Freitag, 11. November 2011

(Visionär) sein oder nicht sein? …Das ist immer noch die Frage…

Kürzlich war ich auf einem interessanten und zugleich verrückten Vortrag von einem der weltbesten Kletterer, dem Amerikaner Dean Potter. Dean hatte seit seiner Kindheit – bedingt durch einen wiederkehrenden Alptraum – die Vision, als Mensch fliegen zu können, ohne hart auf dem Boden aufzuschlagen und zu sterben. Er begann die Angst vor dem Fallen zu bannen, indem er schon als kleiner Junge versuchte Felsen hochzuklettern, ohne zu wissen, wie es geht. Stück für Stück kam er seinem Traum näher, indem er immer waghalsigere Klettermanöver in immer luftigerer Höhe durchführte. Er wurde bekannt für seine Solo-Begehungen diverser Kletterrouten und seine große Naturverbundenheit. Schließlich realisierte er seine Vision, indem er Klettern und Base-Jumping verband. Was heißt das? Er klettert alleine, ohne jegliche Sicherung, z. B. die Eiger-Nordwand soweit es geht mit seinen bloßen Fingern hoch und hat nichts als einen kleinen Fallschirm auf dem Rücken. Sollte er den Halt verlieren, dreht er sich in Lichtgeschwindigkeit in die richtige Position und fliegt zunächst in freiem Fall und schließlich mit dem Fallschirm zum Boden zurück.

Der ein oder andere mag jetzt denken: „So etwas Verrücktes. Das ist ja lebensgefährlich.“ Ja, das ist es. Und: darum geht es nicht. Es geht darum, dass Dean Potter einer der Menschen ist, die ihre Vision stetig verfolgt und schließlich realisiert haben. Wie schaut es mit Ihnen aus?

Ich möchte Sie direkt zu einem Experiment einladen:

Experiment 1: Was ist Ihre Vision?
Lassen Sie uns einmal annehmen, es gäbe keine Bedingungen, keine Verpflichtungen oder ähnliches? Welche Vision haben Sie? Oder welche Vision hatten Sie einmal, die jedoch irgendwann leise in der Schublade verstaubt ist und die Sie nicht verfolgt haben? Kommen Sie, gönnen Sie sich einen kurzen Augenblick, darüber nachzudenken. Schließen Sie für einen Moment die Augen, stellen Sie sich diese Frage und schauen Sie, was an Vision oder Inspiration hochkommt. Sie dürfen für die Länge dieses Artikels einfach einmal „rumspinnen“. Was würden Sie am liebsten einmal machen? Was würde Sie inspirieren? Wofür brennen Sie wirklich? Was würden Sie bereuen, nicht getan zu haben, wenn heute Ihr letzter Tag wäre? Wofür hätten Sie sich wirklich gerne eingesetzt?

Falls Ihr Verstand Ihnen jetzt sagt „Ich habe keine Vision“, dann antworten Sie einfach „Danke für den Kommentar“ und verbannen ihn für dieses Experiment ins Wartezimmer. Sie können dazu auch den Stimmen-Colt benutzen (siehe Artikel „Der Verstand ist ein Zoo“ vom Oktober 2011).

Die Vision, das wofür ein Mensch brennt und was ihn inspiriert, kommt nicht aus dem Verstand. Ihre Vision kommt aus Ihrem Sein. Erschrecken Sie daher nicht, wenn die Vision größer ist, als Sie (bzw. Ihr Verstand) im ersten Augenblick meinen, bewältigen zu können. Das haben Visionen so an sich. Visionen sind größer als wir. Um sie zu realisieren, müssen wir ein gewaltiges Stück über uns hinauswachsen. Das ist der Sinn der Sache: Evolution und Wachstum.

Schreiben Sie Ihre Vision einmal auf. Es kann sich für die eine Person um klare, detaillierte Sätze handeln, während andere Leser vielleicht nur einzelne Worte oder Stichpunkte zu Papier bringen. Schreiben Sie einfach einmal auf, was Ihnen spontan einfällt, egal ob Sie meinen, es sei eine „riesige“ Vision, oder ein „Visiönchen“.


Experiment 2: Gründe, die gegen Ihre Vision sprechen
Haben Sie Ihre Vision aufgeschrieben? Prima. Jetzt holen Sie Ihren Verstand aus dem Wartezimmer wieder ab. Diesmal lassen Sie die Augen offen. Der Verstand darf jetzt alle Gründe und Argumente liefern, die klar belegen, dass es definitiv NICHT möglich ist, Ihre Vision oder Ihren Traum umzusetzen. Schreiben Sie es jetzt auf.

