Die zwischenmenschlichen Themen brodeln ja bekanntlich
besonders zur Weihnachtszeit, dem Fest der Liebe, wenn Paare, Familien und
Freunde mehr Zeit miteinander verbringen.
Wenn es ruhiger wird – sowohl in der Natur als auch
in uns – ist oftmals der Moment gekommen, Rückschau zu halten. Viele Menschen fragen
sich dann, wie das Jahr gelaufen ist und nicht selten kommt in solchen Moment
der Groll hoch, den sie das ganze Jahr über weggedrückt haben. Groll auf den
Partner, den Chef, den Nachbarn, die Eltern, Geschwister oder Freunde. Wie
können wir mit diesem Groll umgehen? Wie können wir ihn auflösen?
Eine Frage, die dieser Frage vorher geht ist „Wie
entsteht Groll überhaupt?“ Groll entsteht meist dann, wenn Erwartungen, die Sie
an eine Person stellen, nicht erfüllt werden. Die Krux bei Erwartungen ist,
dass sie oftmals stillschweigend getroffen werden. Das bedeutet, Sie haben eine
Erwartung z. B. an ihren Partner, wie er sich in einer bestimmten Situation zu
verhalten hat. Vielleicht haben Sie die Erwartung, dass er jedes Mal, wenn Sie
gemeinsam ausgehen, Ihnen die Tür aufhält, denn Ihrer Meinung gehört sich das
schließlich so. Außerdem steht das ja auch im Knigge für gutes Benehmen, oder
nicht? Gehört sich das tatsächlich? Wer bestimmt, was sich gehört? Worauf bauen
Sie Ihre Erwartungen?
Hier ein ganz simples Beispiel: Neulich stand ich
mit einer lieben Freundin bei mir in der Küche und kochte. In einem Topf garte
Reis und ich hatte kurz vor Ende der Garzeit den Impuls den Reis einmal
umzurühren. Ich griff also zum Kochlöffel und in dem Moment, als ich zum
Umrühren ansetzte, sagte sie „Nein, nicht! Den darf man nicht umrühren.“ Ich
schaute sie an und sagte: „Nach DEINEM Rezept darf ich ihn nicht umrühren.“ Es
war also vorher die unausgesprochene Erwartung im Raum, dass ich den Reis genau
auf die gleiche Art und Weise zubereite, wie sie es kannte.
Worauf bauen wir also unsere Erwartungen an andere
Personen? Wir bauen Sie auf unsere Weltsicht, auf unsere Glaubenssätze, unsere
Erfahrungen und Erlebnisse, unsere Erziehung. Nun gibt es jedoch so viele
Weltanschauungen und Erfahrungen, wie es Menschen gibt. Da wird es also
zwangsläufig zu einem Problem, wenn Sie Erwartungen haben, denn es ist relativ
unwahrscheinlich, dass Ihr Partner oder wer auch immer, die Dinge GENAU SO
machen wird, wie sie es machen würden. Wir bauen unsere Erwartungen auf unseren
eigenen Gewohnheiten auf. Im Alltag kann sich das in sogenannten Nissen
ausdrücken. Nissen sind im ursprünglichen Sprachgebrauch die kleinen, nahezu
unzerstörbaren Eier die Läuse in Haare legen. Im übertragenen Sinnen können Sie
als Nissen jedoch die eigenwilligen Meinungen, Vorlieben und Vorurteile
betrachten, die Teil Ihrer Weltsicht sind.
Es gibt eine unzählige Anzahl solcher Nissen, die
schnell zu Erwartungen werden und sich unbewusst im Alltag ausbreiten. Vielleicht
haben Sie eine ganz bestimmte Erwartung z. B. in Bezug auf folgendes:
- Wie die Spülmaschine einzuräumen ist.
- Wie laut die Musik sein darf.
- Wie stark ein guter Espresso sein muss.
- Wie ein richtiger Espresso oder auch Kaffee überhaupt zubereitet wird.
- Was „ordentlich“ bedeutet bzw. als „Saustall“ deklariert wird (für manche ist es schon ein Saustall, wenn der Partner die Socken auf dem Boden liegen lässt).
- Wie lange man unter der Dusche stehen darf und wie oft.
- Wie oft man sich die Zähne putzen soll.
- Wie die Zahnpasta-Tube auszudrücken ist.
- Ob der Toilettendeckel bei Nicht-Benutzung oben oder unten sein soll.
