Donnerstag, 16. Oktober 2014

Der Phönix Effekt - Kreieren aus dem Nichtwissen heraus



Heute ist so ein Tag, an dem ich nicht weiß, über was ich eigentlich schreiben soll. Ich weiß es einfach nicht. Ich könnte über alles und nichts schreiben, doch es kommt kein klarer Impuls für ein Thema. Gleichzeitig habe ich mich verpflichtet, meinen Lesern monatlich neue Möglichkeiten in Form eines Artikels zur Verfügung zu stellen. Was nun? Vielleicht ist ja genau das DAS Thema, im Nichtwissen zu stehen.

Kennen Sie das, dass Sie manchmal einfach keine Ahnung haben? Wie geht es Ihnen damit? Können Sie gut im Nichtwissen stehen, oder suchen Sie eher sofort nach einer Lösung oder einem bekannten Konzept, das Sie hoffentlich anwenden können? In der modernen westlichen Gesellschaft wird uns eingetrichtert, dass wir immer alles wissen müssen. Wir müssen für jedes Problem eine Lösung finden, Antworten parat haben und mit Fachwissen im Job brillieren. Wir sind darin trainiert, ständig etwas zu tun und maßgeblich unseren Verstand zu gebrauchen und diesen unser Leben steuern zu lassen. Wir sind geübt darin, immer mehr Wissen anzuhäufen. Es beginnt bereits in der Schule, geht in der Ausbildung und im Studium weiter, hört auch im Job nicht auf und die Medien wie Fernsehen, Radio und Internet tun ihr übriges dazu. Wissen, wissen, wissen. „Wissen ist Macht“ heißt ein Sprichwort. Wen wundert es da, dass eine Fehlverkabelung in unserem Gehirn installiert ist, die heißt „Wenn ich etwas nicht weiß, ist das schlecht“ oder „Wenn ich etwas nicht weiß, bin ich nicht professionell“ oder – sinnbildlich gesprochen - „Wenn ich etwas nicht weiß, sterbe ich“.

Kürzlich war ich auf einer mehrtägigen Veranstaltung, bei der es um nachhaltige Wege für die planetare Zukunft ging. Für dieses Event gab es einen Ablaufplan, auf dem genau stand, an welchem Tag zu welcher Uhrzeit welche Aktivitäten oder Zusammenkünfte der Teilnehmer stattfanden. Am Anfang einen Plan zu haben, war im konkreten Fall zunächst einmal sinnvoll, um der Veranstaltung überhaupt eine Struktur zu geben. Doch wenn mehrere Pioniere, Revolutionäre und Visionäre zusammenkommen, kann ein starres Festhalten an einem Plan sehr schnell nach hinten los gehen. Nachdem eine schöne, riesige Plakatwand entstanden war, an der Post-It Zettel klebten, auf denen die Workshop Angebote für einen weiteren Tag standen, trug es sich zu, dass jemand über Nacht in geheimer Mission die Zettel abgemacht und dazu benutzt hatte quer über die Plakatwand den Satz zu kleben „We don’t know“.

Es war sehr spannend die Reaktionen der Teilnehmer und Organisatoren zu beobachten, als sie morgens den Raum betraten. Einige waren komplett entspannt und fühlten sich sichtlich wohl damit, während andere völlig irritiert – ja fast schon wütend - anfingen zu versuchen herauszufinden, wer es denn gewagt hatte den „Plan“ zu zerstören und ihre Zettel wegzunehmen. Es gibt sogar Menschen, die heute noch wissen wollen, wer es denn nun damals war. Dabei ist das völlig egal. Die Aktion hat dazu geführt, dass sich die Veranstaltung aus eben diesem Nichtwissen heraus auf einer völlig anderen Ebene weiter entwickeln konnte. Nur das zählt.