Ist es nicht beeindruckend, wie viele Gründe Sie sofort parat haben? Als ich dieses Experiment machte, konnte ich so schnell gar nicht schreiben, wie mein Verstand mit Gründen aufwartete. Ein regelrechtes Maschinengewehr ratterte los. Die meisten Gründe, die uns der Verstand liefert, fallen in eine der folgenden 3 Hauptkategorien:
  1. Ich weiß nicht wie / das kann ich nicht.
  2. Die Umstände lassen das nicht zu (z. B. ich bin verheiratet, habe Kinder, einen Job, etc.).
  3. Was sollen denn die Leute denken (z. B. Familie, Freunde, Nachbarn, Kollegen, etc.)?
Hach, das sind aber auch alles absolut logische Gründe, an denen es nichts zu rütteln gibt, nicht wahr?

Die weniger gute Nachricht ist, dass die Liste, die Sie vor sich haben, einfach nur IHRE Geschichte ist, die Sie aufrecht erhalten, um Ihre Vision und damit Ihr Potenzial nicht zu leben. Alles, was Sie in Experiment 1 zu Ihrer Vision aufgeschrieben haben, können Sie nämlich erreichen, sonst wäre es Ihnen gar nicht in den Sinn gekommen. Es wäre nicht im Feld Ihres Vorstellungsvermögens, wenn es nicht Ihrem Potenzial entspräche.

Unser Ego (unsere Box) findet es jedoch viel bequemer, sich in sicheren Gefilden, einer gewohnten Umgebung, oder einer Komfortzone zu bewegen, als eine Vision zu verfolgen. Sicherheit und Überleben ist das oberste Ziel unserer Box. Eine Vision bringt Sie jedoch in immer neue Situationen, in denen Sie lernen, neue Erfahrungen machen und sich nicht unbedingt auf sicherem Terrain befinden. Eine Vision zu verfolgen, ist mitunter sehr intensiv. Davor hat unser Ego Angst. Um es noch klarer zu formulieren: Unser Ego hat Angst vor der Intensität, die entsteht, wenn wir unser Potenzial leben.

Lassen Sie das einmal sacken: Ihr Ego hat Angst vor der Intensität, die entsteht, wenn Sie Ihr Potenzial leben.

Das Ego ist deswegen unglaublich clever darin, eine etablierte Lebensgeschichte aufrecht zu erhalten. Wir sind große Geschichtenmacher. Wir kreieren unsere vertraute Geschichte von Sekunde zu Sekunde, indem wir unsere Gedanken immer wieder auf das Gleiche ausrichten und Meinungen, Glaubenssätze oder Erfahrungen aufrecht erhalten durch die Deklaration „Das IST so.“ Und wenn etwas nach unserer Meinung so IST, dann IST es damit auch unumstößlich. Lassen Sie uns noch einmal auf die 3 Hauptkategorien an Gründen zurück kommen, die Sie daran hindern, Ihre Vision zu verfolgen.

1. Ich weiß nicht wie/Ich kann das nicht.
Dachten Sie Dean Potter hätte von Anfang an gewusst, wie er schwierige Berge erklettert, ohne sich zu sichern? Dachten Sie Einstein hätte alles gewusst? Sie müssen nicht wissen, WIE etwas geht. Entscheidend ist Ihre VERPFLICHTUNG. Verpflichten Sie sich, Ihre Vision zu verfolgen, bevor Sie wissen wie es geht. Das WIE kommt dann ganz von selbst. Wie viele Menschen stecken fest, bevor sie überhaupt losgehen, weil sie nicht wissen, wie etwas geht? Da werden stunden-, wochen- oder monatelang Pläne geschmiedet und Bücher gewälzt, um mit dem Verstand herauszufinden wie etwas funktioniert, um dann im Moment des Starts festzustellen, dass die Bedingungen sich geändert haben. Haben Sie das schon einmal erlebt? Das ist ungefähr so, als hätten Sie monatelang eine tolle Reise genau geplant, stellten aber dann am 1. Tag der Reise fest, dass der Zubringer zur Autobahn gesperrt ist und blasen deswegen die ganze Reise ab. Entscheidend ist, dass Sie sich verpflichten, überhaupt loszugehen (im konkreten Fall, die Reise zu machen). Alle Herausforderungen, die es dann auf dem Weg gibt, werden Sie schon meistern, weil Sie von Ihrer Verpflichtung getragen werden. Zum Beispiel würden Sie im Fall des gesperrten Autobahnzubringers, die Karte oder das Navi zücken und schauen, wo Sie an anderer Stelle auf die Autobahn kommen. Und wer weiß, was Sie auf diesem alternativen Weg alles für tolle Dinge sehen würden, die Ihre Reise bereichern. Im Gegensatz zu dem, was uns in unserer Gesellschaft das ganze Leben lang eingetrichtert wird, nämlich im Vorfeld schon alles wissen zu müssen, lade ich Sie ein, den Satz „Ich weiß nicht wie / Ich kann das nicht“ ein für allemal den Abfluss hinunterzuspülen. Er blockiert Sie nur. Er blockiert Ihr ganzes Leben.

