Unterschied, ob man eine Beziehung HAT oder in Beziehung IST. Viele Menschen meinen, eine Beziehung haben zu müssen. Eine Beziehung wird gleichgesetzt mit einem Ding, das man besitzen kann. Doch in genau dem Moment, ist die Beziehung schon tot, weil Sie dann einem Konzept hinterherjagen, einem Ding, einem Anspruch, wie eine Beziehung zu sein HAT.

In gewöhnlicher Beziehung kommen immer wieder Diskussion und Streit vor – sei es laut oder leise, offensichtlich oder subtil. Es ist ein fortwährendes Argumentieren, Beweisen, Rechthaben, Anordnen. Es geht ständig darum, wer Recht hat. Wer Recht hat, gewinnt.

Doch es gibt einen ganz entscheidenden Satz und ich lade Sie ein, sich diesen Satz groß an die Kühlschranktür oder sichtbar im Haus hinzuhängen. Er lautet wie folgt:

Entweder Du hast Recht
ODER
Du bist in Beziehung!

Beides geht nicht. Wenn Sie Recht haben wollen, spielen Sie niederes Drama, ein „Ich gewinne – Du verlierst“ Spiel. In dem Moment können Sie nicht in Beziehung sein, weil es Ihnen nur darum geht, Recht zu behalten. Und genau dann zerstören Sie Nähe und Vertrautheit.


2. Außergewöhnliche menschliche Beziehung
Außergewöhnliche menschliche Beziehung verfolgt einen anderen Zweck als die gewöhnliche Beziehung. Der Zweck außergewöhnlicher Beziehung ist zu lieben, eine Partnerschaft zu erschaffen, authentisch zu kommunizieren (auch über die Gefühle Wut, Freude, Traurigkeit und Angst). Es geht darum, gemeinsam zu lernen und zu wachsen, Vertrautheit zu erforschen, die Gesellschaft des anderen zu genießen und wertzuschätzen. Und ja, es geht auch darum, Sex zu haben (jedoch im Sinne von Nähe und Vertrautheit erforschen, NICHT um Orgasmen als Konzept hinterherzujagen).

In dieser Art von Beziehung ehren Sie den anderen für das, was er ist. Sie versuchen nicht, ihn/sie zu manipulieren und ihn/sie so hinzubiegen, wie Sie es gerne hätten. In außergewöhnlicher menschlicher Beziehung verhalten Sie sich nicht angepasst, sondern respektieren Ihren persönlichen Raum genauso wie den des anderen. Dazu gehört auch, Grenzen zu setzen.

Wenn Sie auf einer Party gefragt werden, was Ihr Partner trinkt, antworten Sie nicht „Orangensaft“ (auch wenn er vielleicht häufig Orangensaft trinkt), sondern sagen „Ich weiß nicht, was er jetzt trinken möchte. Bitte frage ihn doch direkt, wenn er von der Toilette zurück kommt.“

Sie übernehmen Verantwortung für Ihre Beziehung. Sie übernehmen Verantwortung für eine erwachsene Beziehung ohne subtile Manipulation, niederes Drama und Rechthaberei. Sie übernehmen Verantwortung für sogenanntes „Hohes Drama“, für verantwortliche und achtsame Kommunikation, dafür, dass Liebe geschieht. In außergewöhnlicher Beziehung ist Liebe kein Zufall. Während in gewöhnlicher Beziehung die Meinung vorherrscht, dass es nicht genug Liebe gibt, sind Sie in außergewöhnlicher Beziehung die Quelle von Liebe. Wenn es einen Moment gibt, wo Sie feststellen, dass keine Liebe da ist, dann sind Sie die Quelle und generieren Liebe, weil Liebe im Überfluss da ist. In jeder Sekunde. Sie können diese Quelle anzapfen.