- Ob beim gemeinsamen Restaurant-Besuch das Handy an- oder ausgemacht wird.
- Wie wichtig es ist, die Nachrichten zu schauen.
- Was Spaß ist.
- Was ein guter Witz ist.
- Was guter Sex ist.
- Was in den Kühlschrank kommt.
- Wie das Brot, die Karotten, die Zwiebeln, etc. zu schneiden sind.
- Wie Speisen zuzubereiten sind.
- Ob Pfannen vor oder nach den Gläsern per Hand gespült werden.
- Wie oft die Familie zu besuchen ist.
- Wer den Wasserkasten aus dem Auto zu holen hat.
- Ob überhaupt und wenn ja wie die Kleidung im Schrank zu hängen/liegen hat.
Sie merken schon, wir könnten diese Liste eine
Weile weiterführen. Es gibt viele unausgesprochene Erwartungen und Annahmen,
die wir treffen. Doch leider sind Erwartungen und Annahmen dafür prädestiniert,
enttäuscht zu werden und dann entsteht Groll. Groll auf den Partner, der es
eben schon wieder nicht so gemacht hat, wie wir es erwartet haben, Groll auf
den Chef, der nicht gesehen hat, wie viel Arbeit im letzten Monatsbericht
steckt, Groll auf den Nachbarn, der ständig zu laut Musik hört und Groll auf diverse
Familienmitglieder, die rumnörgeln, dass Sie sie zu wenig besuchen. Groll kommt von unerfüllten Erwartungen.
Es ist ziemlich leicht zu erkennen, wo Sie
Erwartungen hatten, die nicht erfüllt wurden. Dann steckt der Groll nämlich
noch in Ihnen. Groll, den Sie stillschweigend in sich hinein fressen und dann womöglich
bei passender Gelegenheit wieder rausholen. Lassen Sie uns daher an dieser Stelle
mit einem Experiment starten.
Experiment
1: Wem grollen Sie?
Schauen Sie einmal auf die vergangenen Monate
zurück und beantworten Sie ehrlich und authentisch folgende Frage: Wem grollen
Sie?
Ist es Ihr Partner, Ihre Mutter, Ihr Kollege? Seien
Sie radikal ehrlich. Vielleicht ist es nur ein klitzekleiner Punkt, in dem Sie
Ihrem Partner grollen. Vielleicht meinen Sie sogar, es sei gar nicht der Rede
wert. Doch allein die Tatsache, dass Sie sich jetzt an diesen Punkt erinnern,
zeigt, dass der Groll wie ein Angelhaken noch in Ihnen steckt, und zwar in
Ihrem Herzen.
Schreiben Sie einmal die Namen der Personen auf,
denen Sie grollen, auf die sie noch wütend sind oder wo sie sagen „das nervt
wirklich, wenn er/sie das macht“.
Experiment
2: Welches sind Ihre unerfüllten Erwartungen?
Spüren Sie nun einmal in den Groll hinein und
schreiben Sie unter jeden Namen die unerfüllten Erwartungen. Wo hat jemand
nicht so agiert, wie es für Sie selbstverständlich gewesen wäre und Sie es
erwartet hätten. Was tut Ihr Partner vielleicht wiederholt, das Sie stört, weil
Sie es einfach anders machen. Schreiben Sie alles auf, was Ihnen einfällt. Es
ist entscheidend sich darüber klar zu werden, welche Erwartungen Sie haben.
Erwarten Sie vielleicht, dass Ihr Partner Ihnen
grundsätzlich in den Mantel hilft, wenn Sie ausgehen? Oder erwarten Sie von Ihrem
Bruder, dass er doch bitteschön mal einen „gescheiten Job“ macht? Vielleicht
erwarten Sie auch, dass Ihnen Ihre Freundin ein spezielles Geschenk zu
Weihnachten macht, oder Ihr Chef von selbst auf die Idee einer Gehaltserhöhung
kommt? Was immer es auch sein mag, kleine oder große Erwartungen, schreiben Sie
sie einmal auf.
Das kritische an Erwartungen ist, dass sie oftmals seit
langer Zeit in uns sitzen, so dass wir uns mit ihnen identifizieren und keine
andere Option sehen. Doch mit jeder unerfüllten Erwartung und jedem Grollpunkt,
den Sie damit gegen eine Person sammeln, verhindern Sie mehr und mehr
authentische und verletzliche Beziehung und Intimität.
Haben Sie Ihre unerfüllten Erwartungen
aufgeschrieben? Dann kommt hier eine spannende Frage:
Wer hat diese Erwartungen kreiert?