2. Die Umstände lassen es nicht zu, meine Vision zu leben.
Jaja, die Umstände…Wer, denken Sie, hat die Umstände in Ihrem Leben kreiert?...Na? „Natürlich DIE ANDEREN!“ höre ich da schon einige Stimmen.

Kommen Sie, es ist zwecklos, an dieser alten Geschichte festzuhalten. Sie ist zugegebenermaßen sehr bequem, denn wenn die anderen an meiner Situation Schuld sind, dann muss ich ja keine Verantwortung für mein Leben übernehmen. Doch damit stecken Sie in einem fiesen, klebrigen Abhängigkeitssumpf fest und machen andere für Ihr Glück und Wohlergehen verantwortlich. Damit sind Sie in der armen, kleinen Opferrolle (oder schnell auch in der Täterrolle) und agieren absolut unverantwortlich. Das einzige, was aus dieser Position heraus möglich ist, ist niederes Drama mit Rechtfertigungen, Schuldzuweisungen, Lamentieren, Beschwerden, Ausreden suchen, andere ins Unrecht setzen, etc. Doch damit erreichen Sie gar nichts, außer, dass das Leben an Ihnen vorüber zieht und Sie graue Haare kriegen.

Sie kennen die wahre Antwort auf die Frage, wer die Umstände in Ihrem Leben kreiert hat: Alles, was Sie in Ihrem Leben vorfinden, ist auf IHREM Mist gewachsen. Sie haben alles selbst kreiert. Die spannende Frage an der Stelle wäre: Warum? Welchen Nutzen ziehen Sie aus den verschiedenen Ereignissen, auch wenn es unangenehme Situationen sind und Ihr Chef Ihnen gerade gekündigt hat, Sie einen Unfall haben, oder der Partner wütend die Wohnung verlässt. Übernehmen Sie Verantwortung. Sie haben alles selbst kreiert. Es scheint unfair zu sein, doch genau das ist absolute Verantwortung, es gibt keine Hintertürchen. Damit holen Sie sich Ihre Kraft zurück und nehmen das Ruder Ihres Lebens wieder selbst in die Hand, anstatt im Opferdasein zu verkümmern. Sie können in jeder Sekunde entscheiden, welche Geschichte Sie erzählen. Die Opfergeschichte, oder die verantwortliche Geschichte. Alles was passiert, ist an sich neutral. Sie haben es einfach durch Ihre Gedankenmuster kreiert. Wenn Sie also etwas anderes in Ihrem Leben kreieren möchten, legen Sie los. Richten Sie Ihren Fokus neu aus, zum Beispiel auf Ihre Vision und übernehmen dafür Verantwortung.

Anstatt also zu dem sicherheitsbedachten Ego die Kraft zu geben, das sagt „Ich glaube es, weil ich es (die Umstände) sehe“ probieren Sie es doch einmal mit der Haltung „Ich sehe es, WEIL ICH ES GLAUBE.“ Denn das ist die Quintessenz: Alles, was Sie in Ihrem Leben vorfinden, ist das, was Sie - bewusst der unbewusst – glauben. Achten Sie also auf Ihre Gedanken- und Glaubensmuster.

3. Was sollen denn die Leute denken?
Das ist ein sehr beliebter Grund, den unser Verstand vorschiebt, um eine Vision, die vielleicht ungewöhnlich, riesig oder riskant erscheinen mag, nicht zu verfolgen. Unsere Angst davor, von anderen Menschen abgewiesen zu werden, die diese Vision nicht teilen, ist groß. Es ist die Angst, nicht dazu zu gehören. Und wer weiß, vielleicht passiert es tatsächlich, dass sich Menschen abwenden, wenn Sie anfangen, Ihre Vision zu leben. Dean Potter hat das erlebt und ich kenne einige Menschen, die Ihrer Vision gefolgt sind, denen es ebenso erging. Sogar ich selbst habe es erlebt. Aber mal ehrlich: Welchen Wert haben Beziehungen zu Personen, die Sie in Ihrem Sein, in Ihrer Art, mit Ihrem Potenzial und Ihrer Vision nicht akzeptieren? Es ist sogar oftmals so, dass sich Menschen nur abwenden, weil Sie Angst haben. Sie werden nämlich durch Sie an Ihre eigenen, nicht gelebten Visionen und Potenziale erinnert und möchten das auf jeden Fall vermeiden. Somit versuchen diese Menschen gerne, Sie klein zu halten und von Ihrer Vision abzubringen. Doch wenn jemand ein massives Problem damit hat, dass Sie Ihre Vision verfolgen, BITTE lassen Sie diese Person ihr Problem haben. Sie hat hart dafür gearbeitet, sich dieses Problem zu kreieren. Und der Witz ist, dass es noch nicht einmal wirklich etwas mit Ihrer Person zu tun hat. Sie sind in dem Moment einfach nur der Auslöser, der Spiegel für die Person, die ein Problem hat. Also lassen Sie sich von diesem Gedanken „Was sollen denn die Leute denken (vielleicht hat jemand ein Problem damit)?“ nicht abhalten.