Viele Menschen warten oft darauf, dass ihnen die Liebe zufliegt, oder sie liebevolle Momente in der Familie erleben. Sie machen andere dafür verantwortlich Liebe zu bekommen. Doch in dem Moment sind Sie Opfer der Umstände von „es gibt nicht genug Liebe“ und damit wieder in gewöhnlicher Beziehung. Sie wünschen sich in Beziehung zu Ihrem Partner oder Ihrer Familie mehr Liebe und Nähe? Na los, worauf warten Sie noch? Was tun Sie dafür? Erschaffen Sie selbst diese Momente der Liebe, Nähe und Vertrautheit. Sie sind die Quelle. Hören Sie auf, Opfer zu spielen und fangen Sie an, Verantwortung zu übernehmen. Nehmen Sie Ihr kleines Monster (Ihren Gremlin) an die Leine, das gerade dem Partner wieder einen Spruch schräg reinwürgen will, weil er mal wieder vergessen hat, den Müll rauszubringen, oder mal wieder nicht erraten hat, dass Sie die unausgesprochene Erwartung haben, dass er den Wasserkasten aus dem Auto holt. Genau das sind die Momente, wo Sie Liebe zerstören. In dem Moment machen Sie Ihren Partner, oder wahlweise auch Ihre Familienangehörigen oder Freunde zum Schwein anstatt zum König oder zur Königin. In dem Moment sammelt Ihr kleines Monster Grollpunkte, um dann bei bester Gelegenheit alle gesammelten Punkte in einem handfesten Streit auf den Tisch zu bringen („Du machst immer…“, oder „Immer sagst Du…“, oder „Nie tust Du, was ich sage…“).

Bitte, hören Sie auf Ihren Partner oder Freunde zu Schweinen zu machen. Schulen Sie Ihre Achtsamkeit und Bewusstheit. Fangen Sie an, sich selbst zu beobachten. Welche Absicht verfolgen Sie mit jedem Satz Ihrer Kommunikation? Möchten Sie die andere Person manipulieren, zum Schwein machen und wieder mal Beweise sammeln, dass der andere ein Idiot ist? Oder möchten Sie mit der anderen Person SEIN, ihre Gesellschaft genießen, sie zum König/zur Königin machen und die Quelle von Liebe sein? Was ist Ihre Absicht? Jetzt…und jetzt…und jetzt…? In jedem Moment. Was ist Ihre wahre Absicht?


3. Archetypische Beziehung
Eine dritte Form von Beziehung ist die archetypische Beziehung. Der Zweck dieser Art von Beziehung ist es, etwas Größerem zu dienen, als uns selbst. Sie stehen im Dienst der sogenannten hellen Prinzipien. Sie akzeptieren das, was ist, so wie es ist, ohne jegliche Bedeutung. Der Zweck ist, einfach präsent zu sein und mit dem anderen zu sein. Sie erschaffen die Möglichkeit für die Präsenz des archetypisch Weiblichen und Männlichen. Der Zweck archetypischer Beziehung ist Evolution. Ihre Beziehung dient nicht mehr nur Ihnen und Ihrem Partner, sondern wird zu einem Raum in dem etwas völlig anderes geschehen kann.

Ich möchte an dieser Stelle gar nicht weiter auf archetypische Beziehung eingehen. Es ist schon eine große Herausforderung von gewöhnlicher zu außergewöhnlicher Beziehung zu wechseln, nicht mehr zu diskutieren, nicht mehr Recht zu haben und nicht mehr subtil mit kleinen Worten zu manipulieren. Sie meinen, Sie haben schon eine recht außergewöhnliche Beziehung? Kurzer Test: Wie oft sagen Sie einen Satz wie z. B. „Sollen wir spazieren gehen?“

Na…? Nutzen Sie solche Sätze? Sie denken, an diesem Satz ist nichts auszusetzen? Nun, dieser Satz ist leider nichts anderes als gewöhnliche, subtile Manipulation. Oh-oh-oh, jetzt höre ich Protest von einigen Lesern: „Was? So ein Quatsch, wieso soll denn das Manipulation sein? Das ist doch ganz normal, dass man so spricht!“ Ja, normal im Sinne von „Damit sind wir aufgewachsen. Das haben wir gelernt“. Haben Sie es auch jemals hinterfragt? Überlegen Sie einmal kurz, was Sie mit dem obigen Beispiel „Sollen wir spazieren gehen?“ tatsächlich sagen möchten. Was ist Ihre Absicht? Sie wollen in dem Moment doch Ihren Partner dazu bewegen, mit Ihnen spazieren zu gehen, weil Sie da  Lust zu hätten, oder? Wenn Sie Ihren Partner zum König machen wollen und verantwortlich kommunizieren, würden Sie sagen „Ich würde jetzt gerne mit Dir spazieren gehen. Hast Du Zeit und Lust mit mir zu kommen?“ Sagen Sie konkret, was Sie wollen und brauchen, anstatt subtil zu manipulieren.

