Donnerstag, 12. Dezember 2013

Groll und Erwartungen verhindern authentische Beziehung



Die zwischenmenschlichen Themen brodeln ja bekanntlich besonders zur Weihnachtszeit, dem Fest der Liebe, wenn Paare, Familien und Freunde mehr Zeit miteinander verbringen.
Wenn es ruhiger wird – sowohl in der Natur als auch in uns – ist oftmals der Moment gekommen, Rückschau zu halten. Viele Menschen fragen sich dann, wie das Jahr gelaufen ist und nicht selten kommt in solchen Moment der Groll hoch, den sie das ganze Jahr über weggedrückt haben. Groll auf den Partner, den Chef, den Nachbarn, die Eltern, Geschwister oder Freunde. Wie können wir mit diesem Groll umgehen? Wie können wir ihn auflösen?

Eine Frage, die dieser Frage vorher geht ist „Wie entsteht Groll überhaupt?“ Groll entsteht meist dann, wenn Erwartungen, die Sie an eine Person stellen, nicht erfüllt werden. Die Krux bei Erwartungen ist, dass sie oftmals stillschweigend getroffen werden. Das bedeutet, Sie haben eine Erwartung z. B. an ihren Partner, wie er sich in einer bestimmten Situation zu verhalten hat. Vielleicht haben Sie die Erwartung, dass er jedes Mal, wenn Sie gemeinsam ausgehen, Ihnen die Tür aufhält, denn Ihrer Meinung gehört sich das schließlich so. Außerdem steht das ja auch im Knigge für gutes Benehmen, oder nicht? Gehört sich das tatsächlich? Wer bestimmt, was sich gehört? Worauf bauen Sie Ihre Erwartungen?

Hier ein ganz simples Beispiel: Neulich stand ich mit einer lieben Freundin bei mir in der Küche und kochte. In einem Topf garte Reis und ich hatte kurz vor Ende der Garzeit den Impuls den Reis einmal umzurühren. Ich griff also zum Kochlöffel und in dem Moment, als ich zum Umrühren ansetzte, sagte sie „Nein, nicht! Den darf man nicht umrühren.“ Ich schaute sie an und sagte: „Nach DEINEM Rezept darf ich ihn nicht umrühren.“ Es war also vorher die unausgesprochene Erwartung im Raum, dass ich den Reis genau auf die gleiche Art und Weise zubereite, wie sie es kannte.

Worauf bauen wir also unsere Erwartungen an andere Personen? Wir bauen Sie auf unsere Weltsicht, auf unsere Glaubenssätze, unsere Erfahrungen und Erlebnisse, unsere Erziehung. Nun gibt es jedoch so viele Weltanschauungen und Erfahrungen, wie es Menschen gibt. Da wird es also zwangsläufig zu einem Problem, wenn Sie Erwartungen haben, denn es ist relativ unwahrscheinlich, dass Ihr Partner oder wer auch immer, die Dinge GENAU SO machen wird, wie sie es machen würden. Wir bauen unsere Erwartungen auf unseren eigenen Gewohnheiten auf. Im Alltag kann sich das in sogenannten Nissen ausdrücken. Nissen sind im ursprünglichen Sprachgebrauch die kleinen, nahezu unzerstörbaren Eier die Läuse in Haare legen. Im übertragenen Sinnen können Sie als Nissen jedoch die eigenwilligen Meinungen, Vorlieben und Vorurteile betrachten, die Teil Ihrer Weltsicht sind.

Es gibt eine unzählige Anzahl solcher Nissen, die schnell zu Erwartungen werden und sich unbewusst im Alltag ausbreiten. Vielleicht haben Sie eine ganz bestimmte Erwartung z. B. in Bezug auf folgendes:

