Heute ist so ein Tag, an dem ich nicht weiß, über
was ich eigentlich schreiben soll. Ich weiß es einfach nicht. Ich könnte über
alles und nichts schreiben, doch es kommt kein klarer Impuls für ein Thema.
Gleichzeitig habe ich mich verpflichtet, meinen Lesern monatlich neue Möglichkeiten
in Form eines Artikels zur Verfügung zu stellen. Was nun? Vielleicht ist ja genau
das DAS Thema, im Nichtwissen zu stehen.
Kennen Sie das, dass Sie manchmal einfach keine
Ahnung haben? Wie geht es Ihnen damit? Können Sie gut im Nichtwissen stehen,
oder suchen Sie eher sofort nach einer Lösung oder einem bekannten Konzept, das
Sie hoffentlich anwenden können? In der modernen westlichen Gesellschaft wird
uns eingetrichtert, dass wir immer alles wissen müssen. Wir müssen für jedes
Problem eine Lösung finden, Antworten parat haben und mit Fachwissen im Job
brillieren. Wir sind darin trainiert, ständig etwas zu tun und maßgeblich
unseren Verstand zu gebrauchen und diesen unser Leben steuern zu lassen. Wir
sind geübt darin, immer mehr Wissen anzuhäufen. Es beginnt bereits in der
Schule, geht in der Ausbildung und im Studium weiter, hört auch im Job nicht
auf und die Medien wie Fernsehen, Radio und Internet tun ihr übriges dazu.
Wissen, wissen, wissen. „Wissen ist Macht“ heißt ein Sprichwort. Wen wundert es
da, dass eine Fehlverkabelung in unserem Gehirn installiert ist, die heißt
„Wenn ich etwas nicht weiß, ist das schlecht“ oder „Wenn ich etwas nicht weiß,
bin ich nicht professionell“ oder – sinnbildlich gesprochen - „Wenn ich etwas
nicht weiß, sterbe ich“.
Kürzlich war ich auf einer mehrtägigen
Veranstaltung, bei der es um nachhaltige Wege für die planetare Zukunft ging.
Für dieses Event gab es einen Ablaufplan, auf dem genau stand, an welchem Tag
zu welcher Uhrzeit welche Aktivitäten oder Zusammenkünfte der Teilnehmer
stattfanden. Am Anfang einen Plan zu haben, war im konkreten Fall zunächst
einmal sinnvoll, um der Veranstaltung überhaupt eine Struktur zu geben. Doch
wenn mehrere Pioniere, Revolutionäre und Visionäre zusammenkommen, kann ein
starres Festhalten an einem Plan sehr schnell nach hinten los gehen. Nachdem
eine schöne, riesige Plakatwand entstanden war, an der Post-It Zettel klebten,
auf denen die Workshop Angebote für einen weiteren Tag standen, trug es sich
zu, dass jemand über Nacht in geheimer Mission die Zettel abgemacht und dazu
benutzt hatte quer über die Plakatwand den Satz zu kleben „We don’t know“.
Es war sehr spannend die Reaktionen der Teilnehmer
und Organisatoren zu beobachten, als sie morgens den Raum betraten. Einige
waren komplett entspannt und fühlten sich sichtlich wohl damit, während andere völlig
irritiert – ja fast schon wütend - anfingen zu versuchen herauszufinden, wer es
denn gewagt hatte den „Plan“ zu zerstören und ihre Zettel wegzunehmen. Es gibt
sogar Menschen, die heute noch wissen wollen, wer es denn nun damals war. Dabei
ist das völlig egal. Die Aktion hat dazu geführt, dass sich die Veranstaltung aus
eben diesem Nichtwissen heraus auf einer völlig anderen Ebene weiter entwickeln
konnte. Nur das zählt.
Wir sind es so sehr gewohnt, einen Plan, ein
Konzept, eine Strategie zu haben und Dinge unter Kontrolle zu halten.