Um noch einmal auf Weihnachten zurück zu kommen:
Nutzen Sie die Weihnachtstage als Experimentierfeld. Welche Art von Beziehung zu Ihrem Partner oder zu Ihrer Familie kreieren Sie? Beobachten Sie sich selbst. Es ergibt sich ein Streit oder eine Diskussion? Schauen Sie, wo Sie (und nur Sie!!!) ums Verrecken Recht haben oder den anderen kontrollieren wollen. Und dann hören Sie auf damit. Gehen Sie kurz aus dem Raum, sagen Sie, Sie müssten kurz auf die Toilette und kommen Sie dann mit einer neuen Absicht wieder zurück, die da heißt, die Quelle von Liebe zu sein und nicht an den rechthaberischen, oder besserwisserischen Drama Haken zu gehen.

Mit unseren Kindern können wir übrigens auch neue Samen der Liebe und Wertschätzung säen. Wieso erzählen Eltern ihren Kindern z. B. immer noch die Bullshit Geschichte vom Weihnachtsmann oder Christkind, der/das die Geschenke bringt? Haben Sie sich jemals gefragt, welch herben Schlag ein Kind erlebt, wenn es herausfindet, dass die Eltern ihm jahrelang einen Bären aufgebunden haben und es den Weihnachtsmann gar nicht gibt? Ehrlich. Warum säen wir in den Kindern nicht die Geschichte, dass es ein Brauch ist, dass man einer Person, die man mag und wertschätzen möchte, zu Weihnachten ein Geschenk machen kann (optional!!!) oder mit ihr einfach zusammen ist und ihre Gesellschaft genießt? Spüren Sie da mal hinein. Das wäre ein völlig neues Spiel. Können Sie wahrnehmen, wie sich Entspannung breit macht, wenn dieser Geschenke-Liebes-Beweis-Stress wegfiele?

Zum Abschluss möchte ich Ihnen noch ein Weihnachtsexperiment mitgeben:

Weihnachts-Experiment:
Dieses Experiment besteht darin, dass Sie Ihrem Partner oder Ihren Familienangehörigen ein etwas anderes Geschenk machen. Ein aufrichtiges Geschenk. Ein Geschenk, das unbezahlbar ist.

Nehmen Sie ein Blatt Papier. Überlegen Sie sich, wem Sie gerne ein ganz besonderes Geschenk machen möchten. Schreiben Sie nun oben auf das Papier „Liebe(r) …“ und ergänzen den Vornamen. Und jetzt schreiben Sie dieser Person einen Brief voller Wertschätzung. Sozusagen einen Liebes-Wertschätzungsbrief. Was schätzen Sie an der anderen Person? Es geht nicht darum zu sagen „Ich schätze Deine schicke Frisur oder Deinen sexy Gang“. Es geht um Seins-Eigenschaften. Vielleicht schätzen Sie die Kreativität und Leichtigkeit, mit der die Person Aufgaben angeht. Vielleicht schätzen Sie auch, wie liebevoll oder diszipliniert jemand ist. Wenn Sie Seins-Eigenschaften wertschätzen, sagen Sie, wie jemand IST (nicht was jemand tut oder hat).

Und bitte, schreiben Sie den Brief mit der Hand, mit einem Füller oder Kuli. Drucken Sie den Brief nicht auf Ihrem super trouper High-Tech-Drucker aus. Nehmen Sie sich die Zeit.
Wenn Sie Lust haben, verzieren Sie den Brief ein wenig, rollen ihn zusammen und binden eine schöne Stoffschleife um die Papierrolle (bitte kein billig Plastik-Band). Wertschätzung zeigt sich im Detail. Seien Sie achtsam und staunen Sie, was passiert.

Es liegt an Ihnen, in jedem Moment, alle 3 Sekunden, für welche Beziehung Sie sich entscheiden. Welche Art von Beziehung Sie kreieren, ist unmittelbar sichtbar. Sie müssen nur die Ergebnisse anschauen. Ist Rechthaberei und Anspannung oder Liebe und Wertschätzung da?

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen von Herzen eine wunderschöne Weihnachtszeit mit außergewöhnlichen, bereichernden und wertschätzenden Begegnungen und Momenten.

Ihre Nicola Nagel



 
* Nach Clinton Callahan. Wenn Sie mehr darüber erfahren möchten, empfehle ich Ihnen als Buch-Tipp: „Wahre Liebe im Alltag“ von Clinton Callahan.


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Montag, 12. November 2012

Spieglein Spieglein an der Wand...Vom fatalen Streben nach Perfektionismus!



