Montag, 14. Dezember 2015

NEW WORK: Wer bin ich im Unternehmen? - Über eine andere Art von Job-Titel.



In den meisten Unternehmen wird ein alt hergebrachtes Konzept angewandt, das scheinbar die wenigsten hinterfragen. Es ist das Konzept der Position oder Stelle und damit einhergehend der entsprechende Titel eines Mitarbeiters. Über die Jahre hinweg haben sich in der Wirtschaft Begriffe für Jobbeschreibungen geformt, die mittlerweile gängig sind und von den meisten Menschen verstanden werden: Sachbearbeiterin, Entwickler, Geschäftsführer, Leiter Technik, Einkaufsleiter, Key Account Manager, Pressesprecherin, Marketingbeauftragter etc. Auf den ersten Blick scheint es durchaus sinnvoll zu sein, ein Aufgabenfeld mit einem Titel zu belegen und dadurch die Aufgaben zu normen. Doch den wenigsten scheint bewusst zu sein, wie einengend Standard-Titel sind und wie sehr sie das eigentlich vorhandene Potenzial begrenzen.

Über einen Standardtitel werden Mitarbeiter automatisch in bestimmte Schubladen gesteckt. Erhält beispielsweise eine Person den Titel „Sachbearbeiterin Materialwirtschaft“, so begrenzt dieser die Person auf das, was sie laut Jobbeschreibung zu tun hat. Eine Sachbearbeiterin hat in dem Fall kleine Dinge abzuarbeiten und Papierkram zu machen, ist jedoch in der Regel nicht „befugt“ visionär zu denken und außergewöhnliche Methoden anzuwenden. Anders ist es bei dem Titel „Einkaufsleiter“. Allein der Drall des Titels ermächtigt die entsprechende Person mehr Verantwortung zu übernehmen und andere Menschen zu führen. Dabei gibt es zahlreiche Menschen mit vermeintlich „hoch aufgehängten“ Titeln, die alles andere als tragfähige Führungsqualitäten haben und stattdessen meinen allein aufgrund des Leiter-Titels Macht ausüben zu können.

Standard-Titel fördern hierarchisches Denken und Konkurrenz. Sie werden „von oben“ übergeben oder zugeteilt bzw. angeordnet und dienen dazu Mitarbeiter zu kategorisieren. Durch hierarchisch zugeordnete Titel werden Mitarbeiter „messbar“, denn je höher der Titel, desto höher fällt in der Regel das Gehalt aus.

Zudem scheinen viele Menschen sich im Unternehmen über ihren Titel zu definieren. Ein höherer Title heißt in der Regel nicht nur mehr Geld auf dem Konto, sondern auch mehr Anerkennung. Somit ist es nicht verwunderlich, dass viele Menschen nach einem höheren Titel streben, um vermeintlich mehr Anerkennung zu bekommen. Mit jedem Titel geht eine unbewusste Wertung einher. Einer Person mit einem höher gestellten Titel wird oftmals mehr Respekt gezollt. Z. B. haben viele Mitarbeiter mehr Respekt vor einem Geschäftsführer als vor einem Sachbearbeiter oder Produktionsmitarbeiter. Diese Wertung spiegelt sich auch darin wider, dass in der modernen Gesellschaft eine der ersten Fragen beim Kennenlernen einer neuen Person in der Regel folgende ist: „Und, was machen Sie so?“ Es geht also in erster Linie darum, was jemand HAT (Geld, Besitz) und was jemand TUT (Position, Titel, etc.). In den seltensten Fällen geht es darum, wie jemand IST. Die essentiellen Seins-Qualitäten einer Person werden hinten angestellt bzw. vollständig vergessen.

In der Unternehmenswelt herrscht ein erbitterter hierarchischer Wettkampf um Positionen und damit einhergehende Titel, der manchmal ganz offensichtlich (z. B. kürzlich bei VW) und oftmals subtil gespielt wird. Wenn die Aussicht auf einen ruhmreichen Titel zum Greifen nahe ist, wird an Stühlen gesägt und versucht Mitarbeiter auszubooten, was das Zeug hält.