Glauben Sie mir, wenn ich diesem Satz Kraft gegeben hätte, hätte ich viele Dinge in meinem Leben nicht gemacht: ich hätte z. B. nie einen 4800m hohen Berg bestiegen, wäre niemals nach Nepal gereist, wäre nicht im Dschungel gewesen und wäre heute auch nicht als Trainerin selbständig. Ehrlich, machen Sie das Problem anderer Menschen nicht zu Ihrem Problem und übernehmen Sie auch nicht die Ängste anderer Personen. Gehen Sie Ihren Weg und leben Sie Ihr Leben, nicht das Ihrer Eltern, Freunde, Nachbarn oder Kollegen, auch wenn Sie vielleicht Gegenwind bekommen. Die gute Nachricht ist übrigens: selbst, wenn sich der ein oder andere von Ihnen abwendet, werden Sie bald merken, das neue, bereichernde Personen in Ihr Leben treten, die von Ihrer Vision inspiriert sind und Sie unterstützen. Und es passiert, dass Personen, die sich zunächst vor lauter Schreck gegen Sie gestellt haben, nach einiger Zeit stillen Grübelns plötzlich um die Ecke kommen und wieder an Ihrer Seite sind. So wie Sie sich verändern, verändert sich auch Ihr Umfeld.

Experiment 3: Seien Sie Ihre Vision
Tja, nachdem nun alle Gründe auf Ihrer Liste hinfällig sind, stellt sich die Frage, was tun? Das Geheimnis ist, das Sie gar nichts TUN müssen. Entscheidend ist, dass Sie Ihre Vision SIND. Dazu ist es wichtig, ein klares Bild Ihrer realisierten Vision mit einem Gefühl zu verknüpfen. Das bedeutet, Sie verbinden sich innerlich nicht nur mit dem Bild der final realisierten Vision (sehen sie sozusagen vor sich), sondern auch mit dem Gefühl, das damit einhergeht. Achten Sie darauf, dass es sich um ein Gefühl der Freude, Begeisterung oder Ekstase handelt. Angst, Wut und Traurigkeit mit der Realisierung Ihrer Vision zu verbinden, wäre kontraproduktiv. Es geht darum, dass Sie Ihr Sein auf Ihre Vision einschwingen. Sie werden erstaunt sein, welche Resultate dies hat und wie viel mehr Energie und Inspiration Sie plötzlich in sich haben. Wiederholen Sie dies mindestens einmal die Woche. SEIN Sie Ihre Vision und beanspruchen Sie diese Realität. An dieser Stelle möchte ich Ihnen gerne ein Buch empfehlen, das sich im Detail damit beschäftigt. Es trägt den Title „Reality Creation Coaching für Fortgeschrittene“ von Frederick Dodson.

Dean Potter sagte in seinem Vortrag: „First you have a vision – then you make it happen”, zuerst haben Sie also die Vision bzw. sind die Vision und dann setzen Sie sie um.

An dieser Stelle habe ich den Eindruck, dass noch eine Frage in der Luft hängt, die einigen Lesern unter den Nägeln brennt: Was ist denn meine Vision?

Meine Vision ist es, eine neue Kultur zu kreieren, in der Menschen und Unternehmen in jeder Hinsicht respektvoll und nachhaltig miteinander und mit der Erde umgehen und ihr volles, individuelles Potenzial leben. Ist diese Vision größer als mein Ego oder mein Verstand? Himmel, ja, definitiv. Aber ich habe mich dieser Vision verpflichtet, weil sie mich inspiriert. Habe ich manchmal Angst vor dieser großen Vision? Ja, es gab gerade zu Beginn meines Visions-Weges Momente, da habe ich mich wahrscheinlich wie Dean Potter gefühlt, wenn er an nur zwei Fingern in der Eiger Nordwand hängt. Doch um es mit einem Zitat von Clinton Callahan, dem Begründer von Possibility Management, zu sagen: „Mut ist nicht das Ausbleiben von Angst. Mut ist die Entscheidung, dass etwas anderes wichtiger ist, als Angst.“

In diesem Sinne, wünsche ich Ihnen den Mut, Ihre Vision Realität werden zu lassen. SEIEN Sie VISIONÄR!

Herzlich inspirierte Grüße,
Ihre Nicola Nagel


www.viva-essenza.com