Ja, wer ist denn nun die Schönste, die Tollste, der Beste, der Schlauste  im ganzen Land? In Zeiten von Germany’s Next Top Model, Deutschland sucht den Superstart und diversen Quiz-Shows wird mehr denn je deutlich, wie sehr die Menschen in der modernen Gesellschaft nach Perfektion und Anerkennung streben. Höher, weiter, besser, schöner, schlauer ist das Motto. Es wird gestylt, geprobt, gekämpft und ausgetrickst, was das Zeug hält. Wo man hinblickt, lächeln marionetten-gleiche, aalglatte Hartschalen-Kreaturen von irgendwelchen Werbepostern und versuchen uns glauben zu machen, dass wir diesem Ideal folgen müssten. Das traurige ist, dass es vielfach auch noch funktioniert. Viele Menschen scheinen bewusst oder unbewusst in verschiedensten Bereichen nach Perfektion zu streben, sei es in kleinem oder großem Maße. Wir suchen das perfekte Outfit, den perfekten Job, den perfekten Partner, den perfekten Urlaub, die perfekte Wohnung oder meinen einen perfekten Kuchen backen zu müssen. Dabei ist Perfektion eine absolute Illusion. Und nicht nur das. Der Illusion der Perfektion zu erliegen, hat zudem einen sehr hohen Preis: Authentizität, Lebendigkeit und Kraft bleiben dabei schnell auf der Strecke.  

Was veranlasst uns also, perfekt zu sein, oder zu meinen perfekt sein zu müssen?

Kürzlich stellte ich in einem Training folgende Frage: „Was würde passieren, wenn Ihr den Anspruch, perfekt zu sein, aufgeben würdet?“ Nach einem Stutzen, das zunächst so viel zu sagen schien wie „Ähm, wie bitte, nicht mehr perfekt sein?“ kam die Antwort von mehreren Teilnehmern sehr prompt: „Puuh, dann könnte ich mich wirklich entspannen.“

Ja, warum tun wir es dann nicht? Warum hören wir nicht einfach auf, perfekt zu sein und einer Illusion hinterher zu rennen, die selbstmörderisch ist? Es scheint als hätten die Menschen in der modernen Gesellschaft einen unbewussten, automatisch laufenden Perfektions-Mechanismus in ihrem Hirn eingebaut.

Dieser Perfektionsmechanismus kann dabei sowohl sehr offensichtlich als auch ganz subtil zu Tage treten. Das offensichtliche Streben nach Perfektion kommt uns täglich auf Werbeplakaten, in Zeitschriften und Fernseh-Shows entgegen. Es ist eine regelrechte Perfektions-Manipulation, die da sagt, „Wenn Du nicht dies kaufst, oder so bist, dann bist Du out“.

Bereits im Kindesalter werden wir damit konfrontiert, spätestens in der Schule. Wer schlechte Noten hat und sich nicht „angemessen“ – sprich nach gesellschaftlichen Normen perfekt – verhält, fliegt raus bzw. darf eine Klasse wiederholen. In der Ausbildung, dem Studium und im Job geht es auf dieser Schiene gerade weiter. Ständig wird uns suggeriert, wir müssen Leistung bringen und alles möglichst perfekt machen, damit wir akzeptiert und anerkannt werden.

Und genau da liegt doch der Hase im Pfeffer: Wir wollen akzeptiert werden. Wir wollen dazu gehören. Wir wollen Teil der Gesellschaft sein. Doch woher kommt dieses Bedürfnis der Zugehörigkeit? Das zu erforschen lohnt sich und stellt unter Umständen die ganze aktuelle Gesellschaftsstruktur in Frage.

Menschen sind von Natur aus keine Einzelkämpfer. Menschen sind „Rudeltiere“. Das ist bei indigenen Völkern noch sehr schön zu sehen, denn sie leben in Stämmen. Genau das ist unsere Natur. Wir haben ursprünglich in Gemeinschaft gelebt, hatten unseren Stamm und wussten dadurch, wo wir hingehören, wo unsere Wurzeln sind. Kürzlich las ich ein Buch von Martín Prechtel. In „Die Geheimnisse des Jaguars“ beschreibt er seinen Weg, der ihn in ein Maya Dorf in Guatemala führte. In diesem Dorf lebt ein spezieller Volks-Stamm der Maya und bei seiner Ankunft wurde Prechtel gefragt „Wo ist Dein Stamm?“ Als er antwortet „Ich habe keinen Stamm, ich lebe alleine“, konnten die Dorfbewohner es nicht fassen und sagten „Was, Du hast keinen Stamm? Wie furchtbar, dann bist Du ein Waise.“

Früher war es selbstverständlich in größeren Gemeinschaften oder Familien-Clans zu leben. Sie boten einen gewissen Halt und haben die Menschen permanent an ihre Wurzeln erinnert. Innerhalb einer Gemeinschaft, konnte man so sein, wie man war, mit all seinen Facetten. Man war Teil dieser Gemeinschaft, egal, ob man „gut drauf“ war, oder nicht.