Dabei sind gewöhnliche Titel alles andere als ruhmreich, denn sie sind sehr auf Logik und Linearität beschränkt. Beispielsweise ist der Titel Leiter Materialwirtschaft in sich hierarchisch und die entsprechende Person hat in erster Linie die Möglichkeit, linear zu führen. Gleiches gilt für andere Titel-Bezeichnungen. Sie limitieren die Mitarbeiter durch die Linearität auf das Tun bestimmter Aufgaben, sodass der jeweilige Titelinhaber zu einer leicht ersetzbaren Ressource. Verlässt ein Mitarbeiter das Unternehmen, so ist es ein leichtes, die gleiche Stelle mit dem entsprechenden Standard-Titel wieder auszuschreiben und eine andere Person auf die Position zu setzen. Durch gewöhnliche Titel werden Menschen in Unternehmen austauschbar, während das Einzigartige, die menschlichen Seins-Qualitäten auf der Strecke bleiben.

Gewöhnliche Titel sind in der Regel in Stein gemeißelt. Es geht maßgeblich um die fachliche Kompetenz, die einem Titel zugeschrieben wird, und innerhalb derer sich ein Mitarbeiter bewegen kann. Gleichzeitig verlangen einige Titel heutzutage automatisch ein bestimmtes Agieren. Der Titel eines Geschäftsführers oder Abteilungsleiters bedeutet beispielsweise vielerorts, dass die entsprechende Person alles wissen muss, die Dinge im Griff haben muss und der einsame Wolf an der Spitze ist. Ein Sachbearbeiter darf hingegen auch schon einmal Dienst nach Vorschrift machen, denn schließlich ist er dazu da Papierkram abzuarbeiten.

Zu guter Letzt sind gewöhnlich Titel vor allem eines: langweilig und trocken.

Doch was nun? Wie würde denn eine andere Art der Titelvergabe aussehen? Und wie würden im Gegensatz zu gewöhnlichen Titeln außergewöhnliche Titel lauten, die beschreiben, was der jeweilige Mitarbeiter IST?

Ziehen Sie zunächst einmal in Betracht, dass es die Möglichkeit gibt, Titel zu erschaffen, die nicht auf dem Formular des Finanzamtes zu finden sind. Bei der Wahl eines außergewöhnlichen Titels geht es darum, den Fokus auf die Qualität der Seins-Eigenschaften des Mitarbeiters zu legen und ihn für das anzuerkennen, was er IST. Allein durch die Wahl des Titels wird der Mitarbeiter bereits ermächtigt, seine Talente und Qualitäten vollständig in das Unternehmen einzubringen.

Anders als bei einem gewöhnlichen Titel, der in der Regel von der Geschäftsleitung übergeben oder zugeordnet wird, wird ein außergewöhnlicher Titel vom Mitarbeiter selbst gewählt und enthält keinerlei hierarchischen Bezug. Es gibt weder Leiter, noch Manager, noch Geschäftsführer. Allein diese Idee könnte für viele Manager bereits ein apokalyptischer Albtraum sein, denn worüber sollen sie sich definieren, wenn nicht über ihre hierarische Machtposition?

Was es bei dem Experiment der außergewöhnlichen Titel zu beachten gilt, ist dass die alten hierarchischen Strukturen tief in uns Menschen verankert sind. Es würde also nicht funktionieren, die Mitarbeiter zu zwingen, ad hoc selbst einen neuen Titel zu wählen. Vielmehr ist es ein Experiment für kühne Pioniere, die bereit sind, eine andere Art von Arbeitswelt zu erschaffen und voran zu gehen. Die anderen Mitarbeiter werden in ihrem eigenen Tempo folgen. Ein mittelständisches, fränkisches Unternehmen hat dieses Experiment im Rahmen einer größeren Umstrukturierung begonnen und die Ergebnisse sind verblüffend.

Begonnen hat es mit der Frage einer Mitarbeiterin „Wer bin ich eigentlich im Unternehmen, wenn wir jetzt umstrukturieren?“ (An dieser Stelle sei erwähnt, dass es sich bei der Umstrukturierung um den evolutionären Wandel des Unternehmens von einer hierarchischen Organisation in zu einer sogenannte Netzwerk oder Galaxie-Organisation handelt.).