Schließlich müssen wir doch WISSEN, wo es hin geht, was wir tun müssen, oder
wie etwas aussehen wird. Fakt ist jedoch, wenn Sie das anwenden, was Sie immer
schon wussten, können Sie auch immer nur die gleichen Resultate erzielen, die
Sie immer schon erzielt haben. Möchten Sie also etwas Neues im Leben kreieren,
könnte es notwendig sein, altes Wissen über Bord zu werfen und sich dem Chaos
des Nichtwissens hinzugeben. Ein neuer Phoenix kann bekanntermaßen erst
entstehen, wenn der alte Phoenix in Flammen aufgegangen ist. Ein neuer Phoenix
kann nur aus der Asche entstehen, aus dem NICHTS.
Wir sehen uns öfter dem Nichtwissen gegenüber, als
wir meinen. Da die wenigsten jedoch damit vertraut sind, im Nichtwissen zu
stehen, überkleben wir selbiges gerne mit Glaubenssätzen. Anstatt mutig einen
Schritt in das Nichtwissen zu machen und authentisch zu sagen „Ich weiß es
nicht“ lautet die Antwort oftmals „Ich glaube, dass…“ oder „Ich habe gehört,
dass…“ Glaubenssätze sind Pflaster über den Löchern in unserer Weltsicht, wo
wir nicht wissen. Pläne und Glaubenssätze bilden somit eine gewisse Sicherheit.
Doch
vielleicht kennen Sie das Zitat „Life is what happens to you while you are busy
making other plans“ von John Lennon. Leben
ist das, was passiert, während Du damit beschäftigt bist, andere Pläne zu
machen. Das Leben rennt sozusagen an Ihnen vorbei und Sie verpassen es, wenn
Sie versuchen verschiedene Lebensbereiche durchzuplanen, sei es Ihr Job, Ihre
Beziehung, Ihre Vision. Der Versuch Dinge zu planen, schränkt Ihre Kreativität,
Inspiration und Ihr Leben insgesamt ein. Und vor allem hindert das Planen Sie
daran, überhaupt loszugehen und Dinge auszuprobieren. Wenn Ihr Leben nach einem
Plan verlaufen und „sicher“ sein muss, dann kann das Leben vorrangig nur linear
sein: Sie werden geboren, gehen zur Schule, machen vielleicht eine Ausbildung,
haben einen allgemein gültigen Job, der auch auf dem Formular des Finanzamtes
Gültigkeit hat, verdienen im Job Geld, heiraten, bekommen Kinder, gehen
irgendwann in Rente und sterben dann letztendlich. Das ist der lineare
Lebensplan.
Eigentlich sind wir Menschen jedoch dazu entworfen,
zu fliegen, im Nichtwissen zu stehen, kreativ zu sein und voller Inspiration
neue Wege zu gehen. Sie könnten z. B. einen neuen Job erfinden, der nicht auf
dem Formular des Finanzamtes steht, der Sie aber erfüllt. Die Fehlverkabelung
in unserem Gehirn, dass Nicht-Wissen gleich „Gefahr“ oder „Tod“ bedeutet, geht
einher mit einer zweiten Fehlverkabelung in Bezug auf Angst. Prüfen Sie einmal
kurz, welche Verkabelung Sie bezüglich des Wortes Angst in Ihrem Kopf haben und
ergänzen Sie „Angst ist….“. Vielleicht ist es eine Definition wie „Angst ist
schlecht“ oder „Angst ist zu vermeiden“ oder „Angst ist blockierend bzw.
lähmend“. Egal, welche Definition Sie mit Angst verknüpft haben, Fakt ist, dass Sie mit einer solchen
Definition dem Nicht-Wissen nur ungern begegnen werden, denn Nichtwissen
impliziert Angst. Angst, weil Sie Wege gehen, die Sie vorher noch nicht
gegangen sind. Die Definition „Angst ist lähmend bzw. schlecht“ wird Sie somit
davon abhalten sich überhaupt in eine Situation zu begeben, in der Sie keine
Ahnung haben, wie es geht. Sollten Sie dennoch in eine Solche Situation
geraten, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass Sie sich an altbekannten
Konzepten und Strategien festklammern werden und versuchen, diese so zu verbiegen
und anzuwenden, um sich irgendwie „sicher“ zu fühlen. Dieser Effekt wird erst
recht eintreten, wenn es möglicherweise sogar chaotisch wird. Sie werden
versuchen, irgendwie Herr der Lage zu werden.