Und heute? Heute leben 95% der Menschen in der modernen Kultur in ihrem eigenen Appartement oder Haus, kennen ihre Nachbarn mit viel Glück vom Sehen und haben maximal ihre direkte Familie mit Ehefrau/-mann und Kindern um sich. Allein in Deutschland liegt der Prozentsatz von Alleinstehenden bei 43%, in Städten sogar bei 50%. 43% der deutschen Bevölkerung lebten mit einem Ehepartner. Wo finden die Menschen heute also noch wahre Unterstützung und Zugehörigkeit?

Die Zugehörigkeit zu einem Stamm ist immer noch in uns. Doch die moderne Kultur fördert kein „Stammesleben“. Da der ursprüngliche Stammes-Rückhalt fehlt, beginnen die Menschen also in ihren isolierten Wohnungen und Häusern nach Ersatz zu suchen. Das tief sitzende Verlangen dazu zu gehören, führt dazu, dass sie den Medien und Marketing Agenten glauben, die ihnen vorgeben, wie sie zu sein haben, damit sie in der modernen Gesellschaft dazu gehören. Die Menschen wollen Teil von etwas sein. Nur deswegen funktioniert dieser ganze Werbe- und Marketing-Kram. Es wird manipulativ mit der unbewussten Angst der Menschen gearbeitet, nicht dazu zu gehören. „Wenn Du dieses Produkt nicht kaufst….dann gehörst Du leider nicht dazu. Dann bist Du nicht schön genug, gut genug, cool genug.” Schauen Sie sich die jungen Leute von heute an. Die meisten versuchen irgendetwas darzustellen und zuweilen ist es sogar offensichtlich, welchen Star oder welches Model sie gerade nachahmen. Traurig, aber wahr.

Das Absurde ist, dass Perfektionismus nichts anderes als falsche Sicherheit ist. Wir meinen, wir sind sicher, wenn wir perfekt sind und den Normen der Gesellschaft oder der Firma, für die wir arbeiten, entsprechen. Wir klammern uns an Vorgaben um uns „sicher“ zu fühlen. Doch alles, was wir mit Perfektionismus erreichen ist, dass wir uns von uns selbst abschneiden, von unserer eigenen Authentizität und Weisheit und damit innerlich unsicherer sind denn je. Wir betrügen uns selbst und - noch schlimmer - machen uns unbewusst auch noch selbst fertig, wenn wir nicht perfekt sind.

Wie viele von Ihnen haben z. B. schon einmal einen Fehler gemacht und dann in Gedanken gesagt „Oh man, Idiot, warum hast Du nicht aufgepasst“ oder „Na toll, das hätte ich aber auch besser machen können“ oder „Ach neee, jetzt habe ich das schon wieder vergessen“.

Kennen Sie solche Sätze? Ich vermute, jeder kennt sie. Doch machen Sie sich einmal bewusst, was dahinter steckt. In dem Moment, wo Sie solch einen Satz auch nur denken, holen Sie unbewusst die 9-schwänzige Geißel raus und bestrafen sich selbst für das, was eben NICHT perfekt war.

Perfektionismus ist nichts anderes als eine Überlebensstrategie. Wie eingangs erwähnt, kann sich das Streben nach Perfektion dabei sehr offensichtlich oder auch subtil zeigen. Offensichtlicher Perfektionismus kann sich zum Beispiel auch in Neurosen zeigen, zum Beispiel wenn jemand meint, dass Tomaten immer in Scheiben geschnitten werden müssen und keinesfalls in Würfel oder jemand ohne Maniküre alle 2 Tage nicht leben kann. Alles kann neurotisch werden: Ordnung, Putzen, akribische Genauigkeit (Erbsenzählen), Schönheitswahn, etc. Ich bin mir sicher, Ihnen fallen sofort neurotische Beispiele ein, vor allem von anderen Menschen. Kennen Sie zum Beispiel den Film „Der Feind in meinem Bett“ mit Julia Roberts? Uuuuh, da können Sie eine zerstörerische Ordnungs-Neurose erleben.