  • Wie die Spülmaschine einzuräumen ist.
  • Wie laut die Musik sein darf.
  • Wie stark ein guter Espresso sein muss.
  • Wie ein richtiger Espresso oder auch Kaffee überhaupt zubereitet wird.
  • Was „ordentlich“ bedeutet bzw. als „Saustall“ deklariert wird (für manche ist es schon ein Saustall, wenn der Partner die Socken auf dem Boden liegen lässt).
  • Wie lange man unter der Dusche stehen darf und wie oft.
  • Wie oft man sich die Zähne putzen soll.
  • Wie die Zahnpasta-Tube auszudrücken ist.
  • Ob der Toilettendeckel bei Nicht-Benutzung oben oder unten sein soll.
  • Ob beim gemeinsamen Restaurant-Besuch das Handy an- oder ausgemacht wird.
  • Wie wichtig es ist, die Nachrichten zu schauen.
  • Was Spaß ist.
  • Was ein guter Witz ist.
  • Was guter Sex ist.
  • Was in den Kühlschrank kommt.
  • Wie das Brot, die Karotten, die Zwiebeln, etc. zu schneiden sind.
  • Wie Speisen zuzubereiten sind.
  • Ob Pfannen vor oder nach den Gläsern per Hand gespült werden.
  • Wie oft die Familie zu besuchen ist.
  • Wer den Wasserkasten aus dem Auto zu holen hat.
  • Ob überhaupt und wenn ja wie die Kleidung im Schrank zu hängen/liegen hat.

Sie merken schon, wir könnten diese Liste eine Weile weiterführen. Es gibt viele unausgesprochene Erwartungen und Annahmen, die wir treffen. Doch leider sind Erwartungen und Annahmen dafür prädestiniert, enttäuscht zu werden und dann entsteht Groll. Groll auf den Partner, der es eben schon wieder nicht so gemacht hat, wie wir es erwartet haben, Groll auf den Chef, der nicht gesehen hat, wie viel Arbeit im letzten Monatsbericht steckt, Groll auf den Nachbarn, der ständig zu laut Musik hört und Groll auf diverse Familienmitglieder, die rumnörgeln, dass Sie sie zu wenig besuchen. Groll kommt von unerfüllten Erwartungen.

Es ist ziemlich leicht zu erkennen, wo Sie Erwartungen hatten, die nicht erfüllt wurden. Dann steckt der Groll nämlich noch in Ihnen. Groll, den Sie stillschweigend in sich hinein fressen und dann womöglich bei passender Gelegenheit wieder rausholen. Lassen Sie uns daher an dieser Stelle mit einem Experiment starten.

Experiment 1: Wem grollen Sie?
Schauen Sie einmal auf die vergangenen Monate zurück und beantworten Sie ehrlich und authentisch folgende Frage: Wem grollen Sie?

Ist es Ihr Partner, Ihre Mutter, Ihr Kollege? Seien Sie radikal ehrlich. Vielleicht ist es nur ein klitzekleiner Punkt, in dem Sie Ihrem Partner grollen. Vielleicht meinen Sie sogar, es sei gar nicht der Rede wert. Doch allein die Tatsache, dass Sie sich jetzt an diesen Punkt erinnern, zeigt, dass der Groll wie ein Angelhaken noch in Ihnen steckt, und zwar in Ihrem Herzen.

Schreiben Sie einmal die Namen der Personen auf, denen Sie grollen, auf die sie noch wütend sind oder wo sie sagen „das nervt wirklich, wenn er/sie das macht“.

Experiment 2: Welches sind Ihre unerfüllten Erwartungen?
Spüren Sie nun einmal in den Groll hinein und schreiben Sie unter jeden Namen die unerfüllten Erwartungen. Wo hat jemand nicht so agiert, wie es für Sie selbstverständlich gewesen wäre und Sie es erwartet hätten. Was tut Ihr Partner vielleicht wiederholt, das Sie stört, weil Sie es einfach anders machen. Schreiben Sie alles auf, was Ihnen einfällt. Es ist entscheidend sich darüber klar zu werden, welche Erwartungen Sie haben.

Erwarten Sie vielleicht, dass Ihr Partner Ihnen grundsätzlich in den Mantel hilft, wenn Sie ausgehen? Oder erwarten Sie von Ihrem Bruder, dass er doch bitteschön mal einen „gescheiten Job“ macht? Vielleicht erwarten Sie auch, dass Ihnen Ihre Freundin ein spezielles Geschenk zu Weihnachten macht, oder Ihr Chef von selbst auf die Idee einer Gehaltserhöhung kommt? Was immer es auch sein mag, kleine oder große Erwartungen, schreiben Sie sie einmal auf.

Das kritische an Erwartungen ist, dass sie oftmals seit langer Zeit in uns sitzen, so dass wir uns mit ihnen identifizieren und keine andere Option sehen. Doch mit jeder unerfüllten Erwartung und jedem Grollpunkt, den Sie damit gegen eine Person sammeln, verhindern Sie mehr und mehr authentische und verletzliche Beziehung und Intimität.