Wir sind es so sehr gewohnt, einen Plan, ein Konzept, eine Strategie zu haben und Dinge unter Kontrolle zu halten. Schließlich müssen wir doch WISSEN, wo es hin geht, was wir tun müssen, oder wie etwas aussehen wird. Fakt ist jedoch, wenn Sie das anwenden, was Sie immer schon wussten, können Sie auch immer nur die gleichen Resultate erzielen, die Sie immer schon erzielt haben. Möchten Sie also etwas Neues im Leben kreieren, könnte es notwendig sein, altes Wissen über Bord zu werfen und sich dem Chaos des Nichtwissens hinzugeben. Ein neuer Phoenix kann bekanntermaßen erst entstehen, wenn der alte Phoenix in Flammen aufgegangen ist. Ein neuer Phoenix kann nur aus der Asche entstehen, aus dem NICHTS.

Wir sehen uns öfter dem Nichtwissen gegenüber, als wir meinen. Da die wenigsten jedoch damit vertraut sind, im Nichtwissen zu stehen, überkleben wir selbiges gerne mit Glaubenssätzen. Anstatt mutig einen Schritt in das Nichtwissen zu machen und authentisch zu sagen „Ich weiß es nicht“ lautet die Antwort oftmals „Ich glaube, dass…“ oder „Ich habe gehört, dass…“ Glaubenssätze sind Pflaster über den Löchern in unserer Weltsicht, wo wir nicht wissen. Pläne und Glaubenssätze bilden somit eine gewisse Sicherheit.

Doch vielleicht kennen Sie das Zitat „Life is what happens to you while you are busy making other plans“ von John Lennon. Leben ist das, was passiert, während Du damit beschäftigt bist, andere Pläne zu machen. Das Leben rennt sozusagen an Ihnen vorbei und Sie verpassen es, wenn Sie versuchen verschiedene Lebensbereiche durchzuplanen, sei es Ihr Job, Ihre Beziehung, Ihre Vision. Der Versuch Dinge zu planen, schränkt Ihre Kreativität, Inspiration und Ihr Leben insgesamt ein. Und vor allem hindert das Planen Sie daran, überhaupt loszugehen und Dinge auszuprobieren. Wenn Ihr Leben nach einem Plan verlaufen und „sicher“ sein muss, dann kann das Leben vorrangig nur linear sein: Sie werden geboren, gehen zur Schule, machen vielleicht eine Ausbildung, haben einen allgemein gültigen Job, der auch auf dem Formular des Finanzamtes Gültigkeit hat, verdienen im Job Geld, heiraten, bekommen Kinder, gehen irgendwann in Rente und sterben dann letztendlich. Das ist der lineare Lebensplan.

Eigentlich sind wir Menschen jedoch dazu entworfen, zu fliegen, im Nichtwissen zu stehen, kreativ zu sein und voller Inspiration neue Wege zu gehen. Sie könnten z. B. einen neuen Job erfinden, der nicht auf dem Formular des Finanzamtes steht, der Sie aber erfüllt. Die Fehlverkabelung in unserem Gehirn, dass Nicht-Wissen gleich „Gefahr“ oder „Tod“ bedeutet, geht einher mit einer zweiten Fehlverkabelung in Bezug auf Angst. Prüfen Sie einmal kurz, welche Verkabelung Sie bezüglich des Wortes Angst in Ihrem Kopf haben und ergänzen Sie „Angst ist….“. Vielleicht ist es eine Definition wie „Angst ist schlecht“ oder „Angst ist zu vermeiden“ oder „Angst ist blockierend bzw. lähmend“. Egal, welche Definition Sie mit Angst verknüpft  haben, Fakt ist, dass Sie mit einer solchen Definition dem Nicht-Wissen nur ungern begegnen werden, denn Nichtwissen impliziert Angst. Angst, weil Sie Wege gehen, die Sie vorher noch nicht gegangen sind. Die Definition „Angst ist lähmend bzw. schlecht“ wird Sie somit davon abhalten sich überhaupt in eine Situation zu begeben, in der Sie keine Ahnung haben, wie es geht. Sollten Sie dennoch in eine Solche Situation geraten, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass Sie sich an altbekannten Konzepten und Strategien festklammern werden und versuchen, diese so zu verbiegen und anzuwenden, um sich irgendwie „sicher“ zu fühlen. Dieser Effekt wird erst recht eintreten, wenn es möglicherweise sogar chaotisch wird. Sie werden versuchen, irgendwie Herr der Lage zu werden.