Es gibt jedoch auch die ganz subtilen Perfektions-Dramen und das sind eben die, die sich in Ihrem eigenen Kopf abspielen. Und sie spielen sich ab, wenn Sie sich laut oder leise sagen hören “Verdammt…so was blödes.“

Wenn wir versuchen, den Idealen der modernen Kultur zu entsprechen, um uns zugehörig zu fühlen, bauen wir unsere Hütte auf Treibsand. Doch wie können wir aus diesem Perfektions-Zugehörigkeits-Teufelskreis ausbrechen? Wie können wir authentisch über unser eigenes Nicht-Perfekt-Sein werden, gleichzeitig innere Stabilität erhalten und aus dem heraus wahrhafte Beziehungen aufbauen, die unsere Sehnsucht nach Zugehörigkeit stillen?


Experiment 1: Aufdecken des Perfektions-Mechanismus

SCHRITT 1:
Nehmen Sie sich einen Augenblick Zeit und Papier und Stift zur Hand. Blicken Sie einmal auf die letzten 3 Tage zurück. Schreiben Sie nun einmal die offensichtlichen Perfektions-Versuche auf. Wann haben Sie versucht, etwas perfekt zu machen? Für wen oder warum wollten Sie es perfekt machen? Seien Sie ehrlich. Ihr Ego wird diese Übung hassen, denn Sie decken gerade eine Überlebensstrategie auf. Lassen Sie sich einfach nicht beirren und seien Sie authentisch gegenüber sich selbst.  Vielleicht haben Sie den Bericht für den Chef noch 5mal überarbeitet und das Layout noch zig mal schöner gemacht. Oder Sie haben die Hemden und Blusen perfekt gedämpft und akribisch darauf geachtet, dass ja kein Knick mehr zu sehen war.

SCHRITT 2:
Nun geht es an die subtilen Perfektions-Versuche bzw. Selbst-Geißelungen. Blicken Sie wieder auf die letzten 3 Tage zurück. Wann ist vielleicht etwas schief gegangen und Sie haben gedacht (oder zu sich gesagt) „Oh man…..blöd... das hätte ich besser machen können…da habe ich geschlafen…“ Es gibt zig Situationen am Tag, wo wir uns unbewusst bewerten. Vielleicht haben Sie beim Frühstück ein wenig Kaffee vergossen („Oh man, sowas blödes“), oder Sie sind etwas spät zu einem Termin losgefahren („Verdammt, hoffentlich komme ich nicht zu spät“), oder Sie sehen, dass in der Präsentation für den Kunden ein Tippfehler drin ist („Verflixt, wie unprofessionell“). Schreiben Sie wirklich alles auf.

SCHRITT 3:
Nun schauen Sie auf Ihre Liste und spüren Sie einmal hin, wie sich dieser Perfektionsanspruch anfühlt. Machen Sie sich bewusst, wie unbewusst dieses Programm  läuft. Anstrengend, oder?

Das Paradoxe an der Geschichte ist, dass die meisten Menschen sich danach sehnen, einfach so angenommen zu werden, wie sie sind, doch gleichzeitig diesen Perfektions-Mechanismus laufen haben. Und genau das ist ein ziemlich großer Konflikt. Offensichtlich wird dieser Konflikt, wenn wir uns das Thema Beziehung in der heutigen Gesellschaft anschauen. Wie viele Menschen sehnen sich nach einer aufrichtigen, authentischen Beziehung, in der sie so sein können, wie sie sind, suchen jedoch gleichzeitig den perfekten Partner? Sie suchen den perfekten Partner, bei dem sie nicht perfekt sein müssen. Da passt doch etwas nicht zusammen.

Wie kommen Sie also nun aus diesem Kreis heraus, nachdem Sie aufgedeckt haben, wo Ihr Perfektionsmechanismus täglich unbewusst läuft? Hier sind einige hilfreiche Möglichkeiten:


Finden Sie den Anker in sich
Ein entscheidender Schritt ist, dass Sie lernen, sich in sich selbst zu verwurzeln, sprich sich zu zentrieren. Wenn Sie zentriert sind, sind Sie nämlich Ihre eigene Autorität und müssen keinen Idealen oder Vorstellungen mehr genügen. Dann sind Sie in sich verankert, egal, was um Sie herum passiert. Aus einer zentrierten Grundposition heraus – ähnlich wie z. B. beim Aikido, Ballett oder Fechten – können Sie sich überall hinbewegen und Sie kann nichts aus der Bahn werfen (Details zum Zentriert-Sein finden Sie auch im Artikel „2011-08-24 Seien Sie Ihre eigene Autorität“ auf http://www.viva-essenza.com/50/Publikationen.html ).