Stellen Sie sich vor, 3 Personen fallen in ein Loch
ohne Boden (also ins Nicht-Wissen). Mit der Verkabelung „Angst ist schlecht“
könnte das dazu gehörige Bild ungefähr so aussehen:
Mit der oben genannten Fehlverkabelung sind Sie in
einer Situation, in der Sie nicht wissen, wie es geht, hilflos, blockiert,
gelähmt und verkrampft.
Entgegen der gängigen Meinung, dass Angst nach
Möglichkeit zu vermeiden ist, ist Angst jedoch – wie andere Gefühle auch – ein
wertvolles Gefühl, dass uns durch das Leben navigiert. Sie brauchen die Angst.
Angst ist weder schlecht, noch ein Design-Fehler im menschlichen Körper.
Entscheidend ist somit, die Angst tatsächlich dienlich zu verkabeln. Wie würde
die kraftvolle Verkabelung lauten? Angst ist….? Richtig: ANGST IST ANGST! Nur
das. ANGST IST ANGST. Ohne weitere Bedeutung. Angst ist einfach ein wichtiges
Gefühl, das Ihnen z. B. zeigt, dass Sie Neuland betreten, oder nicht wissen wie
es geht. Wenn es okay für Sie ist, Angst zu haben, dann können Sie auch im
Nichtwissen stehen und sich dabei entspannen. Unsere 3 Personen, die in ein
bodenloses Loch des Nichtwissens fallen und für die Angst okay ist, würden dann
so aussehen:
Wie gesagt, Angst ist ein wunderbarer
Gefühls-Indikator, der Ihnen unter anderem sagt, dass Sie neues Gebiet
betreten. Hier ein Beispiel: Neulich sollte eine Mitarbeiterin einer
Geschäftsführerin Feedback geben, was nicht funktioniert. Die Mitarbeiterin
wusste nicht, wie das gehen sollte, schließlich war sie doch in der Hierarchie
weiter unten und sie hatte große Angst davor, dieses Experiment zu wagen. Es
lag weit über ihrer Angst-Schwelle und weit außerhalb ihrer Komfortzone. Sie
entschied sich letztendlich, der Angst zu vertrauen und den Schritt ins
Nichtwissen zu wagen. Sie fing also einfach an zu sprechen und gab klares,
kritisches Feedback, ohne zu wissen, wie es ging, wie es ankommen oder was als
nächstes passieren würde. Das Resultat war, dass die Geschäftsführerin sehr
dankbar über das Feedback war und die Mitarbeiterin hinterher treffend feststellte
„Toll, mein Kopf ist ja noch dran. Ich lebe noch. Und es tat gar nicht weh.“
Vielleicht haben Sie auch eine Vision, wie z. B.
die Struktur Ihres Unternehmens in Zukunft aussehen könnte, haben aber keine
Ahnung, wie Sie dahin kommen können. Prima, beste Voraussetzungen!!! Erzählen
sie genau das zwei, drei Leuten, holen Sie diese ins Boot, lassen Sie sich
überraschen, welche Möglichkeiten sich plötzlich ergeben und wie das Projekt
ins Rollen kommt.