Stellen Sie sich vor, 3 Personen fallen in ein Loch ohne Boden (also ins Nicht-Wissen). Mit der Verkabelung „Angst ist schlecht“ könnte das dazu gehörige Bild ungefähr so aussehen:



Mit der oben genannten Fehlverkabelung sind Sie in einer Situation, in der Sie nicht wissen, wie es geht, hilflos, blockiert, gelähmt und verkrampft.

Entgegen der gängigen Meinung, dass Angst nach Möglichkeit zu vermeiden ist, ist Angst jedoch – wie andere Gefühle auch – ein wertvolles Gefühl, dass uns durch das Leben navigiert. Sie brauchen die Angst. Angst ist weder schlecht, noch ein Design-Fehler im menschlichen Körper. Entscheidend ist somit, die Angst tatsächlich dienlich zu verkabeln. Wie würde die kraftvolle Verkabelung lauten? Angst ist….? Richtig: ANGST IST ANGST! Nur das. ANGST IST ANGST. Ohne weitere Bedeutung. Angst ist einfach ein wichtiges Gefühl, das Ihnen z. B. zeigt, dass Sie Neuland betreten, oder nicht wissen wie es geht. Wenn es okay für Sie ist, Angst zu haben, dann können Sie auch im Nichtwissen stehen und sich dabei entspannen. Unsere 3 Personen, die in ein bodenloses Loch des Nichtwissens fallen und für die Angst okay ist, würden dann so aussehen:


Wie gesagt, Angst ist ein wunderbarer Gefühls-Indikator, der Ihnen unter anderem sagt, dass Sie neues Gebiet betreten. Hier ein Beispiel: Neulich sollte eine Mitarbeiterin einer Geschäftsführerin Feedback geben, was nicht funktioniert. Die Mitarbeiterin wusste nicht, wie das gehen sollte, schließlich war sie doch in der Hierarchie weiter unten und sie hatte große Angst davor, dieses Experiment zu wagen. Es lag weit über ihrer Angst-Schwelle und weit außerhalb ihrer Komfortzone. Sie entschied sich letztendlich, der Angst zu vertrauen und den Schritt ins Nichtwissen zu wagen. Sie fing also einfach an zu sprechen und gab klares, kritisches Feedback, ohne zu wissen, wie es ging, wie es ankommen oder was als nächstes passieren würde. Das Resultat war, dass die Geschäftsführerin sehr dankbar über das Feedback war und die Mitarbeiterin hinterher treffend feststellte „Toll, mein Kopf ist ja noch dran. Ich lebe noch. Und es tat gar nicht weh.“

Vielleicht haben Sie auch eine Vision, wie z. B. die Struktur Ihres Unternehmens in Zukunft aussehen könnte, haben aber keine Ahnung, wie Sie dahin kommen können. Prima, beste Voraussetzungen!!! Erzählen sie genau das zwei, drei Leuten, holen Sie diese ins Boot, lassen Sie sich überraschen, welche Möglichkeiten sich plötzlich ergeben und wie das Projekt ins Rollen kommt.