Richtig, SIE! Sie allein haben diese Erwartungen
kreiert. Sie allein haben entschieden, dass etwas auf eine bestimmte Art laufen
oder sich eine Person verhalten muss. Erwartungen sind wie ein Dogma, sie
lassen keine andere Wahl. Sie sind starr, unflexibel, festgefahren.
Wer hat letztendlich den Groll somit geschaffen?
Richtig, ebenfalls SIE! Sie sehen schon, Sie kommen aus der Nummer
nicht raus. Sie haben die Erwartungen und damit auch den Groll kreiert. Und der
einzige, der da so richtig Spaß dran hat, ist Ihr Gremlin, Ihr kleines inneres
Monster, Ihr innerer Schweinehund, der darauf aus ist, Nähe und Vertrautheit zu
zerstören.
Wenn Sie Erwartungen haben, die dann letztlich nicht
erfüllt werden, kreieren Sie jedoch nicht nur Groll, sondern Sie werden auch
selbst unflexibel und können nicht mehr entsprechend der Umstände agieren, die
JETZT da sind. Sie warten dann permanent darauf, dass Ihre Erwartungen erfüllt
werden, anstatt aus dem gegebenen Moment heraus etwas völlig Neues zu kreieren.
In dieser Jahreszeit, wo sich alles dem Ende neigt,
über Weihnachtsgeschenke und gute Vorsätze für das neue Jahr nachgedacht wird, lade
ich Sie nun zu einem ganz besonderen Experiment ein. Sie können es als
Weihnachtsgeschenk betrachten, das Sie sich selbst und anderen Menschen, gegen
die Sie bisher Groll hegen, machen.
Experiment
3: Nehmen Sie Ihre Erwartungen zurück und lösen Sie den Groll auf
Der Groll besteht so lange weiter, wie Sie Ihre
Erwartung aufrecht erhalten. Das größte Geschenk, das Sie sich selbst, Ihrem
Partner, Ihrer Beziehung oder auch anderen Menschen, gegenüber denen Sie
Erwartungen haben, machen können ist, diese Erwartungen zurück zu nehmen.
Sind Sie bereit für dieses Experiment? Nehmen Sie
aus der vorher erstellten Liste von Erwartungen eine Erwartung heraus, von der
Sie sagen würden, dass Sie bereit sind, sie zurück zu nehmen. Idealerwiese machen
Sie dieses Experiment mit einer Person Ihres Vertrauens. Bitten Sie eine
Freundin oder einen Freund, dass sie entsprechend die Person darstellen,
gegenüber der Sie eine Erwartung haben. Es ist meist kraftvoller, noch jemanden
im Raum zu haben, der auch hört, dass Sie eine Erwartung zurück nehmen.
Wenn es Ihnen jedoch leichter fällt, können Sie
auch ein Blatt Papier nehmen und der Person schreiben, von der Sie Ihre
Erwartungen zurück nehmen möchten. Sie müssen den Brief nicht abschicken. Es
geht darum, dass Sie authentisch zu Papier bringen, welche Erwartungen Sie für
immer von der Person zurück nehmen.
Hier ein Beispiel: Angenommen Ihre Freundin Maria,
die sich für dieses Experiment zur Verfügung stellt, spielt Ihren Partner. Dann
deklarieren Sie: „Du bist mein Partner Matthias.“ Und dann nehmen Sie die
Erwartung wie folgt zurück. Sagen Sie: „Matthias, ich nehme die Erwartung an Dich, dass Du mir immer in den Mantel
helfen und die Tür aufhalten musst, von
Dir zurück und zwar FÜR IMMER!
Das Entscheidende ist, dass Sie die Person beim
Namen nennen, die bisherige Erwartung und dann vor allen Dingen beim
Zurücknehmen das „FÜR IMMER“ aussprechen (in einem Brief würden Sie schreiben „Liebe(r)
…, ich nehme FÜR IMMER die Erwartung von Dir zurück, dass….“ Schreiben Sie für
jede einzelne Erwartung diesen Satz). Wenn diese zwei kleinen Wörtchen fehlen,
ist Ihr innerer Schweinehund sonst sehr clever und sagt insgeheim „okay, für
heute nehme ich die Erwartung zurück, aber morgen….“
Sprechen Sie den Satz langsam und deutlich aus,
sodass er in dem Raum, in dem Sie sich befinden, „landet“ und damit in Ihnen
und auch in der anderen Person (falls Sie einen Rollenspieler dabei haben). Schauen
Sie die andere Person dabei an.