Oder nehmen wir das Beispiel von authentischem
Kontakt in Beziehung. Wenn Angst für Sie nicht okay ist und Sie deswegen Nichtwissen
vermeiden wollen, dann bleibt Ihre Beziehung auf der gleichen Ebene. Dann bewegen
Sie sich nicht aus Ihrer bekannten Komfortzone heraus und wagen nichts Neues,
weil Sie ja nicht wissen, was passieren wird. Wenn Sie sich mit Angst und
Nichtwissen hingegen angefreundet haben, dann sind Sie in der Lage, z. B. eine
neue Ebene von Kontakt und Intimität auszuprobieren und zuzulassen. Dann ist
Angst nur Angst (und es ist übrigens angemessen, Angst zu haben, wenn Sie etwas
Unbekanntes ausprobieren). Mit Angst können Sie eine höhere Intensität von
Intimität halten und Ihrem Partner z. B. das Experiment vorschlagen, 20 Minuten
still in Beziehung gegenüber zu sitzen, sich in die Augen zu schauen und die
Intensität auszuhalten wahrhaftig gesehen zu werden. Es geht dabei nicht darum
zu starren getreu dem Motto „wer zuerst blinzelt hat verloren“. Es geht darum
wahrhaftig gesehen zu werden und den anderen wahrhaftig zu sehen. Wenn Sie bei
diesem Experiment Angst spüren, erinnern Sie sich, dass es nur Angst ist und
atmen Sie weiter, während Sie Ihre Maske fallen lassen.
Sie können der Angst vertrauen. Der menschliche
Körper ist dazu entworfen, 100% maximale Angst zu spüren und zu nutzen. Das
hört sich enorm an, doch wenn Sie diese Angst in einem sicheren Umfeld in
dieser Größe einmal erlebt haben, können Sie sofort folgende Frage beantworten:
„Wer ist größer, Sie oder die Angst?“ Die Antwort lautet SIE sind größer. Sie
besitzen die Angst, nicht umgekehrt.
Experiment:
Entspannt im Nicht-Wissen stehen
SCHRITT 1:
Lehnen Sie sich einmal kurz zurück und seien Sie
schonungslos ehrlich: In welchen Situationen oder Lebensbereichen haben Sie
bisher vorgegeben zu wissen, wie etwas geht, obwohl Sie eigentlich keine Ahnung
hatten?
Und: Wie oft haben Sie etwas nicht gewagt oder
gesagt, weil Sie nicht wussten, wie Sie es machen sollen? Wie oft wollten Sie
etwas ausprobieren, vielleicht einen verrückten Vorschlag im Job machen oder
Ihre Beziehung auf eine andere Ebene bringen, haben es aber letztendlich nicht
getan, weil Sie nicht wussten, wie es geht? Oder vielleicht weil es für andere
nicht logisch nachvollziehbar gewesen wäre?
SCHRITT 2:
Wenn Sie das nächste Mal in einer Situation sind,
wo Sie etwas nicht wissen, seien Sie authentisch und sagen Sie ganz bewusst
„Ich weiß es nicht.“ Entspannen Sie sich in das Nichtwissen und lehnen Sie sich
zurück. Anstatt in blanken Aktionismus zu verfallen, oder automatisch zu
reagieren, tun Sie zur Abwechslung erst einmal gar nichts. Halten Sie inne.
Atmen Sie weiter und bleiben Sie so lange ruhig, bis der nächste Impuls kommt.
Und der wird kommen. Sei es, dass Sie plötzlich eine zündende Idee haben, oder
von außen ein Impuls kommt, der den nächsten Schritt einleitet. Im ersten
Moment fühlt es sich möglicherweise unbehaglich an, es nicht zu wissen und
nichts zu tun. So fühlt es sich einfach an. Ihr Verstand wird möglicherweise
sagen „Aber Du musst doch etwas tun. Du musst doch wissen, was zu tun ist.“
Schießen Sie diese Stimme ab und bleiben Sie im Nichtwissen.
Sie werden erkennen, dass sich neuer Boden unter
Ihren Füßen auftut, wenn Sie Ihrer Angst vertrauen und den Schritt über den
vermeintlichen „Abgrund“ hinaus ins Nichtwissen tun. Dann können Sie selbst im
Chaos entspannt navigieren. Es geht immer nur um den nächsten Schritt. Und Vertrauen
ist kein Gefühl, Vertrauen ist eine Entscheidung.
In diesem Sinne, herzliche Grüße aus dem
Nichtwissen.
Ihre Nicola Nagel
POTENZIALE LEBEN!
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