Selbst-Beobachtung
Beginnen Sie, sich selbst permanent zu beobachten und den Perfektionsmechanismus aufzudecken. Und bitte, wenn Sie eine Situation entdeckt haben, dann geißeln Sie sich nicht dafür, dass der Modus schon wieder aktiv war. Dieses Streben nach Perfektion ist wirklich tief in uns verankert und es braucht eine Zeit an Selbst-Beobachtung um dem auf die Schliche zu kommen.

Keine Bewertung
Wenn Sie feststellen, dass Sie (oder auch andere) etwas nicht perfekt gemacht haben, dann hören Sie auf zu bewerten. Sie oder jemand anderes hat einen Fehler gemacht oder es eben so gut gemacht, wie es ging und es war nicht perfekt. Ja und? Es ist wie es ist. Punkt. Keine weitere dramatisierenden Geschichten bitte. Wenn Sie aufhören, bewertenden Geschichten an die Handlungen und Ereignisse zu knüpfen, werden Sie feststellen, dass das Leben sehr viel leichter wird. Bewertungen killen Beziehung, und zwar die Beziehung zu sich selbst und zu anderen gleichermaßen. Lernen Sie, die Dinge neutral zu sehen. Etwas ist wie es ist. Nur das. Sonst gar nichts. Es ist absolut neutral.

Erzählen Sie bewusst eine neue, lebendige Geschichte
Diesen Punkt erläutere ich am besten anhand eines persönlichen Beispiels von heute. Ich stehe in der Küche und freue mich auf einen schönen Espresso. Zur Zubereitung benutze ich eine dieser traditionellen Achtkant-Kannen, die man auf die Herdplatte stellt. Dort kommt normalerweise unten das Wasser rein, in die Mitte der Trichter mit dem Espresso-Pulver und oben schraubt man dann das Kännchen drauf, in dem der Espresso landet, wenn er aufgekocht ist. So, gesagt getan, ich schraube also alles zusammen und als ich ein Brodeln höre, freue ich mich, in der nächsten Sekunde, den Espresso in meine Tasse zu gießen. Ich gieße also los und…es kommt ein gelbliches Wasser heraus. Wäre ich im Perfektionismus-Modus gewesen, hätte eine innere Stimme gesagt „Na toll Frau Nagel, da haste ja mal voll gepennt und vergessen, das Espresso-Pulver in den Trichter zu tun.“ Stattdessen habe ich es nicht bewertet und nur „Oh!“ gesagt. Im nächsten Moment habe ich mich kaputt gelacht und bewusst eine nicht-lineare Geschichte dazu erzählt, die da lautete: „Wow, cool, schau mal, das ist ein nicht-linearer Piraten-Espresso à la Captain Jack Sparrow und das Tolle ist, dass die Kanne gleichzeitig einmal komplett durchgespült wurde. Okay und jetzt mal sehen, wie im Vergleich dazu ein italienischer Espresso aussehen würde.“ Statt Perfektion hatte ich einen Heidenspaß. Probieren Sie also mal aus, anstatt der 9-schwänzigen Geißelgeschichte bewusst eine andere Geschichte zu erzählen (und auch die muss nicht perfekt sein. Spielen sie damit).

Seien Sie bewusst unperfekt
Uuuh, das ist ein gemeines Experiment. Das Experiment besteht darin, dass Sie etwas, das Sie normalerweise perfekt machen, einmal bewusst nicht perfekt machen. Bei Ihnen in der Wohnung ist immer eine perfekte Ordnung? Nun, dann legen Sie doch einmal bewusst 3 Bücher unordentlich auf den Fussboden und lassen Sie sie dort 2 Tage liegen. Sie schneiden das Brot mit dem Messer sonst perfekt1cm breit? Okay, schneiden Sie bewusst unperfekt eine schiefe Scheibe ab, die alles andere als 1cm breit ist. Diese Übung wird Ihr perfektions-getrimmtes Ego durchdrehen lassen, denn es ist darauf trainiert zu überleben und irgendwie dazu zu gehören. Lassen Sie es ausflippen und spüren Sie einmal, wie sich gleichzeitig ein anderer Teil in Ihnen entspannt und lebendig wird. Ihre Handtasche oder Ihr Aktenkoffer steht normalerweise perfekt aufgeräumt in der linken Schrank-Ecke? Prima, lassen Sie ihn einfach mal unperfekt mitten im Flur rumstehen.