In einem ca. 1-stündigen, angeleiteten Prozess, filterte sie selbst heraus, was ihre tatsächlichen Seins-Eigenschaften sind, die sie in das Unternehmen einbringt und welches ihre Prinzipien sind, die ihre Arbeit unterstützen. Es handelt sich um einen kreativen, nicht-linearen Prozess, der Mitarbeiter ermächtigt, Verantwortung zu übernehmen und selbst einen Titel wählen, der ihnen entspricht, der jedoch gleichzeitig nichts mit einem gewöhnlichen Titel zu tun hat (beispielsweise kann ein Mitarbeiter nicht aus Gutdünken heraus den Titel „Manager“ oder „Abteilungsleiter“ wählen). Hier sind einige Beispiele für außergewöhnliche Titel, die Mitarbeiter in besagtem Unternehmen gewählt haben: 

  • Knotenpunkt Organisatorin
  • Menschen-Zahlen-und Event-Koordinatorin
  • Evolutions-Architekt
  • Möglichkeits-Abenteurerin
  • Netzwerk-Mediatorin
  • Verbindungs- und Koordinations-Designerin
  • Struktur- und Verbindungsgeberin
  • Möglichkeitsgenerierender Organisator
  • Team- und Produktions-Koordinator
  • Möglichkeiten- und Struktur Schmied
  • Holistischer Bewusstmacher

Nehmen sie den anderen Drall wahr? Außergewöhnliche Titel sind inspirierend und ermächtigend. Eine „Struktur und Verbindungsgeberin“ ist z. B. etwas anderes als eine „Sachbearbeiterin Archivierung“. Eine Möglichkeits-Abenteurerin ist etwas anderes als eine klassische „Geschäftsführerin“ (und um das Experiment in der o. g. Firma zu vervollständigen: in einer Betriebsversammlung legte die Inhaberin offiziell ihren Titel als Geschäftsführerin nieder, um die hierarchische Struktur weiter aufzulösen und so den Mitarbeitern auf Augenhöhe zu begegnen. Sie setzte den neuen Titel sogar umgehend auf ihre Visitenkarte. Der Geschäftsführer Titel wird nur noch aus rechtlichen Gründen in Finanzamts-Angelegenheiten verwendet). Ein außergewöhnlicher Titel macht den Titelinhaber zu einem einzigartigen Menschen mit individuellen sog. Hellen Prinzipien, Vorlieben, Fähigkeiten und Aufgaben. Somit ist er nicht mehr eine schnell austauschbare Ressource, sondern ein menschliches Unikat. 

Ein außergewöhnlicher Titel ist nicht hierarchisch und ermöglicht dadurch ein neues Spiel mit mehr Möglichkeiten. Er ist flexibel und weit und beschreibt die „Seins-Qualitäten“ einer Person, d. h. wie ein Mitarbeiter im Unternehmen tatsächlich wirkt (im Sinne von kreieren).

Solch eine Art Titel beschreibt das Wesen und Potenzial der Mitarbeiter und ermöglicht ihnen ihre tatsächlichen Talente einzubringen und zu entwickeln und kreativ und nichtlinear vorzugehen. Durch außergewöhnliche Titel können Mitarbeiter nicht mehr in eine Schublade gesteckt und dadurch limitiert und klein gemacht werden. Im Gegenteil: die neuen Titel lassen die Mitarbeiter für etwas weitaus Größeres stehen. Und das ist spürbar. Diejenigen, die bereits einen außergewöhnlichen Titel bewusst gewählt haben, beginnen plötzlich sich in ihre neue Rolle hinein zu entfalten und zu wachsen. Sie strahlen mehr, fühlen sich in ihrem Sein gesehen und sind dadurch viel inspirierter.

Nun mögen Bedenkenträger sagen, dass dies ja lächerlich sei und in der Außenwirkung (beispielsweise gegenüber Kunden) nicht vertretbar sei. Nun, der Vorschlag an dieser Stelle ist: probieren Sie es aus! In dem mittelständischen, fränkischen Unternehmen haben die Mitarbeiter, die bereits einen neuen Titel gewählt haben, diesen nicht nur in der digitalen Signatur ihrer Emails stehen, sondern auch auf ihren Visitenkarten. Die bisherige Erfahrung ist, dass die neuen Titel Türöffner für sehr interessante Gespräche sind. Dadurch, dass die Mitarbeiter auch für Außenstehende nicht mehr in eine gewöhnliche Titel-Schublade gesteckt werden können, treten die Menschen, der Kontakt und der Austausch wieder in den Vordergrund.