Falls Sie ein besonders hohes Risiko eingehen
möchten, können Sie auch z. B. Ihren Partner direkt um ein Gespräch bitten und
sagen: „Du, ich habe festgestellt, dass ich bisher eine Erwartung an Dich
hatte, die nicht gerechtfertigt war. Es war die Erwartung, dass… (nennen Sie die Erwartung). Ich nehme
hiermit diese Erwartung FÜR IMMER von Dir zurück.“
Wenn Sie eine Erwartung zurück genommen haben,
spüren Sie, was in Ihnen passiert, was Sie fühlen. In einem Training war einmal
ein Ehepaar, das sich gegenüber saß und genau diese Übung machte. Die Frau
sagte „Ich habe die Erwartung, dass er sich endlich einmal einen viel lukrativeren
Job sucht mit seinen Fähigkeiten.“ Sie hatte ziemlichen Groll in sich, weil er
diese Erwartung seit mehreren Jahren nicht erfüllte und sie konnte nur noch „Beweise“
sehen, die ihre Geschichte untermauerten, dass er ein unfähiger Idiot war. Sie
war jedoch bereit, das Experiment zu machen, diese Erwartung von ihrem Mann
zurück zu nehmen, schaute ihn an und tat dies: „Ich nehme FÜR IMMER die
Erwartung von Dir zurück, dass Du Dir einen viel lukrativeren Job suchen musst.“
In dem Moment, als sie das aussprach, konnte sich ihr Mann komplett entspannen
und sie ebenfalls.
Erwartungen bauen unterschwellig eine Spannung auf,
die die jeweils andere Person spürt, selbst, wenn Sie die Erwartung nie
ausgesprochen haben. Sie tragen die Erwartung sozusagen sprichwörtlich vor sich
her und strahlen damit eine spezielle Energie aus. Die andere Person spürt das.
Gleichzeitig können jedoch weder Ihr Partner, noch Ihr Chef, noch Ihre Eltern
noch Ihre Freunde erraten, was Sie erwarten.
Was für die Frau im Beispiel noch passierte – und das
kann Ihnen gleichermaßen wiederfahren – war folgendes. Auf die Frage „Was
fühlst Du jetzt, nachdem Du die Erwartung zurück genommen hast?“ sagte sie: „Zum
einen fühle ich Angst, weil ich nicht weiß, wie es ohne diese Erwartung sein
wird. Ich habe unsere ganze Beziehung in den letzten Jahren auf dieser
Erwartung aufgebaut.“
Wohl wahr! Was bleibt, wenn Ihre Erwartungen an
Gültigkeit verlieren? Es kann passieren, dass es sich anfühlt, als würde eine
stabile Säule wegbrechen, auf die Sie sich lange gestützt haben. Lassen Sie es
zu, sich in den freien Fall zu begeben ohne zu wissen, wie es ohne Erwartung
funktioniert.
Das zweite Gefühl, dass die Frau wahrnahm war
Freude. Sie sagte: „Ich fühle jetzt, da ich die Erwartung zurück gezogen habe, auch
Freude, weil ich meinen Partner wieder als den Mann sehen kann, in den ich mich
verliebt habe. Ich habe diesen Erwartungsfilter nicht mehr und ich erkenne
gerade, dass ich diejenige war, die den Groll auf ihn gelegt hat und Nähe und Vertrautheit zerstört hat.“
Es ist eigentlich so einfach und doch so
herausfordernd, Erwartungen zurück zu nehmen. Ob Sie dieses Experiment
durchführen und ohne einen schweren Rucksack voller Erwartungen in das neue Jahr
starten möchten liegt bei Ihnen. Doch eins ist gewiss: Sie machen sich selbst
und anderen dadurch ein unbezahlbares Geschenk, denn ohne Groll und Erwartungen
wird authentische Beziehung, Nähe und Vertrautheit wieder möglich. Und das ist
es doch im Prinzip, was die meisten Menschen sich im Herzen wünschen, oder
nicht?
Ein interessanter Vorsatz für das neue Jahr könnte
übrigens lauten, nur noch mit leichtem Gepäck zu reisen und keine Erwartungen
mehr zu kreieren, sondern stattdessen ab sofort klar auszusprechen, was Sie
brauchen und sich wünschen.
Viel Freude beim Experimentieren und herzliche
Grüße,