So, nun haben Sie also bereits begonnen, Ihren unbewussten Drang nach Perfektion zu durchschauen und zu durchbrechen. Wie sieht es nun im nächsten Schritt mit dem Bedürfnis der Zugehörigkeit aus? Zugegeben, das ist ein Experiment, dass Sie womöglich ein wenig fordert. Denn bei dem folgenden Experiment geht es darum, authentisch mit Menschen in Beziehung zu treten und wieder Gemeinschaft zu leben.


Experiment 2: Aufbau von authentischen Beziehungen
In einer Gesellschaft, die nach Perfektion strebt, authentische Beziehungen aufzubauen, kann eine Herausforderung sein. Authentische Beziehung bedeutet nämlich, dass Sie die Menschen hinter Ihre Maske schauen lassen, die Sie über so viele Jahre mühevoll aufgebaut haben, um dem Gesellschafts-Ideal zu entsprechen und zu überleben. Doch wenn Sie erst einmal mit diesem Experiment anfangen, werden Sie feststellen, dass Sie bei anderen Menschen offene Türen einrennen, weil diese sich gleichermaßen nach authentischer Verbindung sehnen. Denken Sie bei diesem Experiment daran, dass Angst einfach nur Angst ist. Ohne Bewertung. Und Sie müssen es nicht perfekt machen.

Ein erster Schritt würde zum Beispiel darin bestehen, dass Sie aufhören oberflächlichen Small Talk zu machen und beginnen, über Ihre Gefühle zu sprechen. Wenn Sie gefragt werden, wie es Ihnen geht, wäre die alte Antwort womöglich „gut“. Sie können aber auch authentisch sagen, wie Sie sich in dem Moment fühlen, z. B. „Ich traurig, weil ich es heute nicht pünktlich aus dem Büro schaffe, um die Kinder noch vor dem Schlafengehen zu sehen. Und gleichzeitig freue ich mich, weil wir am Wochenende gemeinsam einen tollen Ausflug machen werden.“ Hören Sie einfach auf, den perfekten Schein „Alles bestens, alles prima“ zu wahren, der in unserer Spaß-Gesellschaft allgegenwärtig ist. Sie fühlen etwas (Wut, Angst, Trauer, Freude). Vielleicht bewegt Sie etwas. Teilen Sie das mit. Sie können sogar im Büro damit beginnen. Wenn Ihnen im Meeting etwas aufstößt können Sie sagen „Ich habe Angst, weil der Kunde diesen Änderungsvorschlag womöglich nicht akzeptiert.“ Werden Sie authentisch.

Und: schauen Sie Ihrem Gegenüber wirklich einmal in das Zentrum eines Auges, in eine der Pupillen. Die meisten Menschen schauen bei Gesprächen auf die Stirn, die Nase oder die Nasenwurzel des Gegenübers. Doch dadurch vermeiden Sie wahrhaften Kontakt. Es mag sich vielleicht die ersten Male beängstigend anfühlen, denn diese Art des Schauens ist intensiv und wir sind es in der Regel nicht gewohnt, jemanden so anzusehen oder gesehen zu werden. Doch auch hier gilt, werden Sie nicht neurotisch. Starren Sie nicht. Haben Sie einfach die Absicht, wahrhaft in Kontakt zu treten. Und wenn Sie Angst spüren, atmen Sie einfach weiter. Angst ist nur Angst. Sie begeben sich auf unbekanntes Gebiet und es ist angemessen Angst zu spüren.

Und auch hier die Einladung: bewerten Sie nicht. Weder sich selbst, noch den anderen.

Mit diesen ersten Schritten werden Sie erstaunt sein, welche Türen sich öffnen, wie sich das Miteinander verändert und sich dadurch authentische Zugehörigkeit wieder einstellen kann. Und wundern Sie sich nicht, wenn neue Menschen und auch immer mehr Menschen in Ihr Umfeld kommen und die Gemeinschaft mit Ihnen genießen möchten.

Abschließend möchte ich noch einen Satz mit Ihnen teilen, den ich neulich gelesen habe und der es auf den Punkt bringt:

„Es gibt keine Notwendigkeit perfekt zu sein, um andere zu inspirieren. Lass andere inspiriert werden von der Art, wie Du mit deiner Unperfektheit umgehst.“

In diesem Sinne gänzlich unpääärfäääkte Grüße von Herzen,
Ihre Nicola Nagel