Haben Sie Ihre unerfüllten Erwartungen aufgeschrieben? Dann kommt hier eine spannende Frage:

Wer hat diese Erwartungen kreiert?

Richtig, SIE! Sie allein haben diese Erwartungen kreiert. Sie allein haben entschieden, dass etwas auf eine bestimmte Art laufen oder sich eine Person verhalten muss. Erwartungen sind wie ein Dogma, sie lassen keine andere Wahl. Sie sind starr, unflexibel, festgefahren.

Wer hat letztendlich den Groll somit geschaffen?

Richtig, ebenfalls SIE!  Sie sehen schon, Sie kommen aus der Nummer nicht raus. Sie haben die Erwartungen und damit auch den Groll kreiert. Und der einzige, der da so richtig Spaß dran hat, ist Ihr Gremlin, Ihr kleines inneres Monster, Ihr innerer Schweinehund, der darauf aus ist, Nähe und Vertrautheit zu zerstören.

Wenn Sie Erwartungen haben, die dann letztlich nicht erfüllt werden, kreieren Sie jedoch nicht nur Groll, sondern Sie werden auch selbst unflexibel und können nicht mehr entsprechend der Umstände agieren, die JETZT da sind. Sie warten dann permanent darauf, dass Ihre Erwartungen erfüllt werden, anstatt aus dem gegebenen Moment heraus etwas völlig Neues zu kreieren.

In dieser Jahreszeit, wo sich alles dem Ende neigt, über Weihnachtsgeschenke und gute Vorsätze für das neue Jahr nachgedacht wird, lade ich Sie nun zu einem ganz besonderen Experiment ein. Sie können es als Weihnachtsgeschenk betrachten, das Sie sich selbst und anderen Menschen, gegen die Sie bisher Groll hegen, machen.


Experiment 3: Nehmen Sie Ihre Erwartungen zurück und lösen Sie den Groll auf
Der Groll besteht so lange weiter, wie Sie Ihre Erwartung aufrecht erhalten. Das größte Geschenk, das Sie sich selbst, Ihrem Partner, Ihrer Beziehung oder auch anderen Menschen, gegenüber denen Sie Erwartungen haben, machen können ist, diese Erwartungen zurück zu nehmen.

Sind Sie bereit für dieses Experiment? Nehmen Sie aus der vorher erstellten Liste von Erwartungen eine Erwartung heraus, von der Sie sagen würden, dass Sie bereit sind, sie zurück zu nehmen. Idealerwiese machen Sie dieses Experiment mit einer Person Ihres Vertrauens. Bitten Sie eine Freundin oder einen Freund, dass sie entsprechend die Person darstellen, gegenüber der Sie eine Erwartung haben. Es ist meist kraftvoller, noch jemanden im Raum zu haben, der auch hört, dass Sie eine Erwartung zurück nehmen.

Wenn es Ihnen jedoch leichter fällt, können Sie auch ein Blatt Papier nehmen und der Person schreiben, von der Sie Ihre Erwartungen zurück nehmen möchten. Sie müssen den Brief nicht abschicken. Es geht darum, dass Sie authentisch zu Papier bringen, welche Erwartungen Sie für immer von der Person zurück nehmen.

Hier ein Beispiel: Angenommen Ihre Freundin Maria, die sich für dieses Experiment zur Verfügung stellt, spielt Ihren Partner. Dann deklarieren Sie: „Du bist mein Partner Matthias.“ Und dann nehmen Sie die Erwartung wie folgt zurück. Sagen Sie: „Matthias, ich nehme die Erwartung an Dich, dass Du mir immer in den Mantel helfen und die Tür aufhalten musst, von Dir zurück und zwar FÜR IMMER!

Das Entscheidende ist, dass Sie die Person beim Namen nennen, die bisherige Erwartung und dann vor allen Dingen beim Zurücknehmen das „FÜR IMMER“ aussprechen (in einem Brief würden Sie schreiben „Liebe(r) …, ich nehme FÜR IMMER die Erwartung von Dir zurück, dass….“ Schreiben Sie für jede einzelne Erwartung diesen Satz). Wenn diese zwei kleinen Wörtchen fehlen, ist Ihr innerer Schweinehund sonst sehr clever und sagt insgeheim „okay, für heute nehme ich die Erwartung zurück, aber morgen….“

Sprechen Sie den Satz langsam und deutlich aus, sodass er in dem Raum, in dem Sie sich befinden, „landet“ und damit in Ihnen und auch in der anderen Person (falls Sie einen Rollenspieler dabei haben). Schauen Sie die andere Person dabei an.