Und noch einmal: dieser Schritt ist wagemutig. Und ja, es gibt Mitarbeiter, die diesen Schritt nicht sofort gehen möchten, weil die alten Strukturen einfach noch zu stark in ihnen wirken und die Idee, das Altbekannte zu verlassen noch zu gefährlich ist. Und das ist absolut in Ordnung. Bei Evolution gibt es immer einige Pioniere, die in das Unbekannte Gebiet vorangehen und Dinge zuerst neu ausprobieren, bevor andere nachkommen können. Und auch das ist Teil der nächsten Arbeitskultur: Neue Vorgehensweisen werden nicht einfach von oben vorgegeben, sondern entstehen aus dem Team heraus.

Im Folgenden finden Sie nochmals eine Aufstellung der Unterschiede zwischen einem gewöhnlichen, hierarchischen Standardtitel und einem außergewöhnlichen Seins-Titel.

Gewöhnlicher, hierarchischer
Standard-Titel
Außergewöhnlicher
Seins-Titel
Hierarchisch, weil von „oben“ übergeben, angeordnet.
Nicht hierarchisch, selbst gewählt.
Gehalt wird am Titel festgemacht.
Gehalt wird nicht mehr am Titel festgemacht.
Mitarbeiter definiert sich und das Maß an Anerkennung über den Titel. Je höher der Titel, desto höher die Anerkennung.
Mitarbeiter definiert sich über seine einzigartigen Seins-Qualitäten.
Fördert Konkurrenz.
Fördert Miteinander.
Macht Mitarbeiter klein.

Ermächtigt Mitarbeiter zu Verantwortung.



Entzieht Kraft, weil die Verantwortung für den Titel nicht beim Inhaber ist.
Gibt Kraft, weil der Titelinhaber den Titel selbstverantwortlich gewählt hat.
Macht den Titelinhaber zu einer leicht ersetzbaren, da austauschbaren Ressource.
Macht den Titelinhaber zu einem einzigartigen Mensch mit individuellen Hellen Prinzipien, Vorlieben, Fähigkeiten und Aufgaben. So ist er niemals ersetzbar.
Kann Verwirrung erzeugen. Z. B. kann ein Geschäftsführer über Vertrieb, Organisation, Technik usw. führen. Absicht ist oft nicht klar und lässt ein Gegenüber im Unklaren.
Gibt Klarheit über das, was ist.
Ist nur zufällig authentisch.
Ist authentisch.
Macht unfrei, weil eher in „Stein gemeißelt“
Macht frei und ist veränderbar.
Der Titel „Leiter XXX“ ist in sich hierarchisch und hat hauptsächlich die Möglichkeit, linear zu führen.
Neuer Titel ist nicht hierarchisch und ermöglicht ein neues Spiel mit mehr Möglichkeiten.
Beschreibt nur das Tun laut vorgegebener Jobbeschreibung.
Beschreibt die „Seins-Qualitäten“, d. h. wie ein Mitarbeiter im Unternehmen tatsächlich ist und wirkt (im Sinne von kreieren).
Ermöglicht Mitarbeitern nur im Rahmen der fachlichen Kompetenz zu agieren, die dem Titel zugeschrieben werden.
Ermöglicht Mitarbeitern ihre tatsächlichen Talente und Visionen einzubringen und zu entwickeln.
Ist starr und limitierend.
Ist flexibel und weit.
Ist auf Logik und Linearität begrenzt.
Ermöglicht Entfaltung und Nicht-Linearität.
Ist trocken und langweilig
Ist inspirierend, kreativ und ermächtigend.
Über alten Titel wird der Mitarbeiter bei Kunden und Kollegen sofort in eine bekannte „Schublade“ gesteckt. Der Mensch tritt in den Hintergrund.
Neuer Titel beschreibt das Wesen und Potenzial des Mitarbeiters und ist Türöffner für interessante Gespräche. Der Mensch tritt in den Vordergrund.

Sind Sie bereit für dieses außergewöhnliche Experiment?                                    

Tipp: Mehr zum Thema „New Work“ finden Sie im Buch „Edgeworker: Leadership war gestern – Es ist Zeit für die Führungs-(R)Evolution!“ von Nicola Nagel und Patrizia Servidio.




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