Oder nehmen wir das Beispiel von authentischem Kontakt in Beziehung. Wenn Angst für Sie nicht okay ist und Sie deswegen Nichtwissen vermeiden wollen, dann bleibt Ihre Beziehung auf der gleichen Ebene. Dann bewegen Sie sich nicht aus Ihrer bekannten Komfortzone heraus und wagen nichts Neues, weil Sie ja nicht wissen, was passieren wird. Wenn Sie sich mit Angst und Nichtwissen hingegen angefreundet haben, dann sind Sie in der Lage, z. B. eine neue Ebene von Kontakt und Intimität auszuprobieren und zuzulassen. Dann ist Angst nur Angst (und es ist übrigens angemessen, Angst zu haben, wenn Sie etwas Unbekanntes ausprobieren). Mit Angst können Sie eine höhere Intensität von Intimität halten und Ihrem Partner z. B. das Experiment vorschlagen, 20 Minuten still in Beziehung gegenüber zu sitzen, sich in die Augen zu schauen und die Intensität auszuhalten wahrhaftig gesehen zu werden. Es geht dabei nicht darum zu starren getreu dem Motto „wer zuerst blinzelt hat verloren“. Es geht darum wahrhaftig gesehen zu werden und den anderen wahrhaftig zu sehen. Wenn Sie bei diesem Experiment Angst spüren, erinnern Sie sich, dass es nur Angst ist und atmen Sie weiter, während Sie Ihre Maske fallen lassen.

Sie können der Angst vertrauen. Der menschliche Körper ist dazu entworfen, 100% maximale Angst zu spüren und zu nutzen. Das hört sich enorm an, doch wenn Sie diese Angst in einem sicheren Umfeld in dieser Größe einmal erlebt haben, können Sie sofort folgende Frage beantworten: „Wer ist größer, Sie oder die Angst?“ Die Antwort lautet SIE sind größer. Sie besitzen die Angst, nicht umgekehrt.

Experiment: Entspannt im Nicht-Wissen stehen
SCHRITT 1:
Lehnen Sie sich einmal kurz zurück und seien Sie schonungslos ehrlich: In welchen Situationen oder Lebensbereichen haben Sie bisher vorgegeben zu wissen, wie etwas geht, obwohl Sie eigentlich keine Ahnung hatten?

Und: Wie oft haben Sie etwas nicht gewagt oder gesagt, weil Sie nicht wussten, wie Sie es machen sollen? Wie oft wollten Sie etwas ausprobieren, vielleicht einen verrückten Vorschlag im Job machen oder Ihre Beziehung auf eine andere Ebene bringen, haben es aber letztendlich nicht getan, weil Sie nicht wussten, wie es geht? Oder vielleicht weil es für andere nicht logisch nachvollziehbar gewesen wäre?

SCHRITT 2:
Wenn Sie das nächste Mal in einer Situation sind, wo Sie etwas nicht wissen, seien Sie authentisch und sagen Sie ganz bewusst „Ich weiß es nicht.“ Entspannen Sie sich in das Nichtwissen und lehnen Sie sich zurück. Anstatt in blanken Aktionismus zu verfallen, oder automatisch zu reagieren, tun Sie zur Abwechslung erst einmal gar nichts. Halten Sie inne. Atmen Sie weiter und bleiben Sie so lange ruhig, bis der nächste Impuls kommt. Und der wird kommen. Sei es, dass Sie plötzlich eine zündende Idee haben, oder von außen ein Impuls kommt, der den nächsten Schritt einleitet. Im ersten Moment fühlt es sich möglicherweise unbehaglich an, es nicht zu wissen und nichts zu tun. So fühlt es sich einfach an. Ihr Verstand wird möglicherweise sagen „Aber Du musst doch etwas tun. Du musst doch wissen, was zu tun ist.“ Schießen Sie diese Stimme ab und bleiben Sie im Nichtwissen.

Sie werden erkennen, dass sich neuer Boden unter Ihren Füßen auftut, wenn Sie Ihrer Angst vertrauen und den Schritt über den vermeintlichen „Abgrund“ hinaus ins Nichtwissen tun. Dann können Sie selbst im Chaos entspannt navigieren. Es geht immer nur um den nächsten Schritt. Und Vertrauen ist kein Gefühl, Vertrauen ist eine Entscheidung.

In diesem Sinne, herzliche Grüße aus dem Nichtwissen.
Ihre Nicola Nagel


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