Falls Sie ein besonders hohes Risiko eingehen möchten, können Sie auch z. B. Ihren Partner direkt um ein Gespräch bitten und sagen: „Du, ich habe festgestellt, dass ich bisher eine Erwartung an Dich hatte, die nicht gerechtfertigt war. Es war die Erwartung, dass… (nennen Sie die Erwartung). Ich nehme hiermit diese Erwartung FÜR IMMER von Dir zurück.“

Wenn Sie eine Erwartung zurück genommen haben, spüren Sie, was in Ihnen passiert, was Sie fühlen. In einem Training war einmal ein Ehepaar, das sich gegenüber saß und genau diese Übung machte. Die Frau sagte „Ich habe die Erwartung, dass er sich endlich einmal einen viel lukrativeren Job sucht mit seinen Fähigkeiten.“ Sie hatte ziemlichen Groll in sich, weil er diese Erwartung seit mehreren Jahren nicht erfüllte und sie konnte nur noch „Beweise“ sehen, die ihre Geschichte untermauerten, dass er ein unfähiger Idiot war. Sie war jedoch bereit, das Experiment zu machen, diese Erwartung von ihrem Mann zurück zu nehmen, schaute ihn an und tat dies: „Ich nehme FÜR IMMER die Erwartung von Dir zurück, dass Du Dir einen viel lukrativeren Job suchen musst.“ In dem Moment, als sie das aussprach, konnte sich ihr Mann komplett entspannen und sie ebenfalls.

Erwartungen bauen unterschwellig eine Spannung auf, die die jeweils andere Person spürt, selbst, wenn Sie die Erwartung nie ausgesprochen haben. Sie tragen die Erwartung sozusagen sprichwörtlich vor sich her und strahlen damit eine spezielle Energie aus. Die andere Person spürt das. Gleichzeitig können jedoch weder Ihr Partner, noch Ihr Chef, noch Ihre Eltern noch Ihre Freunde erraten, was Sie erwarten.

Was für die Frau im Beispiel noch passierte – und das kann Ihnen gleichermaßen wiederfahren – war folgendes. Auf die Frage „Was fühlst Du jetzt, nachdem Du die Erwartung zurück genommen hast?“ sagte sie: „Zum einen fühle ich Angst, weil ich nicht weiß, wie es ohne diese Erwartung sein wird. Ich habe unsere ganze Beziehung in den letzten Jahren auf dieser Erwartung aufgebaut.“

Wohl wahr! Was bleibt, wenn Ihre Erwartungen an Gültigkeit verlieren? Es kann passieren, dass es sich anfühlt, als würde eine stabile Säule wegbrechen, auf die Sie sich lange gestützt haben. Lassen Sie es zu, sich in den freien Fall zu begeben ohne zu wissen, wie es ohne Erwartung funktioniert.

Das zweite Gefühl, dass die Frau wahrnahm war Freude. Sie sagte: „Ich fühle jetzt, da ich die Erwartung zurück gezogen habe, auch Freude, weil ich meinen Partner wieder als den Mann sehen kann, in den ich mich verliebt habe. Ich habe diesen Erwartungsfilter nicht mehr und ich erkenne gerade, dass ich diejenige war, die den Groll auf ihn gelegt hat und Nähe und  Vertrautheit zerstört hat.“

Es ist eigentlich so einfach und doch so herausfordernd, Erwartungen zurück zu nehmen. Ob Sie dieses Experiment durchführen und ohne einen schweren Rucksack voller Erwartungen in das neue Jahr starten möchten liegt bei Ihnen. Doch eins ist gewiss: Sie machen sich selbst und anderen dadurch ein unbezahlbares Geschenk, denn ohne Groll und Erwartungen wird authentische Beziehung, Nähe und Vertrautheit wieder möglich. Und das ist es doch im Prinzip, was die meisten Menschen sich im Herzen wünschen, oder nicht?

Ein interessanter Vorsatz für das neue Jahr könnte übrigens lauten, nur noch mit leichtem Gepäck zu reisen und keine Erwartungen mehr zu kreieren, sondern stattdessen ab sofort klar auszusprechen, was Sie brauchen und sich wünschen.

Viel Freude beim Experimentieren und herzliche Grüße,
Ihre Nicola Nagel